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Erst Liquiditätskrise, dann Kreditklemme

 

Liquiditätskrisen sind die kleinen Schwestern von Kreditklemmen (sog. „credit crunches“), also erst mal ziemlich harmlos. Es geht nur um eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit, nicht um Insolvenz. Das wäre eine ganz andere Dimension und ein Grund, sich richtig Sorgen zu machen. Dass der Kurs in die Richtung gehen könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Werden die Kreditkonditionen jetzt deutlich verschärft, kann das leicht Unternehmen in die Knie zwingen, die bisher noch den Kopf über Wasser gehalten haben. Am Ende stünde eine Rezession in den USA, die weltweit zu spüren wäre. Die Pläne vieler Notenbanken, die Zinsschraube weiter anzuziehen, wären dann sehr riskant und würden vermutlich aufgegeben. Die US-Märkte erwarten bereits eine Lockerung durch die Fed.

Angefangen bei der US Immobilienkrise könnte der Ablauf so gehen (Nouriel Roubini von der New York University hat es gerade ähnlich in seinem Blog beschrieben):

– Erst kamen immer mehr amerikanische Hausbesitzer in finanzielle Schwierigkeiten, weil ihnen variabel, oder zunächst gar nicht verzinsliche Hypotheken angedreht worden waren, die sie bei der ersten Neufestsetzung der Konditionen angesichts der gestiegenen Zinsen nicht länger bedienen konnten. Es kam zu persönlichen Konkursen und Zwangsversteigerungen in Millionenhöhe.

– Die Banken und anderen Finanzinstitute, die auf (unerwartet vielen) faulen Hypothekenkrediten sitzen, müssen ihrerseits Konkurs anmelden. Günstigstenfalls brechen nur ihre Aktienkurse ein, in welchem Fall sie bei neuen Krediten sehr selektiv sein müssen.

– Angesichts der vielen Versteigerungen von Häusern und der Versuche von Immobilienspekulanten, die starken Preissteigerungen der vergangenen Jahre durch Verkäufe zu realisieren, kommt es zu einem Überangebot an Häusern und fallenden Preisen.

– Wohnungsbauunternehmen (sogenannte „developer“) bleiben auf ihren Beständen sitzen, können ihren Schuldendienst nicht mehr leisten und gehen in Konkurs.

– Der Output der Immobilienbranche schrumpft, Bauarbeiter und Mitarbeiter von Architekturbüros und Maklerfirmen verlieren ihre Jobs.

– Banken, die den Immobilieninstituten Geld geliehen hatten, erleben Kreditausfälle und verschärfen die Kreditkonditionen, verlangen also mehr Sicherheiten und einen höheren Zins.

– Die sogenannten Mortgage Backed Securities verlieren stark an Wert, da sich die Qualität der zugrundliegenden Hypothekenkredite verschlechtert hat (unerwartet vieler Ausfälle): Zum einen lassen sich diese Wertpapiere nur noch an Mutige verkaufen, so dass die faulen Hypothekenkredite die Bilanzen versauen und so die Neuvergabe blockieren, zum anderen sitzen Hedge Funds, Investment Fonds, viele Banken (IKB!) und Versicherungen (Generali?) auf diesen Papieren, ihre Anleger geraten angesichts der Wertverluste in Panik, kündigen ihre Anteile und wollen so schnell es geht Bargeld sehen – daraus ist die Liquiditätskrise der vergangenen Woche entstanden.

– Es geht aber weiter oder kann jedenfalls weitergehen, ohne dass es dazu besonders lebhafter Phantasie bedarf: Immer mehr Fonds müssen schließen oder müssen die Anleger auf bessere Zeiten vertrösten, was die nicht gerade in Hochstimmung versetzt. Die Banken, in deren Regie die Fonds verwaltet werden, müssen, um sie zu retten, also zahlungsfähig zu halten, ihrerseits Aktiva verkaufen, und zwar möglicherweise fast alles, für was es einen liquiden Markt gibt; das dürften vor allem Aktien sein, weniger Staatsanleihen, da diese in solch unsicheren Zeiten als sichere Anlagen besonders wertvoll sind; an den Aktienmärkten kommt es zu einem Verkaufdruck.

– Von den verschärften Kreditkonditionen sind die Private Equity Funds betroffen, die in den letzten Jahren ein wichtiger Motor der Kreditexpansion waren – deren Geschäftsmodell ist auch deswegen weniger überzeugend als bislang, weil die Ertragsaussichten der Unternehmen, die als potentielle Übernahmekandidaten gelten, nicht mehr so rosig sind, jedenfalls viel kritischer eingeschätzt werden. Die kreditgebenden Banken bleiben entweder auf ihren Krediten sitzen, weil der Markt für Collateralized Debt Obligations zum Erliegen gekommen ist, sie ihre Risiken also nicht im Markt abladen können („hung bridges“) oder müssen sie zu ungünstigen Kursen verkaufen.

– Aus der Subprime-Krise ist daher inzwischen auch eine Krise der CDOs geworden. Anleger werden weiterhin ihre Fondsanteile zurückgeben wollen, und die Fonds müssen liquide Papiere versilbern. Die Aktienkurse sind daher weiter unter Druck.

– Das, plus die Misere am Immobilienmarkt könnte schließlich die amerikanischen Verbraucher, die seit Jahrzehnten nicht ans Sparen dachten, doch so beeindrucken, dass sie beginnen, ihre Gürtel enger zu schnallen. Bisher hatten sie darauf gesetzt, dass der Wert ihres Vermögens ständig so stark steigt, dass Sparen durch Konsumverzicht nicht sinnvoll ist. Wenn es mit diesem wundersamen Anstieg des Reichtums nun vorbei sein sollte, man vielleicht sogar an der Grenze der Überschuldung angelangt ist, fiele die wichtigste Triebfeder der US-Wirtschaft, der private Verbrauch, aus. Schon die hohen Benzinpreise hatten ganz schön am real verfügbaren Einkommen geknabbert. Insgesamt könnte das geradewegs in eine Rezession führen.

Obwohl das Gewicht der USA in Kaufkraftparitäten nur noch etwa 20 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht, ist das dennoch so viel, dass erhebliche negative Auswirkungen auf die Konjunktur im Rest der Welt wahrscheinlich wären. Die Rohstoffpreise, bei denen es in den vergangenen vier Jahren eine Rallye sondergleichen gegeben hatte, würden einbrechen, und mit ihnen die Wachstumsaussichten einiger Emerging Markets. Zudem würden die Aktienverkäufe der US-Banken und Fonds auch die Anlagen in anderen Ländern treffen. Die US-Krise würde sich international ausbreiten.

Wir sind offenbar bereits an diesem Punkt angelangt. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Notenbanken weiter beruhigend eingreifen werden, insbesondere die Fed. Herr Bernanke wollte ja eigentlich noch nicht lockern, weil die Konjunktur noch gut läuft und die Inflation besonders wegen der Lohnstückkosten noch Sorgen macht. Nach dem Greenspan Put jetzt ein Bernanke Put? Ziemlich peinlich.

Nach den sogenannten Fed Funds Futures erwartet man am Markt inzwischen, dass es noch in diesem Jahr zwei Zinssenkungen geben wird, von jetzt 5,25 Prozent auf 4,75 Prozent. Auch die fest eingeplante Zinserhöhung durch die EZB (am 6. September um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent) wird desto unwahrscheinlicher, je länger die Angst an den Märkten umgeht.