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Auf der Spur von B.Z.1975

 

In dem Zimmer, wo die Katzen so gern spielten, lag die Jogginghose mit Blutflecken. Unversehrt, obwohl in der Wohnung eine Gaswolke explodiert war, die die Wände abgeflammt und im Nachbarhaus eine Ziegelwand eingedrückt hatte. Die graue Hose ist nicht nur Beweismittel einer grausamen Tat, sondern bezeugt auch die Geisteshaltung der Täter.

Geborgen wurde das Stoffstück aus einer Wohnung in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau – dem letzten Versteck der Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund. Dessen Mitglied Beate Zschäpe hatte am 4. November 2011 Feuer darin gelegt. Das zu einer bräunlichen Kruste geronnene Blut an der Hose wurde kurz darauf im Bundeskriminalamt analysiert – und schnell einem Menschen zugeordnet: dem Träger der Spur M.K.1984, die schon seit langer Zeit im Labor der Ermittlungsbehörde lagerte.

Die Spur gehörte der Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter, geboren 1984, erschossen am 25. April 2007 in Heilbronn. Ihre mutmaßlichen Mörder, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, hatten die Hose vier Jahre lang aufbewahrt, ohne sie zu waschen. Die Trophäe eines scheinbaren Siegs über die Staatsmacht.

Die Ermittler konnten den lange Zeit mysteriösen Polizistenmord als zehnte Tat einer Serie identifizieren, in der zuvor nur Migranten zu Tode gekommen waren. Die DNA-Abgleiche brachten mehrere Durchbrüche in den oft komplizierten Ermittlungen des NSU-Komplexes. Fast zweieinhalb Jahre nach Verhandlungsbeginn hat sich nun der Münchner NSU-Prozess auch damit befasst.

Hunderte Spuren lagen dem BKA nach dem Auffliegen des Terrortrios vor. Für die Auswertung zuständig war der Biologe und Forensiker Carsten Proff vom Bundeskriminalamt, der am Mittwoch als Zeuge aussagte. Vier Plastikkisten voller Aktenordner ließ er zuvor in den Gerichtssaal bringen. Seine Aussage wird wohl mehrere Tage dauern.

Dabei fördert sie in kurzer Folge belastbare Fakten zutage. Proff hatte damals nicht nur das Blut an der Jogginghose analysiert. In der Hose fanden sich auch ein Haar und zwei Taschentücher, versehen mit der Spur U.M.1973 – Uwe Mundlos. Das Blut aus Kiesewetters Körper musste ihm beim Heilbronner Mord auf die Kleidung gespritzt sein.

DNA-Analytiker geben ihre Ergebnisse als Wahrscheinlichkeiten an. Proff spricht von eins zu 45 Quadrillionen, einer Zahl mit 24 Nullen. So wahrscheinlich ist es, dass etwa die DNA-Spur im Inneren eines Impfpasses für Katzen jemand anderem gehört als dem Träger des Profils B.Z.1975 – Beate Zschäpe. In dem Pass steht der Name einer Bekannten, den Zschäpe – nunmehr nachweislich – als Alias nutzte.

Zschäpes Spur findet sich an etlichen Gegenständen, die mittlerweile in der Asservatenkammer des BKA lagern. Als sich Zschäpe bei der Polizei stellte, trug sie Schuhe, die mit Spuren übersät waren. Sie saßen am Schnürsenkel, am Fersenschaft, an der Lasche. Proff fand Merkmale von Zschäpe, aber auch von dem Mitangeklagten André E., dessen Frau Susann und einem der Kinder des Paars. E. soll unter anderem Wohnmobile für das NSU-Trio gemietet haben. Zudem soll er Zschäpe nach der Brandstiftung von dem Zwickauer Versteck zum Hauptbahnhof gefahren haben.

Unterwegs tauschte Zschäpe offenbar ihre Schuhe gegen die von Susann E. – ihre eigenen waren vom Benzin durchtränkt, mit dem sie zuvor das Haus angesteckt hatte. Ihre Socken hatte Zschäpe allerdings anbehalten. Ermittler fanden später Rückstände von Kraftstoff in dem Gewebe.

Im Fall André E. ist es mit der Beweisführung durch DNA-Abgleich allerdings komplizierter. Denn der 36-Jährige hat einen eineiigen Zwillingsbruder – und beide damit das exakt gleiche Erbgut. Erschwert wird der Fall dadurch, dass E. und sein Bruder offenbar regelmäßig Kontakt pflegten. So wurde der Angeklagte im November 2011 auf dem Gehöft seines Bruders festgenommen. Sein Verteidiger Herbert Hedrich deutete kurz darauf an, die Zweifel an DNA-Beweisen gegen seinen Mandanten im Prozess nutzen zu wollen.

Im abgebrannten Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße und in einem von Mundlos und Böhnhardt genutzten Wohnmobil stießen die Ermittler auf weitere Spurenträger: ein paramilitärisches Waffenarsenal. Unter den Asservaten waren Pumpguns, Maschinenpistolen, eine Handgranate, außerdem Muniton. Forensiker Proff stellte an etlichen der Waffen DNA von Mundlos, Böhnhardt oder beiden fest.

Zu den vier Pistolen, mit denen der NSU Menschen erschoss, kam er an diesem Tag allerdings noch nicht. An der Waffe Modell Ceska 83, mit der neun Migranten getötet wurden, gibt es laut Gerichtsakten keine eindeutigen DNA-Spuren. Einen ultimativen Beweis gegen den NSU gibt es offenbar nicht.