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Der Richter sollte sich erklären

 

Wie konnte eine Nebenklägerin, die es nie gab, zum NSU-Prozess zugelassen werden? Beate Zschäpes Verteidiger fordern Antworten vom Richter. Zugleich bricht ein alter Konflikt auf.

Am liebsten würde Richter Manfred Götzl am Morgen sofort die Zeugen hereinholen, die vor dem Sitzungssaal im Münchner Oberlandesgericht warten. Fortfahren im NSU-Prozess, dieser Justizmaschine, die in zweieinhalb Jahren trotz vieler kleiner Aufreger lief und lief und lief. Was auch passierte – an der fachlichen Brillanz und der Autorität des Vorsitzenden kratzte nie etwas, auch keiner der zahlreichen Anträge der Zschäpe-Verteidigung, in denen seine Absetzung gefordert wurde.

Jetzt aber gibt es Fragen an Götzl. Denn sein Strafsenat war es, der im April 2013 eine Frau namens Meral Keskin als Nebenklägerin im Terrorverfahren zuließ. In der vergangenen Woche kam heraus, dass ein Opfer des Kölner Bombenanschlags von 2004 die Frau erfunden hatte, um sich eine Entschädigungszahlung aus dem Opferhilfe-Fonds der Bundesregierung und eine Provision für ihre Vermittlung an einen Anwalt zu erschleichen. In der Folge saß 233 Prozesstage lang dieser Nebenklageanwalt ohne Rechtsgrundlage mit im Sitzungssaal.

Die Fragen an Götzl hat Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer. Er meldet sich mit einem Antrag zu Wort, noch bevor der Richter irgendjemanden befragen kann. Denn offen ist nach Enthüllungen in mehreren Schritten noch: Wie konnten die Richter eine Frau zur Nebenklage zulassen, die es gar nicht gibt?

Ausgangspunkt war ein ärztliches Attest, in dem Verletzungen protokolliert waren – angeblich Folgen des Anschlags. Tatsächlich handelte es sich offenbar um eine Kopie des Attests, das dem tatsächlich Verletzten Attila Ö. ausgestellt worden war – nur mit dem Fantasienamen Meral Keskin. Ö. war es, der die Nebenklage-Fälschung initialisiert hatte. Das angebliche Opfer war nie von der Polizei vernommen worden, das Attest war der einzige valide scheinende Beweis.

Deswegen zweifelte Bundesanwalt Herbert Diemer, Vertreter der Anklage, das Nebenklagegesuch schon 2013 an: Es ergäben „sich keine Hinweise darauf“, dass die Frau ein Opfer war, das Attest reiche nicht aus.

Trotzdem genehmigten Manfred Götzl und seine Kollegen Peter Lang und Konstantin Kuchenbauer das Gesuch. Heer fordert deshalb nun, dass die drei Richter eine dienstliche Erklärung abgeben, warum ihnen an dem Attest nichts auffiel – etwa, dass darin außer dem Namen keinerlei persönliche Daten verzeichnet sind. Zudem schrieb der Anwalt der falschen Nebenklägerin, sie habe während des Anschlags vor einem Restaurant gestanden. Der Notarzt, der im Prozess aussagte, wollte sich hingegen erinnern, er habe sie während eines „Barbierbesuchs“ getroffen.

Heer will nun wissen, wieso die Richter „diese Diskrepanz nicht hinterfragten“ und warum sie den Zweifeln von Bundesanwalt Diemer nicht nachgingen. Es sind berechtigte Fragen. Denn sie begründen das unangenehme Gefühl, dass dieser mit größter Akribie geführte Prozess mit einer Schlamperei begonnen hat. Götzl ist ein Meister darin, Aussagen von Zeugen und Angeklagten bis aufs Wort zu sezieren und so kleinste Ungereimtheiten herauszufinden. Ausgerechnet er aber winkte anscheinend ein plump gefälschtes Dokument als Beleg durch. Es könnte dem Gericht nicht schaden, sich zu äußern.

Darauf wird Götzl aber keine Lust haben. „Wann ist Ihnen denn diese Diskrepanz aufgefallen?“, fragt er pikiert. Etwas zu überprüfen sei nicht seine Aufgabe, antwortet Heer. Eine Verweigerung Götzls ist allerdings rechtlich gedeckt. Das Gerichtsverfassungsgesetz steht den Richtern ein Beratungsgeheimnis zu, Begründungen im Nachhinein liefern müssen sie nicht. Sie dürfen aber.

Heer teilt mit, er wolle eine Stellungnahme „zur Vorbereitung von Anträgen“ einholen – ein mögliches Zeichen, dass er und seine Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Stahl einen neuen Absetzungsantrag gegen Götzl planen. Doch dabei käme ihnen wohl ein mittlerweile altes Problem in die Quere.

Denn die Zschäpe-Verteidigung ist nach wie vor zerstritten. Auf der einen Seite stehen Heer, Stahl und Sturm, auf der anderen die Angeklagte und ihr selbst dazugewählter Verteidiger Mathias Grasel. Sichtbare Kommunikation zwischen beiden Lagern gibt es nicht. Und ohne eine Zustimmung der Mandantin können die Anwälte keinen Misstrauensantrag gegen den Richter stellen.

Dafür wird der Riss ein weiteres Mal deutlich. Nach dem Antrag meldet sich Grasel zu Wort: Seine Mandantin und er würden Heers Gesuch nicht kennen. „Es gibt Bedingungen, die das nicht zulassen“, kontert Heer. Als Götzl ihn nach dem Grund fragt, erinnert Heer an die mehrtägige Prozesspause, in der sich Grasel kurz nach seiner Berufung im Sommer in den Verfahrensstoff einarbeiten sollte. „Diese Einarbeitung hat nie stattgefunden. Soviel dazu.“

Grasel antwortet, der Anwurf sei „haltlos“, zudem habe es ein Gespräch aller Verteidiger in seiner Münchner Kanzlei gegeben. Allerdings hätten ihm die angestammten drei Kollegen nicht ihre Mitschriften aus dem Prozess überlassen. Heer schießt zurück, der Wortwechsel sei „an Würdelosigkeit nicht zu überbieten“.

Offensichtlich sind die Konflikte auf der Anklagebank auch ohne öffentliche Betrachtung der letzten Zeit weitergegärt. Wenn die Verteidiger nach der Beweisaufnahme ein überzeugendes Plädoyer für Zschäpe halten sollen – und es ist fraglich, wer aus der zerstrittenen Riege das tun soll –, dürften die nächsten großen Schwierigkeiten auftauchen. Die Unregelmäßigkeiten in der Nebenklage werden dann nicht weiter ins Gewicht fallen.