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Aussage nach Zschäpes Vorbild

 

Im NSU-Prozess hat überraschend der Mitangeklagte Ralf Wohlleben ausgesagt. Seine Aussage ist aber weniger überraschend: Wohlleben gibt sich als Opfer von Lügen und Gutgläubigkeit.

Selbst Richter Manfred Götzl ist verblüfft, als sich die Anwältin Nicole Schneiders aus der zweiten Reihe der Anklagebank meldet. Sie wolle eine Erklärung abgeben – es gehe um die vor einigen Wochen angekündigte Aussage ihres Mandanten Ralf Wohlleben: Die solle auf der Stelle stattfinden, noch am selben Tag. Keine Überraschungsreaktion zeigen lediglich Wohllebens Frau Jacqueline, die heute an seiner Seite sitzt – und ein mitgereister Tross von Skinheads, der sich auf der Besuchertribüne breitgemacht hat.

Der 40-jährige Angeklagte im Münchner NSU-Prozess packt also aus, eine Woche nach der dürftigen Einlassung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Auch für ihn steht in diesem Verfahren viel auf dem Spiel: Wohlleben ist beschuldigt der Beihilfe zum Mord in neun Fällen – denn er soll die Pistole Ceska 83 organisiert haben, mit der die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen haben. Ihm, der wie Zschäpe in Untersuchungshaft sitzt, droht eine lange Gefängnisstrafe.

Auch mit langfristiger Ankündigung würde das Timing von Wohlleben Fragen aufwerfen: Warum erst jetzt, nach zweieinhalb Jahren Schweigen? Warum so kurz nachdem Zschäpe gleichsam wortreich wie substanzarm ihre Unschuld beteuerte? Wer in diesen Tagen im NSU-Prozess auspacken will, darf sich nicht wundern, wenn ihm Misstrauen entgegenschlägt.

Wohlleben setzt wie Zschäpe auf eine schriftliche Aussage, die er allerdings selbst verliest. Im Anschluss will er Fragen beantworten, nicht nur die des Gerichts, sondern aller Prozessbeteiligter – vorausgesetzt, es handle sich bei den Fragen nicht um „Szenevoyeurismus“, wie Anwältin Schneiders einschränkend sagt.

Also darf Wohlleben loslegen, zur Pein weitgehend unvorbereiteter Medienvertreter. Er schildert sein Aufwachsen in Jena – abgebrochene Ausbildungen, Arbeit in Handlangerjobs, das Leben in einer Art Nazi-WG, die als „Braunes Haus“ bekannt ist. Anfang der neunziger Jahre lernte er nacheinander Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe kennen.

Mundlos als „Schwiegermuttis Liebling“

Böhnhardt sei introvertiert gewesen, zugleich schwer begeistert von Waffen. So habe er sich etwa eine Axt und eine Zwille zugelegt. Mundlos lernte er kennen als „Schwiegermuttis Liebling“, immer redegewandt und kontaktfreudig. Zschäpe war „schlagfertig und witzig“, er habe sie sympathisch gefunden. Allerdings habe er sie immer als Anhängsel ihres damaligen Freundes Böhnhardt wahrgenommen. Sie wurden Freunde, fuhren in den Urlaub, gingen auf Konzerte.

Eine weitere Person, auf die Wohlleben in der Szene aufmerksam wurde: Tino Brandt, Vordenker der Rechten in Thüringen und heimlicher V-Mann. Brandt brachte den jungen Neonazi in die NPD, installierte ihn schließlich auf dem Posten des Pressesprechers und als Abgeordneten in einem Stadtteilparlament. Auch Zschäpe hatte Brandt als wichtigen Treiber der Szene geschildert.

Wohlleben ist mittlerweile selbst eine Ikone der Szene. Im Internet gab es mal T-Shirts mit der Aufschrift „Freiheit für Wolle“ zu kaufen, eine Solidaritätsaktion für den eingesperrten Kameraden. Wohlleben allerdings benutzt andere Ausdrücke, er erwähnt die Begriffe „Netzseiten“ und „T-Hemden“.

Ende Januar 1998 mussten seine Freunde Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt vor der Polizei fliehen. Ermittler hatten in einer von Zschäpe gemieteten Garage Sprengstoff gefunden. Wohlleben lieh den dreien für die Flucht sein Auto.

Doch seine wahre Aufgabe begann erst danach: Gemeinsam mit dem Trio baute er ein klandestines Kommunikationsnetz aus Telefonzellen auf, durch die man sich zu festen Zeiten anrief. Wohlleben leitete mal eine Spende von Brandt über 500 Euro an die Untergetauchten weiter, dann holte er persönliche Sachen ab, die noch bei Böhnhardts Eltern gelegen hatten.

Die Sache mit der Waffe

Und schließlich kam die Sache mit der Waffe für das Trio, in die er gemeinsam mit dem ebenfalls angeklagten Carsten S. verstrickt sein soll. Der Anklage zufolge hatte Wohlleben dem damals noch sehr jungen Kameraden die Anschaffung einer Pistole und deren Transport an Mundlos und Böhnhardt befohlen.

S. hatte bereits zu Prozessbeginn umfassend ausgesagt und die Geschichte so geschildert: Die abgetauchten drei wünschten sich per Telefon eine Pistole, „möglichst deutschen Fabrikats“. Daraufhin habe er Wohlleben gefragt, der ihm 2.500 Mark zusteckte und in den Jenaer Szeneladen Madley schickte. In dem Geschäft kaufte S. die Waffe unter dem Ladentisch vom Inhaber. Später sei er nach Chemnitz gefahren, wo er Mundlos und Böhnhardt die heiße Ware in einem abgebrochenen Haus übergab.

Wohllebens Version unterscheidet sich in einigen Punkten – nämlich in allen, die ihn zum Mitschuldigen an den terroristischen Morden machen würden. Demnach habe Uwe Böhnhardt zuerst Wohlleben nach einer Waffe gefragt und dabei einen klaren Zweck benannt: Bevor er verhaftet würde, wolle er sich eher selbst töten. Wohlleben will jedoch abgelehnt haben, um nicht an Böhnhardts Selbstmord schuld zu sein. Daraufhin habe sich das Trio an S. gewandt.

Tatsächlich habe er S. später empfohlen, das Szenegeschäft aufzusuchen. Aber: „Ich dachte nicht, dass er dort eine Waffe bekommen werde.“ Nachdem dies doch gelungen war, brachte S. die Waffe zu Wohlleben – der nahm sie in die Hand und schraubte probehalber den mitgelieferten Schalldämpfer auf. Diese Episode schildern beide Angeklagten.

Wieso schaute er sich eine Waffe an, mit der er nichts zu tun haben wollte?

Bei Wohlleben allerdings ergibt sie weniger Sinn: Wieso schaute er sich eine Waffe an, mit der er nichts zu tun haben wollte? Und wie konnte er glauben, eine Pistole mit Schalldämpfer werde für einen Selbstmord eingesetzt?

Wohllebens Aussage ähnelt der von Beate Zschäpe: Demnach war man zwar rechtsextrem engagiert, lud jedoch allenfalls moralische Schuld auf sich. Passend dazu schiebt der Angeklagte ein weiteres Detail ein: Demnach beschwerte sich Böhnhardt, die Waffe funktioniere nicht.

In diesem Punkt widerspricht er der Aussage von Zschäpe. Diese hatte mitgeteilt, Mundlos und Böhnhardt hatten 2007 zwei Polizisten in Heilbronn überfallen, um an deren Dienstwaffen zu gelangen. Die Pistolen aus dem NSU-Fundus hätten immer wieder Ladehemmungen gezeigt. In all den Jahren dazwischen wäre die Ceska-Pistole demnach zuverlässig gewesen.

Auch der Mitangeklagte Holger G. hat zu Prozessbeginn ausgesagt, er sei von Wohlleben mit dem Transport einer Waffe an die drei beauftragt worden. Wohlleben glaubt hingegen, dass G. „durch die Lüge verschleiern will, von wem er die Waffe wirklich erhalten hat“.

Hilfe, ich bin in ein Terrorkomplott verwickelt worden!

In all den Worten steckt die Botschaft, die auch Zschäpe schon aussenden wollte: Hilfe, ich bin durch unglückliche Umstände in ein Terrorkomplott verwickelt worden! So will Wohlleben den dreien zwar „die Flucht vereinfacht“ und eine „gewisse Unterstützerleistung“ entfaltet haben, doch habe er keineswegs etwas von Straftaten geahnt – eine Voraussetzung, um als Mord-Beihelfer verurteilt zu werden.

Entsprechend beteuerte Wohlleben, dass natürlich keine der NSU-Taten in seinem Sinne gewesen sei: „Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl.“ Er habe sich nicht vorstellen können, dass Mundlos und Böhnhardt zu Morden in der Lage seien. Die NSU-Gruppe habe er nur aus Freundschaft bei der Flucht unterstützt – „ich hätte es besser nicht getan“.

Die Taktik hinter der Aussage ist unübersehbar, auch wenn Wohlleben sich anders als Zschäpe dem Risiko aussetzt, direkt Fragen des Richters zu beantworten. Am Donnerstag soll er sich zu seinen Lebensumständen äußern, auf Fragen zur Anklage will er erst im neuen Jahr eingehen – wahrscheinlich, nachdem Zschäpe bereits schriftliche Antworten auf Fragen von Richter Götzl vorgelegt hat. Nicht, dass noch einer von beiden zu viel verrät.