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Die Waffen-Mafia von Thüringen

 

Stammten Waffen des NSU aus der organisierten Kriminalität? Ein Zeuge aus dem Milieu könnte Hinweise liefern – erzählt aber lieber Anekdoten aus seiner Zeit als Gangster.

Sein Name ist Jens L., 49 Jahre alt, tätig als „Berufskraftfahrer nachm Knast“. Seine Adresse will er nicht nennen, denn die sei dann sicher in der Presse nachzulesen, glaubt L. Und dann, fürchtet er, könnte es für ihn sehr unangenehm werden: „Wozu? Damit ich zuhause ne Kugel in den Kopf kriege?“

Schließlich sei er alleinerziehend und lebe mit seiner vierjährigen Tochter zusammen. L. hat sich im Laufe seines Lebens nach eigenen Angaben mit zahlreichen gefährlichen Leuten eingelassen, war von 1992 bis 2000 Mitglied einer „der führenden Banden im Raum Thüringen“. Dafür saß er neuneinhalb Jahre in Haft – Reue oder Abkehr schwingen bei ihm dennoch nicht mit.

Zwischen der kriminelle Szene – befasst mit Drogenhandel, Prostitution und Waffenschmuggel – und der rechten Szene gab es fließende Übergänge. Auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die sich nach ihrer Flucht in den Untergrund 1998 reichlich mit Waffen eindeckten, könnten entsprechende Kontakte gehabt haben. Mit der Pistole Ceska 83 sollen Mundlos und Böhnhardt neun Menschen erschossen haben. Stammten die Waffen aus den Händen der örtlichen organisierten Kriminalität?

L. ist in dieser Beziehung überaus schmallippig – was so gar nicht zu dem schillernden Leben passt, das der stämmige Mann mit Halbglatze und Tätowierung an der linken Halsseite vor Gericht schildert. Demnach stand er in der zweiten Reihe der Jenaer Bande, die von den Zwillingen Gil und Ron E. angeführt wurde. Auch ihnen steht noch eine Aussage in München bevor.

L. reiste in den wilden neunziger Jahren begleitet von seinen eigenen Personenschützern durch die Gegend, auch durch Osteuropa, um Waffendeals einzufädeln. So filmreif wie das klingt, war es dem Zeugen zufolge auch – ein Tingeln „zwischen Koks, Bumsen und Hotelleben“. Dann habe er sich „drei, vier Gramm durch die Nase gezogen und mir einen blasen lassen“, während die Leibwächter das eigentliche Geschäft abwickelten. So erzählt er das mit seiner heiseren, dröhnenden Stimme.

In dieser Zeit sammelte L. pro Woche angeblich 100.000 Euro ein und fuhr einen Lamborghini, den er im Parkverbot abstellen konnte, ohne einen Strafzettel zu kriegen. Den Großteil der Waffen musste er allerdings nicht importieren, weil sie praktisch vor der Haustür lagen: Man habe sie von russischen Soldaten und Offizieren bekommen, die in der Nachwendezeit ihre Kasernen räumten, ein paar seien noch von der italienischen Mafia und aus der Schweiz besorgt worden. Von einem dortigen Waffenhändler, allerdings ganz normal mit Quittung verkauft, stammt auch die Ceska-Pistole.

Die Waffen habe man damals „eigentlich hinterhergeworfen gekriegt“, sagt L., Pistolen habe er sogar unter seinem Kopfkissen gebunkert. Eine Kalaschnikow habe innen an seiner Wohnungstür gehangen. Wenn die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss vorbeikam, erzählte er, es handle sich um eine Wasserpistole. Das genügte.

Vier Waffenlager hätten L. und die Zwillingsbrüder eingerichtet, es gab Maschinenpistolen, Handgranaten und angeblich auch zwei Ceskas. Wobei nichts dafür spricht, dass es sich bei einer davon um die NSU-Pistole handelte. Beide Exemplare will er vor seine Haftzeit an zwei Jugoslawen verkauft haben.

Grund für die ausufernde Waffensammlung war in erster Linie die eigene Hochrüstung. Konkurrierende Banden aus der Türkei, Tschetschenien und Polen, „wo sie alle herkamen, aus ihren Löchern“, hätten ihnen das Geschäft mit billig gestreckten Drogen schwergemacht. Die heimischen Neonazis sollten als Verbündete dienen: „Die rechte Szene sollte bewaffnet werden“, sagt L. Ob dies auch geschehen sei, wisse er nicht. Die Entscheidung habe bei den Brüdern gelegen.

Die Aussage ist im Sinne des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, der die Ceska um die Jahrtausendwende herum durch Kontakte organisiert haben soll. Seine Verteidiger haben sich vor geraumer Zeit auf eine bestimmte Strategie festgelegt – demnach kursierten in der rechten Szene ständig Waffen, auf Wohlleben als Beschaffer wäre es gar nicht angekommen.

Das bestätigt L. zwar – hilfreich sind seine Angaben bei der Entlastung aber nicht. Zur Tatwaffe an sich ist von ihm nichts zu erfahren, außerdem hat L. ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Der stiernackige Mann gefällt sich in der Rolle des Gangsters, einer Art Thüringer Al Capone. Einer, der auch in Gegenwart der Richter nicht vor Obszönitäten zurückschreckt und den Prozess als Farce sieht, in dem das Urteil schon feststehe. Auf so jemanden lässt sich kein Plädoyer bauen.

Zumal er an den wichtigen Stellen plötzlich wenig bis nichts mehr wissen will. Uwe Böhnhardt habe er vielleicht mal in Jena gesehen, bei Uwe Mundlos sei er sich unsicher, Zschäpe kenne er nicht. Die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André E. allenfalls vom Sehen. Mag die rechte Szene Waffen erhalten haben – es gibt keine Indizien, dass auch Köpfe aus dem NSU-Umfeld dazu zählten.

Richter Manfred Götzl fragt L., ob Gil und Ron E. mit Mundlos oder Böhnhardt in Kontakt gekommen seien. Da macht der Zeuge zu: „Sie bringen mich mit solchen Fragen in sehr große Schwierigkeiten“, sagt er und weist auf seine Tochter hin. „Ich soll mein Leben für dieses marode System opfern?“, schiebt der Zeuge hinterher. Erst nachdem ihn Götzl darauf hinweist, dass dies kein Grund für eine Aussageverweigerung sei, bringt L. ein neues Argument: Er könnte sich mit den Aussagen selbst belasten – was angesichts seines Lebenslaufs plausibel erscheint.

Götzl entscheidet, dass L. zu einem neuen Termin kommen muss und dazu einen Rechtsanwalt mitbringen darf. Damit dürfte die kleinste Chance verflogen sein, Informationen von dem halbseidenen Zeugen zu bekommen.