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Wie die Fahndung nach den Terroristen behindert wurde

 

Der Verfassungsschutz hat möglicherweise die Festnahme des NSU-Trios verhindert, wie im Münchner Prozess bestätigt wurde. Doch wer genau verantwortlich war, bleibt weiter geheim.

Im September 1998 liefen in einigen ostdeutschen Amtsstuben die Telefone heiß: Es gab einen Kontaktmann! Jan W., ein Rechtsextremist aus Chemnitz, war womöglich der Schlüssel zu drei abgetauchten Bombenbauern aus Jena – Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Einem Tipp des Brandenburger Verfassungsschutzes zufolge hatte W. den Auftrag, den dreien eine Waffe zu beschaffen. Es gab also nicht nur eine heiße Spur, sondern auch Zeitdruck – schließlich waren die drei offensichtlich gewaltbereit.

Drei Tage nachdem die Brandenburger den vielversprechenden Vermerk geschrieben hatten, kam es zu einer geheimen Konferenz im Potsdamer Innenministerium, an der auch Vertreter der Verfassungsschutzämter aus Thüringen und Sachsen teilnahmen. Zeugnis darüber ist ein Protokoll des Treffens, das die sächsischen Kollegen verfassten. Am Dienstag verlas ein Richter im NSU-Prozess das Dokument. Es belegt: Das Brandenburger Ministerium verhinderte aktiv die Suche nach den drei Untergetauchten.

Grund dafür war der sogenannte Quellenschutz. Die Information über Jan W., Anführer des berüchtigten Neonazi-Netzwerks Blood & Honour, stammte vom V-Mann Carsten Sz. alias Piatto. Dieser, wegen versuchten Mordes vorbestraft, genoss bei den Verfassungsschützern einen erstklassigen Ruf. Etliche Meldungen diktierte er seinem Quellenführer in den Block, meist ging es um Demonstrationen und Konzerte.

Ausgerechnet bei der Meldung zu Personen auf der Fahndungsliste machte das Ministerium jedoch einen Rückzieher und erklärte sich „nicht bereit, die Quellenmeldung als solches für die Polizei ‚freizugeben'“, wie es im Protokoll heißt. Die Beamten fürchteten, dadurch könnte Sz. als Spitzel auffliegen.

Überfall zur Vorbereitung der Flucht

Das Thüringer Landeskriminalamt (LKA), das von den Thüringer Verfassungsschützern informiert worden war, stand damit vor einem Problem: Damit die Fahnder über Jan W. an das Trio kommen konnten, musste ein Amtsrichter einen Überwachungsbeschluss genehmigen, um W. zu observieren und sein Telefon abzuhören. Doch für die Genehmigung hätte das Ministerium die Quellenmeldung freigeben müssen.

Schon am Vorabend hatte der damalige LKA-Präsident von Thüringen, Egon Luthardt, die Brandenburger um die Freigabe gebeten – ohne Erfolg. So saßen am 17. September sieben Beamte zusammen und diskutierten erneut über den Umgang mit der heißen Meldung. Auch ein weiterer Hinweis aus Piattos Meldung machte deutlich, dass die Zeit drängte: Nach Entgegennahme der Waffe wollte das Trio einen Überfall begehen, um mit dem Geld rasch aus Deutschland zu fliehen – als Ziel war Südafrika im Gespräch.

Heute ist bekannt, dass die Flucht wahrscheinlich am Widerstand von Beate Zschäpe gescheitert wäre, wie sie in ihrer Aussage vom Dezember 2015 verlesen ließ. Doch das konnten die Verfassungsschützer damals nicht wissen. Während die anderen Ämter Druck machten und größtmögliche Vertraulichkeit zusicherten, blieb das Innenministerium bei seiner Position – der Bericht blieb gesperrt.

Die Namen bleiben geschwärzt

Die Frage nach dem Sinn von V-Männern stellten sich die Beamten damals wohl nicht. Wenn die Spitzeldienste nicht nützlich sind, um gewaltbereite Extremisten aufzuspüren – wozu dann? Um ab und zu mal ein Konzert mit bierbäuchigen Glatzköpfen im Publikum zu sprengen?

Über diese zweifelhafte Einstellung hätten die Anwälte der Nebenkläger im NSU-Prozess gern mehr erfahren – etwa die Identität der Verantwortlichen, die den Datenschutz für ihren Informanten zur obersten Prämisse erklärt hatten. Doch die Namen aller sieben Teilnehmer der eilig abgehaltenen Konferenz sind in dem Protokoll geschwärzt.

Deshalb hatten die Opfervertreter bereits früher einen Antrag gestellt, eine ungeschwärzte Version in den Prozess einzuführen. Nach der Verlesung verkündete Richter Manfred Götzl nun die Entscheidung: Zum Piatto-Hinweis gibt es keine weiteren Ermittlungen. Wer genau für die Geheimnistuerei verantwortlich war, bleibt ein Geheimnis. Einen neuen Anlauf zur Aufklärung könnte noch der Untersuchungsausschuss des Bundestags nehmen.

Wie an diesem Dienstag ebenfalls deutlich wurde, könnte es demnächst zu einer neuen Vernehmung des Thüringer Rechtsextremisten Tino Brandt kommen. Er lernte das spätere NSU-Trio während der neunziger Jahre in seiner Organisation Thüringer Heimatschutz kennen und gab als V-Mann Informationen an den Verfassungsschutz weiter.

Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hatten beantragt, Brandt zu laden, weil sie vermuten, dass dieser dem ebenfalls angeklagten Carsten S. Geld gab, um die spätere Mordwaffe des NSU zu besorgen. Das hatte Wohlleben in seiner Aussage vom vergangenen Dezember behauptet. Die Verteidigung wirft Wohlleben vor, er habe S. das Geld gegeben und ihn zum Waffenkauf angestiftet. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft traten dem Antrag nicht entgegen. Damit gilt als wahrscheinlich, dass das Gericht der Forderung stattgibt.