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Das Geheimnis der Brandenburger Akte

 

Es ist eins der größten Rätsel im NSU-Fall: Der Brandenburger Verfassungsschutz verhinderte möglicherweise die Festnahme des Trios – doch wer genau? Aufklärung bringt auch die Vernehmung eines wichtigen Quellenführers nicht.

Es ist jedes Mal ein bisschen wie Karneval, wenn der Zeuge Reinhard G. den Verhandlungssaal im Münchner Oberlandesgericht betritt: Auf dem Kopf eine schwarze Perücke, von der ein paar Strähnen unter der Kapuze des grauen Pullovers herausschauen. Die bizarre Maskerade dient dem Schutz eines Beamten, der an entscheidender Stelle für den Brandenburger Verfassungsschutz tätig war: Er protokollierte als Quellenführer den Tipp eines V-Manns, mit dem das NSU-Trio womöglich schon vor dem ersten Mord hätte gefasst werden können. Bereits zum vierten Mal ist er deshalb in den Prozess geladen.

Allerdings kann sich G. wie in seinen vorigen Vernehmungen nur an wenige Vorgänge aus dem Jahr 1998, als er den Hinweis erhielt, erinnern. Ob tatsächlich sein Gedächtnis streikt oder ob der 63-Jährige die Tatsachen so wie seine eigentliche Frisur verbirgt, bleibt sein Geheimnis.

Ebenso geheim ist weiterhin eine wichtige Frage im NSU-Komplex: Wer war dafür verantwortlich, dass nach dem Hinweis des Informanten nichts geschah, um das untergetauchte Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu ergreifen?

Im Zentrum des Vorfalls steht der V-Mann Carsten Sz. alias Piatto. Er teilte G. Mitte September 1998 mit, dass der Chemnitzer Rechtsextremist Jan W. den Auftrag hatte, den dreien eine Waffe zu beschaffen, mit der Überfälle verübt werden sollten. Erst im Januar desselben Jahres war das Trio abgetaucht, weil Polizisten eine Garage mit Sprengstoff entdeckt hatten. Piattos Quellenführer schrieb mit und verfasste eine sogenannte Deckblattmeldung.

Die ging auch an das Thüringer Landeskriminalamt – das die Möglichkeit witterte, W. zu beschatten und so auf die Fährte des aus Jena stammenden Trios zu kommen. Um W. zu observieren und sein Telefon abzuhören, hätte jedoch ein Amtsrichter einen Überwachungsbeschluss genehmigen müssen. Dafür brauchte es die Meldung aus Brandenburg – doch die gab das Innenministerium, zuständig für den Verfassungsschutz, nicht zur Vorlage an das Gericht frei. Sie fürchteten, die Identität des V-Manns könnte bekannt werden.

Die Thüringer bemühten sich nach Kräften, die Verantwortlichen bei der Behörde umzustimmen. Drei Tage nach der Meldung kam es zu einer geheimen Konferenz im Potsdamer Innenministerium, an der auch Vertreter der Verfassungsschutzämter aus Thüringen und Sachsen teilnahmen. Doch am Ergebnis änderte sich nichts.

Nicht öffentlich dokumentiert war bislang, wer an dem Beschluss mitgewirkt hatte. Interessanterweise lagert die vollständige Antwort wohl nur einige Meter vom Münchner Gerichtssaal entfernt: Bei einer früheren Vernehmung im Juli 2015 hatte Zeuge G. einen Aktenordner bei sich, in dem dienstliche Berichte abgeheftet waren. Nach Forderungen der Nebenklageanwälte ließ Richter Manfred Götzl den Ordner beschlagnahmen.

Sein genauer Inhalt ist unbekannt. Das Brandenburger Innenministerium hat die Schriftstücke zur Verschlusssache erklärt. Nach der Beschlagnahmung allerdings übersandte die Behörde Kopien der enthaltenen Dokumente, einschließlich des Berichts über das Treffen der Verfassungsschützer im September 1998. Mit einer Einschränkung: Die Namen der sieben Teilnehmer sind in der Ablichtung geschwärzt. Einen Antrag der Nebenklagevertreter, eine ungeschwärzte Version in den Prozess einzuführen, wies Götzl zweimal ab – zuletzt am Mittwoch.

G., der das Schriftstück im Original gelesen hat, bestätigt auf Frage von Nebenklageanwalt Thomas Bliwier zumindest zwei Teilnehmer aus Thüringen: den damaligen Vizepräsidenten des Innenministeriums, Peter Nocken, und Friedrich-Karl Schrader, der mehrere Jahre Leiter eines Referats für die Überwachung der rechten Szene war. In den Untersuchungsausschüssen wurden die beiden Beamten soweit bekannt nicht nach den Vorgängen auf der Konferenz befragt.

Weiter geheim sind indessen die Namen der Brandenburger Teilnehmer – also jener, denen der Schutz der wertvollen Quellen offenbar über alles andere ging. Wer vertrat in der Behörde die Meinung, kein Risiko dürfe eingegangen werden, wenn dadurch der Informationsfluss versiegen könnte.

Interesse an weiterer Erhellung der Geschehnisse von 1998 scheint in Brandenburg nicht zu bestehen. Der Fall Piatto bleibt damit einer der rätselhaftesten im NSU-Komplex.