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Zschäpes letzte Geheimnisse

 

Wie wählte der NSU seine Opfer aus? Dieser entscheidenden Frage war Beate Zschäpe bislang ausgewichen. Jetzt entschieden die Richter: Die Angeklagte muss sie beantworten.

Für die Hinterbliebenen der Toten war die Frage schon immer da, mindestens, seit 2011 die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufgeflogen war. Die Menschen, die den zehn Mordopfern des Trios aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nahestanden, schleppen sie bis heute mit sich herum. Die Frage raubt Schlaf, zermartert das Gemüt, drückt die, die sie immer wieder stellen müssen, ins seelische Tief.

Wieso er, wieso sie? Wie wählte der NSU seine Opfer aus?

Die Frage ist hochaktuell. Nachdem sie Anfang Juli der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer eingebracht hatte, stellte sie am Mittwoch auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl.

Zschäpe ist die wohl einzige, die eine Antwort geben könnte. Anwalt Scharmer hatte die Frage unter Hunderten anderen gestellt. Vergeblich. Vergangene Woche ließ Zschäpe ihren Anwalt Mathias Grasel mitteilen, dass sie der Nebenklage nicht antworten werde.

Es sei denn, fügte der Verteidiger an, der Strafsenat unter Leitung von Richter Manfred Götzl mache sich die Fragen zu eigen, stelle sie also selbst. Das Gericht machte den Angehörigen nun einen letzten Rest Hoffnung: Nachdem der einzige Zeuge des Tages gegangen war, stellte Götzl die Frage in leicht abgewandelter Form. „Sind Ihnen Kriterien für die Auswahl der Opfer der Tötungsdelikte von Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt bekannt? Gegebenenfalls welche?“, fragte er.

Als Angeklagte ist Zschäpe nicht verpflichtet, irgendetwas auszusagen. Nach ihrer Ankündigung hat sie sich nun jedoch selbst in die Pflicht gestellt. Sollte sie sich an dieser Stelle dem Gericht verweigern, würde sie den denkbar schlechtesten Eindruck hinterlassen. Ihr bleibt keine Wahl.

Insgesamt stellte Götzl mehr als 20 Fragen. Damit will er, ebenfalls wie die Nebenklageanwälte, auch das bislang nur dürr bekannte Leben der NSU-Mitglieder im Untergrund beleuchten. Er fragt nach Gemeinsamkeiten und Konfliktfeldern, nach den Gesprächsthemen der verschworenen Gruppe. Danach hatte sich auch der psychiatrische Gutachter Henning Saß erkundigt, doch ihm wollte Zschäpe gleichfalls keine Informationen liefern.

Götzl fragt auch nach einer Äußerung der Angeklagten, laut der sie sich in einem „emotionalen Dilemma“ befand und keinen Ausweg sah. Er will wissen, ob sie mit jemand anderem darüber gesprochen habe. Zschäpe hatte auch berichtet, dass Uwe Böhnhardt sie mehrmals geschlagen habe. Ob Uwe Mundlos dabei zugegen war und wie er sich verhielt, fragt Götzl. Ebenso, ob dem NSU andere Wohnungen als die derzeit bekannten zur Verfügung standen.

In ihrer ersten Aussage im Dezember sprach Zschäpe davon, „dass ich nun auch in einen Mord verwickelt war“, nachdem sie im Jahr 2000 vom ersten Tötungsdelikt an dem Blumenhändler Enver Simsek erfahren hatte. Was sie mit „verwickelt“ meine, will Götzl wissen.

Ein Brief könnte als Beweismittel verwendet werden

Die letzte Frage: ob es Überlegungen gab, wie sich die NSU-Mitglieder verhalten sollen, wenn die Gruppe auffliegt und die Polizei vor der Zwickauer Wohnung des Trios steht. Die Antwort könnte Rückschlüsse darauf liefern, warum sich Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach in ihrem Wohnmobil erschossen, als eine Polizeistreife aus zwei Mann sie gestellt hatte. Statt eines blutigen Gefechts gab es lediglich wenige Schüsse – obwohl etliche Waffen und reichlich Munition an Bord waren. Das Verhalten der beiden Männer erscheint bis heute unschlüssig.

Am Schluss, fast beiläufig, gibt Götzl Zschäpe noch einen Hinweis zu einem anderen Thema: „Der Senat erwägt eine Briefbeschlagnahme.“ An der Stelle dürfte sich Zschäpes Verteidigung innerlich in Alarmbereitschaft versetzen. Denn die Formulierung deutet darauf hin, dass die Richter einem Antrag sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, zu dem der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann in der vergangenen Woche angesetzt hatte. Er fordert, einen Brief als Beweisstück in den Prozess einzuführen. Das Schreiben hatte Zschäpe 2013 an den damals in Bielefeld inhaftierten Rechtsextremisten Robin S. geschickt. Es wurde abgefangen.

Auf 26 Seiten äußert sie sich dabei zu ihrem Alltag im Gefängnis und zu ihrer Vergangenheit, nicht aber zur Anklage. Hoffmann ist dennoch der Meinung, dass die scheinbar private Mitteilung Zschäpes Widersprüche zu ihren Aussagen vor Gericht aufdeckt. Der Anwalt schaffte es nur, die ersten Zeilen seines Antrags vorzulesen, bis er unterbrochen wurde. Zschäpes Verteidiger forderten, den Antrag nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln – weil auch für Zschäpe das Briefgeheimnis gelte.

Nun haben die Richter darauf hingewiesen, dass sie anderer Meinung sein könnten. Der Angeklagten werden bald nicht mehr viele Geheimnisse bleiben.