Ein psychiatrisches Gutachten empfiehlt die Sicherungsverwahrung für Beate Zschäpe. Ihre Verteidiger werden nervös – und versuchen alles, um die Expertise anzugreifen.
177 Seiten ist das Konvolut lang, das der Psychiater Henning Saß Ende Oktober dem Münchner Oberlandesgericht vorlegte. Eingehend beschäftigt sich der Experte darin mit der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe. In dem vorläufigen psychiatrischen Gutachten lässt er ihr Leben von der Kindheit bis zur Zeit in der Untersuchungshaft Revue passieren, stutzt über ihre Behauptung, in die Mordpläne des NSU nicht eingeweiht gewesen zu sein, und legt dem Gericht am Schluss nahe, gegen Zschäpe zusätzlich zu einer Haftstrafe die Sicherungsverwahrung zu verhängen.
Keine vorteilhafte Aussicht für die Angeklagte, die sich einem Gespräch mit dem Psychiater verweigert hatte. Entsprechend wächst die Nervosität bei Zschäpes Verteidigern. Am Donnerstag zeichnete sich ab, dass das Gutachten im Gerichtsverfahren noch für reichlich Reibung sorgen wird.
Da nämlich kündigte Richter Manfred Götzl an, Saß solle die Ergebnisse seines Gutachtens am 20. und 21. Dezember vorstellen, den letzten Prozessterminen dieses Jahres. Zschäpes erste drei Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm protestierten daraufhin: Es bedürfe ihnen „weiterer eingehender Vorbereitungen“, um sich angemessen mit der Expertise auseinandersetzen zu können, sagte Heer.
Der Einwand überraschte, schließlich liegt das Gutachten bereits einen Monat lang vor. Nebenklageanwalt Bernd Behnke hakte daraufhin nach: „Stimmt es, was kolportiert wird – dass Sie ein Gegengutachten von einem Psychiater erstellen lassen?“ Nach einer Beratungspause bekannten die Zschäpe-Anwälte dann, sie würden sich „externer, fachkundiger Unterstützung bedienen“. Das heißt: Die Verteidiger lassen einen anderen Gutachter das Dokument von Psychiater Saß auf Schwachstellen abklopfen. Das aber dauert offenbar seine Zeit.
Zschäpe reagierte nicht auf den Einwand, ebenso ihr vierter Pflichtverteidiger Mathias Grasel. Zur Erinnerung: Mit Heer, Stahl und Sturm wechselt die Hauptangeklagte seit geraumer Zeit kein Wort mehr. Das Zerwürfnis beruht wohl auch darauf, dass die drei Altanwälte Zschäpe eindringlich davon abrieten, vor Gericht auszusagen – was sie vor einem Jahr erstmals tat.
Nun wird der Riss, der durch die Verteidigung geht, erneut deutlich. Denn im Gutachten differenziert Saß zwischen zwei Möglichkeiten. Die Sicherungsverwahrung empfiehlt er nur für den Fall, dass das Gericht Zschäpe ihre Version nicht abnimmt, nach der sie von den NSU-Verbrechen vorher nichts wusste. Grasel und Zschäpe sind offenbar überzeugt, dass die Richter der Angeklagten Glauben schenken – dann ginge von dem Gutachten keine Gefahr für sie aus.
Heer, Stahl und Sturm, die von Anfang an nichts von einer Aussage hielten, denken hingegen offenbar, das Gericht halte die Einlassung ihrer Mandantin für eine Schutzbehauptung. Sie fürchten das denkbar schlechteste Ergebnis: die Verhängung der Sicherungsverwahrung, was bedeuten würde, dass Zschäpe nach ihrer jahrelangen Strafe weiter im Gefängnis bleiben müsste.
Viel ausrichten können sie wohl trotzdem nicht. Saß gehört zu den Koryphäen der psychiatrischen Begutachtung in Deutschland. Die Methoden, auf die ihn ein anderer Sachverständiger nun kritisch prüfen könnte, hat er selbst mitentwickelt. Dem vorläufigen Gutachten, dem später noch eine endgültige Fassung folgt, dürfte nicht viel entgegenzusetzen sein.
Dass nun ein Termin für den Auftritt des Psychiaters festgelegt ist, markiert abermals das rasch nahende Ende der Beweisaufnahme. Schon in wenigen Wochen könnte es soweit sein, dann wären es nur noch Monate bis zum Urteil.
Auch andere Handlungsstränge kommen langsam zum Schluss. Anwalt Grasel kündigte an, Zschäpe wolle am kommenden Donnerstag „ergänzende Angaben“ machen. Geplant ist, dass die Verteidigung Stellung zum Gutachten bezieht. Auch soll Zschäpe durch ihren Verteidiger die Fragen beantworten, mit denen sich Richter Götzl nach dem Wissen der Angeklagten über den Mord an Peggy Knobloch erkundigt hatte. Nach dem Fund einer DNA-Spur steht ihr früherer Komplize Uwe Böhnhardt im Verdacht, mit der Tat etwas zu tun zu haben.
Auch die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben ließ von sich hören – gleich mehrfach. Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders beantragte, ihren Mandanten „nach einem halben Jahrzehnt“ Untersuchungshaft auf freien Fuß zu setzen. Für Wohlleben bestehe keine Fluchtgefahr, ihm sei sogar eine Arbeitsstelle in Freiheit zugesagt worden.
Schneiders warf den Richtern vor, Zweifel an der Schuld des Angeklagten ignoriert zu haben und durch schlecht geplante Prozesstage das Verfahren verschleppt zu haben. Eine durchaus kühne Behauptung angesichts der Tatsache, dass die Verteidiger selbst mit immer neuen Ablehnungsanträgen gegen die Richter für tageweise Verzögerungen gesorgt hatten. Auch die Aufhebung des Haftbefehls hatten die Anwälte schon mehrmals gefordert – bislang stets erfolglos.
Zudem forderte die Verteidigung, den Mitangeklagten Carsten S. durch einen Psychiater begutachten zu lassen – um nachzuweisen, dass dessen Aussagen „nicht erlebnisfundiert“ seien, sprich gelogen. S. ist der wichtigste Belastungszeuge gegen Wohlleben, gemeinsam sollen sie dem NSU die Pistole besorgt haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen erschossen.
Gegen Ende verkündete Götzl die Entscheidung über zwei Anträge der Wohlleben-Verteidigung, die im Prozess nachweisen wollen, dass der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ermordet wurde. Ziel der Gesuche war offenkundig, die rechtsradikalen Ansichten ihres Mandanten zu relativieren. Das Ergebnis war erwartet worden: Der Richter lehnte ab, Heß‘ früheren Krankenpfleger und einen Historiker aus den Reihen der NPD zu laden.