Beate Zschäpe hat erklärt, warum sie im NSU-Prozess nie Gefühle zeigt. Das Opfer ist mal wieder sie selbst.
Für Beate Zschäpe entscheidet sich in diesen Monaten, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen der Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen der rechten Terrorzelle NSU ist höchstwahrscheinlich. Ebenfalls im Raum steht die anschließende Sicherungsverwahrung wegen anhaltender Gefährlichkeit – das würde Jahrzehnte hinter Gittern bedeuten, womöglich bis zum Tod.
Im Zentrum dieser Überlegungen steht das Gutachten, das der Psychiater Henning Saß über die Hauptangeklagte im NSU-Prozess erstellt hat. Er hält Zschäpe nicht nur für schuldfähig, sondern auch für anhaltend gefährlich, sie habe einen „Hang“ zu Straftaten.
Eigentlich soll Saß das Dokument an diesem Dienstag verlesen, es ist die erste Sitzung nach der Weihnachtspause. Doch zuvor meldet sich Zschäpes Anwalt Mathias Grasel. Er will eine Erklärung im Namen seiner Mandantin abgeben. Es handle sich um eine Stellungnahme zu dem Gutachten, das bereits schriftlich vorliegt – allerdings schon seit über zwei Monaten. Die Verteidigung hat sich Zeit gelassen.
Grasel beginnt mit einer Schilderung des ersten Prozesstags, als Zschäpe den Sitzungssaal betrat und Dutzende Reporter „wie eine Wand“ vor ihr gestanden hätten. Zschäpe war allein, ihre Anwälte standen noch nicht hinter der Anklagebank. Darum habe sie den Fotografen instinktiv den Rücken zugedreht. „Ohne diese Reflexhandlung hätte ich wohl den Tag nervlich nicht durchgehalten“, verliest der Anwalt. Das Kehren des Rückens sei anschließend ein Ritual geworden, ihr „Schutzraum“, der ihr Sicherheit gegeben habe.
Ähnliche Schilderungen tauchen wiederholt in der Erklärung auf. Wann immer Zschäpe auf Journalisten oder Nebenklagevertreter, vor allem aber auf Gutachter Saß, desinteressiert wirkte, will sie in Wahrheit ihre Gefühle verborgen haben. Nötig gewesen sei das aus Selbstschutz. Sie habe vermeiden wollen, in der Verhandlung zusammenzubrechen. Zudem sei sie ständig in der Furcht gewesen, dass sie „wegen falsch verstandener Mimik zu etwas verurteilt werden könnte, was ich nicht getan habe“.
Entspricht dies wirklich ihrer Einstellung, so hätte Zschäpe damit bestätigt, dass ihr Auftreten im Prozess tatsächlich stets auf ein möglichst positives Urteil für sie getrimmt war. Überhaupt spricht die Angeklagte viel von dem Bild, das sie in der Öffentlichkeit abgab. Die Presse habe sie vorverurteilt, etwa als „Teufel“, jegliche Äußerungen würden absichtlich als Lüge und Heuchelei aufgefasst – inklusive der Erklärung vom Dienstag selbst.
In ihrem Inneren habe es jedoch ganz anders ausgesehen. „Manche Zeugenaussagen gingen mir sehr nahe“, lässt Zschäpe wissen, und das seien ihre „wahren Gefühle“ . Sie führt den Moment auf, in dem sich die Mutter des 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat „von Frau zu Frau“ an sie wandte und sie bat, für Aufklärung zu sorgen. Zschäpe saß damals stocksteif da und starrte an die Wand. Sie habe die Haltung einiger Zeugen bewundert, weil ihr so die Folgen der Morde und Anschläge „voll bewusst wurde“.
Das Verbergen von Gefühlen habe sie sich bereits in der Zeit angewöhnen müssen, als sie mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 13 Jahre lang zusammenlebte. Es sei eine Art Überlebensstrategie im „Kreislauf von Isolation, Angst und Resignation“ gewesen. Sie habe sich damals ihre „Gewissenslast“ nicht anmerken lassen.
Die Äußerung lässt sich als indirekte Bestätigung Zschäpes verstehen, dass sich im Prozess ihr Verhalten im Untergrund spiegelte. Tatsächlich positioniert sie sich noch deutlicher als Gutachter Saß, der angemerkt hatte, Situationen im Gerichtssaal ließen sich „nicht ohne weiteres gleichsetzen mit ihrer Stellung gegenüber den damaligen Lebenspartnern“.
Deutlich wird in der Erklärung, wie gut in Zschäpes Weltbild alles zusammenpasst. Die Taten, die Mundlos und Böhnhardt verübten – sie wusste davon, ja, doch stets erst im Nachhinein, wie sie damals in ihrer Aussage mitteilte. Nun die Erklärung für ihren Null-Gestus: Beate Zschäpe hat Gefühle, sie hat sie lediglich nicht gezeigt. Daran sei allerdings nicht nur ihre angebliche Unsicherheit schuld – sondern vor allem ihre drei Pflichtanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, mit denen die Mandantin seit Langem kein Wort mehr wechselt.
Mimik und Gestik habe sie sich nämlich auch versagt, um die „zermürbende Schweigestrategie“ einzuhalten, die ihre Pflichtverteidiger seinerzeit erarbeitet hatten. Der Knoten sei erst im Dezember 2015 geplatzt, als sie zum ersten Mal vor Gericht aussagte, unterstützt von ihren neu hinzugekommenen Anwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert. Damit sei sie „endlich in meinem Sinne verteidigt“ worden. Es ist eine Extra-Klatsche, die Zschäpe wohl nicht auslassen mochte.
Ansonsten ist ihre Einlassung wie üblich streng am Prozessstoff orientiert, in diesem Fall am Gutachten von Psychiater Saß. Es ist der Versuch, die psychiatrische Expertise zum Einsturz zu bringen.
Argwohn weckt aber regelmäßig nicht nur der Inhalt von Zschäpes Erklärungen. Bezeichnend ist das reaktive Verhalten der Verteidigung. Erst als Saß‘ Deutungen von Zschäpes Verhalten im Prozess aktenkundig waren, fühlten sich die Angeklagte und ihre Rechtsbeistände bemüßigt, das Seelenleben Zschäpes zu entblättern. Wieso erst jetzt, wenn nicht aus Taktik? „Das ist ein letztes Aufbäumen“, kommentiert der Nebenklageanwalt Bernd Behnke. Das Gericht werde den Schritt durchschauen, ihr die Taktiererei in der Urteilsfindung sogar ankreiden.
Für eine Wende, selbst für leise Zweifel am Gutachten, ist es mittlerweile zu spät. Als Grasel seinen Vortrag beendet hat, fragt Richter Manfred Götzl: „Frau Zschäpe, waren das Ihre Angaben?“
Zschäpe sagt nichts. Sie nickt.