Der Gutachter Joachim Bauer hatte Beate Zschäpe als psychisch gestörtes Opfer dargestellt. Doch das nützt der NSU-Angeklagten nichts mehr: Das Gericht hat Bauer für befangen erklärt.
Ein entlastendes Gutachten über Beate Zschäpe wird für das Urteil im NSU-Prozess definitiv keine Rolle mehr spielen: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl gab am Dienstag einem Befangenheitsantrag mehrerer Anwälte der Nebenklage gegen den Psychiater Joachim Bauer statt. Damit bestätigte er, dass „berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit“ von Bauer vorliegen.
Die Entscheidung disqualifiziert die Analyse des Freiburgers als ein Dokument, dessen Ergebnis von Anfang an feststand. Für die Richter ist es wertlos.
Beauftragt wurde Bauer nicht von Götzl und seinen Kollegen des 6. Strafsenats am Münchener Oberlandesgericht, sondern von Zschäpes neuen Verteidigern Mathias Grasel und Hermann Borchert. Gedacht war seine Expertise als Gegengewicht zu dem vom Gericht bestellten Psychiater Henning Saß, einem seit Jahrzehnten erfahrenen Gutachter in Strafprozessen.
Dessen Ergebnis war für Zschäpe niederschmetternd: Er stufte sie in Bezug auf die Anklagevorwürfe – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle – als schuldfähig ein. Zschäpes Aussage, nach der sie nicht in die Morde eingeweiht gewesen sein will, schenkte er erkennbar keinen Glauben. Damit legte er dem Gericht auch nahe, die Sicherungsverwahrung zu verhängen. Grundlage des Gutachtens waren Beobachtungen aus dem Gericht, die Ermittlungsakten und Zeugenaussagen. Einem Gespräch mit Saß verweigerte sich Zschäpe stets.
Unter dem Eindruck des verheerenden Ergebnisses wandten sich Grasel und Borchert an Bauer, der in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht als Sachverständiger für Strafprozesse aufgefallen war. Dem 65-Jährigen erlaubte Zschäpe dann auch, mit ihr im Gefängnis zu sprechen – insgesamt 16 Stunden lang.
Was entstand, war ein rundum positives Bild von Zschäpe. Die Angeklagte litt Bauers Diagnose zufolge an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung, klammerte sich also macht- und willenlos an andere – in dem Fall ihre Lebenspartner Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Sie habe eine „verschärfte Geiselhaft“ durchlitten, führte er vor Gericht aus. Außerdem habe Zschäpe ihm von brutaler Gewalt und sexuellen Übergriffen durch Böhnhardt berichtet. Sein Fazit: „Es ist klargeworden, dass Frau Zschäpe bei den Morden nicht die treibende Kraft war. Das ist gegen ihren Willen passiert“, sagte Bauer.
Deshalb von einem echten Vorteil für Zschäpe zu sprechen, wäre allerdings übertrieben. Zu linkisch wirkten Bauers Auftritte vor Gericht, zu unglaubwürdig, dass der Psychiater auf Grundlage eines winzigen Ausschnitts aus dem Komplex NSU nun bessere Einschätzungen liefern würde als sein Kollege Saß. Das dürften auch die Richter so gesehen haben.
Es sei der Eindruck entstanden, dass Bauer sein Gutachten „nicht frei von innerer Beteiligung, sondern ergebnisorientiert erstellt“ habe, heißt es in dem Gerichtsbeschluss. Es ist das erste Mal, dass in dem Prozess ein Befangenheitsantrag positiv beschieden wurde. Alle anderen Gesuche dieser Art zielten stets auf die Richter.
Diese beziehen sich in der Begründung allerdings nicht auf Bauers Gutachten an sich, sondern auf eine Email aus Bauers Feder. Am 21. Mai, drei Tage nach seiner letzten Vernehmung vor Gericht, bot er dem Chefredakteur der Welt einen „exklusiven Beitrag“ über den NSU-Prozess an. Auch einen Grund für seine Kontaktaufnahme nannte er: „Eine Hexenverbrennung soll ja schließlich Spaß machen.“ Er fühlte sich vor allem von den Medien unfair dargestellt.
Dieser Akt des Nachkartens zeigt laut Gericht, dass Bauer den Prozess als Hexenverbrennung betrachtet – und nicht, wie er in einer nachgeschobenen Stellungnahme mitteilte, die Berichterstattung. Daraus folge, dass der Psychiater die Angeklagte vor der vermeintlich nicht gerechtfertigten Anklage „in Schutz nehmen will“ – ein ausgewogenes Gutachten ist demnach unmöglich.
Bauer will auch dies so nicht stehen lassen. Den Vorwurf der Befangenheit weist er „mit Nachdruck zurück“, wie es in einer Stellungnahme heißt, die der Psychiater von einer Kommunikationsagentur verschicken ließ. Erneut kritisiert er darin seinen Kollegen Saß, dem „Fehleinschätzungen“ unterlaufen seien.
In Erinnerung bleiben wird von Bauers Gastspiel im Prozess nicht viel – dafür aber von Zschäpes Verhalten. Auffällig, dass sie nur mit einem Gutachter sprach, den ihre Verteidiger zuvor handverlesen hatten, nicht aber mit dem vom Gericht beauftragten Psychiater. Mit jedem neuen Manöver schärfen die Angeklagte und ihre Anwälte das Profil einer Verteidigung, die nur auf taktische Vorstöße setzt.
Bauer jedenfalls will den für ihn unrühmlichen Fall hinter sich lassen: „Dieses Kapitel meiner gutachterlichen Tätigkeit im Fall Zschäpe ist für mich hiermit abgeschlossen“, schreibt er. Auch im Prozess kann in Kürze ein neues Kapitel beginnen: Das Ende der Beweisaufnahme rückt mit jedem erledigten Antrag näher.