Mit viel Streit sind die Schlussvorträge der Opfervertreter im NSU-Prozess angelaufen. Statt um Inhalte geht es um die Frage: Wo liegen eigentlich die Grenzen eines Plädoyers?
Der Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler ist ein besonderes Phänomen des NSU-Prozesses: In den viereinhalb Jahren Prozessdauer hat er sich außerhalb des Gerichts mehr Gehör verschafft als innerhalb. Anne Will, Hart aber fair – Daimagüler ließ kaum einen Talkshowsessel kalt werden, wenn es über Themen wie Flüchtlinge oder Integration etwas zu sagen gab. Und natürlich über den Prozess, in dem er zwei Nürnberger Familien vertritt, deren Angehörige vom NSU ermordet wurden.
Im Verfahren selbst indes blieb Daimagüler dagegen überraschend farblos. Im Vergleich zu anderen Opfervertretern meldete er sich nur selten mit Fragen an Zeugen oder Stellungnahmen. Wortführer waren andere.
Bis jetzt. Daimagüler macht vom Recht der Nebenklageanwälte Gebrauch, ein eigenes Plädoyer zu halten, nachdem die Bundesanwaltschaft bereits lebenslange Haft für Beate Zschäpe und hohe Strafen für die anderen Angeklagten gefordert hatte. Mit seinem bereits am Mittwoch begonnenen Vortrag hat er eine Debatte darüber entfacht, wie ausufernd ein Plädoyer sein darf. Und wie so häufig in diesem Verfahren überlagert die Diskussion den Inhalt.
Daimagüler will klarmachen, wie seine Mandanten, Angehörige der Mordopfer Ismail Yasar und Abdurrahim Özüdoğru, unter den einseitigen Ermittlungen der Polizei gelitten hätten. Es geht um die These des institutionellen Rassismus, nach der die Opferfamilien von den Behörden systematisch benachteiligt worden seien – etwa weil Ermittler den Toten und ihren Verwandten eine Verwicklung in die organisierte Kriminalität unterstellten.
Der Anwalt bettet seine Argumente in den größtmöglichen Zusammenhang. Da heißt es, der NSU-Prozess finde „nicht im gesellschaftlichen Vakuum statt“ oder: „Nicht der Rassismus scheint das Problem zu sein, sondern das Thematisieren des Rassismus.“
Der Verteidigung gehen diese Ausführungen zu weit. Für Beate Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer ist das Plädoyer nichts weiter als eine „politische Rede“. Sein Kollege Wolfgang Stahl nennt es „weitschweifig, unnütz, überflüssig“. Daimagülers Ziel sei stattdessen „eine Beleidigung und Herabsetzung von Verfahrensbeteiligten“. Worin Stahl diese erkennt, bleibt sein Geheimnis.
Zunehmend klarer wird aber, dass sich während der Plädoyers die vielen Spannungen entladen, die Verteidigung und Nebenklage in der langen Prozesszeit aufgebaut haben. Es gab Tage, da schrien mehrere Anwälte wild durcheinander. Beide Seiten hatten einander nichts geschenkt. Nur: In diese Konflikte schaltete sich Daimagüler selten ein.
Nun aber scheut er die Auseinandersetzung nicht: „Was ich vortrage, ist die ungefilterte Sicht der Überlebenden. Sie werden diese Stimme nicht zum Schweigen bringen.“ Ein Totschlagargument, mit dem er die Verteidiger in die Nähe staatlicher Vertuscher rückt – und sich selbst zur moralischen Institution macht.
Die Diskussion heizt sich auf, andere Nebenklagevertreter springen Daimagüler bei. Anwalt Sebastian Scharmer greift Stahls Vorwurf auf, Daimagüler wolle Verfahrensbeteiligte herabsetzen. „Die Beanstandung läuft darauf hinaus, dass hier Rassismus thematisiert wird. Interessant, dass Sie das auf sich beziehen.“
Richter Manfred Götzl entscheidet nach mehreren längeren Pausen, dass der Opfervertreter weitermachen darf. Doch die Stimmung bleibt explosiv. Daimagüler trägt vor, in der Diskussion über den NSU werde das Thema Rassismus unterdrückt. „Das sind Verteidigungsmechanismen derer, die sich davon angesprochen fühlen.“ Heer ruft dazwischen, er meint, dass Daimagüler ihn bei diesem Satz absichtlich angeschaut habe. Und zwar „mit einem süffisanten Lächeln! Das ist eine Beleidigung, das ist strafbar!“
So bleibt vom Plädoyer des Nebenklagevertreters hauptsächlich der Streit um den Vortrag im Gedächtnis, die Opfer selbst rücken unweigerlich in den Hintergrund. Klar ist, dass der NSU-Prozess ein Prüfstein der selbstbewussten Demokratie ist. Doch ob die Debatte darum selbst in das Verfahren hineingehört, ist streitbar. Dass die Prozessparteien zu einer Einigung darüber kommen, ist fraglich.
Daimagüler wird auch an diesem Tag nicht fertig. Erneut zeichnet sich ab, das bis zum Urteil noch eine lange Durststrecke zu überwinden ist.