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Flughafen Tempelhof: Die unendliche Geschichte

Mein Lieblingsflughafen Tempelhof, den ich gerne auch Teghafen Flumpelhof nenne, er ist eine 1a – Projektionsfläche. Für manche ist er Stätte einer Verschwörung, für andere – hauptsächlich Menschen, die in der Einflugschneise wohnen – ein Ärgernis, für viele Geschäftsreisende aber schlicht ein super erreichbarer, angenehm ruhiger, gemütlicher Kuschelpuschelflughafen. Nun heißt es, die Deutsche Bahn AG wolle den Flugbetrieb übernehmen und den Flughafen in Kooperation mit dem deutsch-amerikanischen Investor Fred Langhammer profitabel machen. Nun gut, das Risiko, dass Herr Mehdorn sich mit den historisch fragwürdigen Architekten nachträglich anlegt, ist gering. Auch hat es Tradition, dass man bei der Bahn in alles mögliche investiert, nur nicht in das Schienennetz. Insofern ist die Entscheidung zu begrüßen. Oder?

 

Preist das Finanzamt

Heute morgen um halb neun mit Bauchweh und Diarrhoe am Telefon gesessen; aus Gründen brauche ich eine Zweitausfertigung meines Einkommensteuerbescheids für das Steuerjahr 2005. Und zwar bis übermorgen. Meinen Originalbescheid hatte ich verloren. Ich saß vor dem Telefon und fixierte es. Was würde geschehen? Ich würde stundenlang abwechselnd auf ein ewig durchtutendes Freizeichen bzw. ein Besetztzeichen stoßen. Gegen Mittag würde ich durchkommen, man würde mich mannigfaltig weiterverbinden, die zuständige Dame letztlich würde mich auslachen, demütigen, verstoßen und mich auffordern am Samstag um 06.30 Uhr zur Außenstelle Treuenbrietzen zu kommen, 8 Passfotos mitzubringen und 80 Euro Gebühren in kleinen Scheinen.

Aber nein. Ich rief an. Kam sofort durch. Wurde weiterverbunden, und zwar richtig. Ja, ich kann die Kopie bekommen. Wie lang das dauert, frage ich. Eilt es? Ja, es eilt. Na, dann schicken wir das heute noch raus.

BUMM!

Nun danket alle Gott! Preiset und rühmet das Finanzamt Berlin-Schöneberg!!

 

Gans herausragend

Ich habe gestern den leckersten Gänsebraten meines Lebens gegessen. Und zwar in einer heiteren Runde aus 15 Leuten im Prater. Die kompletten Gänse kamen in gigantischen Schüsseln, fertig vorportioniert, unfassbar zart und würzig daher und lagen auf einem Arrangement aus Grün- und Rotkohl. Dazu gab es köstliche Klöße und eine sämig-dunkle Tunke. Es war lecker. Lecker. Lecker!! Ich habe noch nie so einen zarten Gänsebraten essen dürfen. Überrascht war ich auch von den Weinen. Der Bordeaux (Chateau Pessan St. Hilaire) für faire 21 Euro die Flasche war ausgezeichnet trinkbar, herrlich vanillige Tannine. Außerdem ein trotz absoluter Überfüllung des Ladens sehr aufmerksames und nettes Personal. Alles in allem ein Fest und dringend anempfohlen!

Prater
Kastanienallee 7– 9
Berlin
U Eberswalder Straße
Telefon: 030 /448 56 88
Keine Kredit- oder EC-Karte!

offen: Montag – Samstag ab 18 Uhr und Sonntag ab 12 Uhr

 

Honeckers Bunker – jetzt virtuell begehbar

Im Norden von Berlin, tief in den Wäldern versteckt, liegt die geheime Kommandozentrale, die Erich Honecker damals für den „Ernstfall“ bauen ließ. Mein Tagestipp für morgen: Der Honecker-Bunker kann seit gestern in einer Multimedia-Ausstellung besucht werden, und zwar im Zivilschutzbunker am Potsdamer Platz, Stresemannstr. 94 (neben dem Europahaus). Öffnungszeiten SA 14-20 Uhr oder nach telefonischer Anmeldung unter 0174-3232921.

Hier kann man das Ganze übrigens von oben sehen.

 

More than a Peeling

Was für ein Mistwetter. Was für ein Mist-Tag. Was für eine Mistwoche. Arbeit bis unter den Stehkragen, chronisch zu wenig Schlaf, Himmelherrgott, ich brauche eine Auszeit.

Und da habe ich mir heute was richtig, richtig feines gegönnt. Einen Besuch im Sultan Hamam zu Schöneberg. Man stapft missmutig die Bülowstraße entlang, betritt einen zweifelhaft aussehenden Hinterhof, sucht und findet eine blaue Stahltür, geht hindurch, entert sodann einen verranzten und verwarzten Aufzug, der einen in die zweite Etage bringt – und dann ist das Schlimmste überstanden. Am Empfang steht ein freundlicher, jüngerer Türke, der alte Hasen routiniert begrüßt und Neulinge gründlich über das Sultan Hamam informiert. Es besteht aus drei zentralen Räumen, einem großen, warmen Dampfbad, einem kleineren, heißen Dampfbad und einer Sauna. Die Sauna habe ich nicht ausprobiert; Sauna kann man auch woanders kriegen, mir ist danach, mich im Dampf marinieren zu lassen, und zwar stundenlang. Ich bekomme ein Handtuch, einen Spindschlüssel und eine Schale aus Metall.

In der blitzsauberen Umkleide entkleide ich mich und bringe mich ungefähr in die Optik, in der Gott mich schuf, wickele mir dann keck ein Handtuch um die Hüften und gehe erst mal duschen. Das Handtuch darf ruhig nass werden, hier wird sowieso gleich alles nass, und zwar langfristig. Nun ab in die erste Dampfhütte, ein ebenfalls blitzsauber gekachelter Raum mit allerlei Ecken, in denen man sich hinsetzen, -hocken oder -legen kann. Leis dumdideldeit eine zarte Melodey aus wasserdichten Lautsprechern. Angenehm gedämpftes Licht herrscht, Duftlampen sorgen für angenehme Gerüche. Ich nehme in einer Ecke Platz. Jede Ecke hat ein kleines Wasserbecken und einen Heiß- und einen Kaltwasserhahn. Vorsicht, das Wasser im Heißwasserhahn ist wirklich brutal heiß. Ich mixe mir eine schöne Temperatur, lasse das Wasser in meine Metallschale laufen und übergieße mich ein ums andere Mal mit Wasser. Herrlich! Ah! Wasser verschwenden! Welch Vergnügen. Ich vergesse alles andere und widme mich erst mal ein wenig dem Entspannen und Schwitzen. Nach einer Viertelstunde wage ich die verschärfte Version und betrete das zweite Dampfbad.

Mein lieber Schieber. Hier ist es wirklich heiß, also: SEHR. Sehr, sehr heiß. Es ist ähnlich wie in der Sauna, nur dass man hier Dauer, Temperatur und Häufigkeit der Aufgüsse selbst bestimmen kann, weil es wiederum für jeden Gast ein eigenes Miniaturwaschbecken gibt. Ich plansche heiter-besinnlich herum und werde von nun an mehrere Stunden lang zwischen dem sehr heißen und dem sehr warmen Dampfbad hin- und herpendeln.

Nach einer Weile schrecke ich hoch. Huch! Ich war eingeschlafen! Man ruft meinen Namen. Jetzt kommt mein Peeling. Jawoll. Mein Peeling!

Meinen Lendenschurz muss ich nun abnehmen; ein freundlicher junger Herr, ebenfalls spärlich bekleidet, reinigt einen riesigen Marmortisch mit geschätzt 200 Litern Heißwasser, dann nehme ich Platz. Also: Lege mich hin. Mit einem Seidenhandschuh rubbelt der junge Herr nun sämtliche je in meinem Leben in meine Haut eingebrannten Schmutzpartikel aus mir heraus. Das Ganze ist völlig entspannt und natürlich und ohne jedweden homoerotischen Anstrich. Angenehm! Nach einer Viertelstunde bin ich fertig und gieße weitere 2000 Liter Wasser verschiedener Temperaturen über meinen sich zunehmend in wohlige Auflösung befindlichen Körper.

Nach drei Stunden reicht’s, ich ziehe mich um. Spülhände! SPÜLHÄNDE! Das fühlt sich schlimm an. Noch schlimmer wäre es mit solchen Händen Kreide anzufassen, ein 1A-Antifetisch.

Drum, liebe Leser, merket auf: Ins Hamam nur mit Vaseline. Nicht, was ihr denkt: Für die Hände! Für danach. Eine Rundherum Supersache, so ein Hamam.

Der Montag ist NUR für Männer, DI MI DO FR SA NUR für Frauen – und der Sonntag für alle zusammen. Hingehen!

SULTAN HAMAM
Bülowstraße 57, 10783 Berlin
Tel.: 030 / 21 75 33 75
Fax: 030 / 21 75 05 45

 

Das wird teuer – Mehdorns Waterloo

Möglicherweise dürfen sich die Berliner an eine neue Großbaustelle gewöhnen. Das Berliner Landgericht hat am 27. November der Klage des Hautpbahnhof-Architekten Meinard von Gerkan statt gegeben, derzufolge eine Änderung seines Bauplans durch die Bahn AG unzulässig sei. Die Bahn hatte entgegen von Gerkans Willen statt der geplanten, gewölbten Decken Flachdecken einziehen lassen, die wiederum von einem anderen Architekten geplant worden waren. Die Bahn geht natürlich in Berufung, aber wenn es hart auf hart kommt, muss der Hauptbahnhof in einer 3 Jahre langen Umrüstungsaktion umgebaut werden, was mit derzeit etwa 40 Millionen Euro Baukosten beziffert wird.

Es steht Aussage gegen Aussage. Die Bahn AG sagt, man habe den Plan geändert, um Geld zu sparen; von Gerkan habe auf Anfragen, wie der Bau billiger anzufertigen sei, keine Vorschläge geliefert. Von Gerkan kontert, die wahren Gründe für die Veränderung seines Entwurfs seien „menschlicher Natur“. Es sei Herrn Mehdorn darum gegangen, „ein Exempel zu statuieren, [zu] zeigen wer der Herr im Hause ist“.

Liebe Leserinnen, Liebe Leser, was halten Sie von dem Urteil?

 

Berliner Polizei bewerten

Heute sehr niedlicher Anruf auf meinem Handy.

Juten Tach, spre’ck mit Jochen Reinecke?
Ja, am Apparat.

Warnke, Berliner Polißei, Sie hám vor einijer ßeit den Notruf anjerufen. Is det korrekt?
Ja, das ist richtig.

Wir machen jerade eine Qualitétsübaprüfung und ick wollte frahren ob ick Ihnen ein paar Frahren frahren kannn.
Können Sie gern.

Jut. Denn komm wa ßu die erste Frahre: [liest hörbar ab] Was war der Anlass Ihres Notrufs?
Ich wollte eine defekte Ampelanlage an der Potsdamer Straße melden, an der es bereits einen Unfall gegeben hatte.

Mussten Sie lange warten?
Nein.

Wie beurteielen Sie die Freundlichkéit des diensthabenden Kolléjen. Sehr jut, jut, ßufriedenstellend oder unjenüjend?
Sehr gut.

Wie beurteielen Sie die Kompetenz des diensthabenden Kolléjen. Sehr jut, jut, ßufriedenstellend oder unjenüjend?
Sehr gut.

Wie sind Sie insjesamt mit dem Jespräch ßufrieden….
Also, ich meine, es war ja nur wenige Sekunden…

Ds janz éjal, ick muss hier den Frahrebohren abarbeiten.
Ja, dann war ich wohl sehr zufrieden mit dem Gespräch.

Jut dem Dinge, denn sahr’ck herzlichen Dank und n schönen Sonntag noch.
Wiederhören.

 

Die zweifelhafte Brötchentüte

Ernstzunehmende Bahnhöfe erkennt man daran, dass auf dem Bahnsteig eine rollbare Verkaufstheke mit Tchibo-Logo steht, wo allerlei Backwaren, vom zuckrigen Franzbrötchen bis zum fettigen Käsebrezel, effektvoll beleuchtet den vorbeihastenden hungrigen Großstädtern den Mund wässrig machen sollen. Im Winter nicht Fahrrad, sondern Bahn zu fahren, ist schon deshalb schlecht für die Figur.

Schlecht wurde mir aber auch fast, als ich mir die Tüte etwas genauer ansah, aus der ich das gerade erworbene Brezel zog. Nicht des innewohnenden Teigknotens wegen. Ich beging den Fehler, mir die auf den ersten Blick einfach nur etwas zu schrillbunt bedruckte Tüte des Tschibo-Partnerunternehmens „Lacino“ etwas genauer anzuschauen. Und verschluckte mich, sprang mir doch dieses Logo entgegen:

Ups

Ich glaube, es hakt, und zwar gleich überkreuz. Was war da passiert? Für Restbestände der Berliner Olympiabewerbung 1936 war die Tüte nicht vergilbt genug. Wohl eher ein akuter Fall von mangelndem Fingerspitzengefühl, denn political correct kann man dieses Logo irgendwie nicht nennen.

Es ist ja leider nichts Neues, dass zweitklassige Modelabels sich mit germanisierenden Logos und Namen ausstaffieren, um ihre in fernöstlichen Sweatshops zusammengetackerten Bomberjacken möglichst teuer an den doitschen Mann zu bringen. Aber werden jetzt auch Backwaren politisiert?

Natürlich nicht, beeilte sich ein Sprecher des Unternehmens zu erklären, auf die von mir empfundene Swastikosität des Signets hingewiesen. Vielmehr stelle das Logo Windmühlenflügel oder einen Wirbel dar und solle Fröhlichkeit und Dynamik verdeutlichen. Man habe sich beim Entwurf einer professionellen Agentur bedient, sei erschüttert, derlei Assoziationen hervorzurufen und wolle mit Hakenkreuzemblemen nun wirklich nichts zu tun haben.

Beruhigt kaufte ich mir am nächsten Morgen ein Franzbrötchen. Aber trotzdem. „Ich glaube nur was ich sehe nur was ich glaube nur was ich sehe“, dieser Schriftzug prangt als halbwegs intelligente Kunst am Bau am Cubix-Kino auf dem Alexanderplatz. Glaube ich, was ich sehe? Sehe ich, was ich glaube? Bin ich überempfindlich? Die Diskussion ist eröffnet.

 

Kreuzberg, quo vadis?

Was ist eigentlich los? In Kreuzberg steht eine überraschte Polizeitruppe einer Hundertschaft Jugendlicher gegenüber. Gestern holte eine Gruppe von sieben Jugendlichen einen einzelnen Schüler während der Unterrichtszeit aus dem Klassenraum und stach ihn nieder. Ebenfalls gestern nachmittag: Eine aufgebrachte Gruppe von Libanesen hindert Notärzte bei der Versorgung eines Unfallopfers. In Tempelhof wiederum verprügeln über fünfzig Schüler einen einzelnen Mitschüler. Der Wrangelkiez, bei dem die erstgenannte Situation eskalierte, gilt schon länger als Problemviertel. Einzig und allein die „Konrad Tönz Bar“ in der Falckensteinstraße gilt dort noch als Anlaufstelle für junges, friedliches Party-Volk, ansonsten verroht die Gegend zusehends. Wie schon hier festgestellt, ist das Problem nicht in erster Linie das Streitpotenzial einer Großstadt als solches. Wo Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten, Herkünfte und Glaubensrichtungen aufeinander hocken, kann und wird es immer wieder zu Differenzen kommen. Mich jedoch erschrecken zwei Dinge: Die unkalkulierbar ausbrechende, mehrere Eskalationsstufen mit Leichtigkeit überschreitende Aggressivität und das völlige Ignorieren von Autoritäten (Lehrer, Schuldirektor, Polizei etc.) unter Inkaufnahme aller Konsequenzen. Beides spricht für ein völliges Fehlen von Empathie und – viel schlimmer – dafür, dass die Gewaltausübenden sich offensichtlich gesellschaftlich dermaßen mit dem Rücken zur Wand wähnen, dass sich dieses Gefühl in völlig blindem Hass und Gewalt entlädt.

Es wird in Kauf genommen, verhaftet, ggf. abgeschoben zu werden. Es wird in Kauf genommen, dass wegen nichtigster Streit-Anlässe Menschen sterben oder lebensgefährlich verletzt werden. Es wird in Kauf genommen, dass Unfallopfer zu Tode kommen.

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die Zahl der No-Go-Areas steigt. Wer sagt, es gebe sie nicht, der lügt. Die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen funktioniert nur in den Teilen der Stadt, denen es finanziell noch einigermaßen gut geht. Wir sehen das rund um die Crellestraße in Schöneberg, wo Deutsche und Zugezogene sehr harmonisch miteinander leben und in vielen Kreuzberger Bezirken ebenfalls. Riskant wird es da, wo finanziell schlecht stehende Deutsche und Zugezogene miteinander zurecht kommen müssen. Wir müssen bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass viele der Menschen dort so hoffnungslos sind, dass sie bereit sind für einen schnellen „Sieg“, sei es das Abziehen eines MP3-Spielers, sei es im Streit um die Abspiellautstärke von Musik das letzte Wort zu haben, sei es der erfolgreiche Kampf um die „Ehre“ oder der gottverdammte „Respekt“, sämtliche anderen moralischen Werte hinzuwerfen. Man kann den Jugendlichen das nur zum Teil vorwerfen. Sie sind Täter und Opfer zugleich, müssen ein ums andere kulturelle, soziale und ganz ureigene (Pubertät) Konflikte in sich austragen.

Wir ernten gerade die Früchte einer „Integration durch etwas Geld hinwerfen und ansonsten in Ruhe lassen“. Was wir brauchen ist Integration durch eingehende Sprachförderung (und -forderung!) und nachhaltige Kontrolle von intellektueller und sozialer Bildung. Das kostet Geld. Vermutlich ist es trotzdem billiger, als in 1-2 Jahren Pariser Banlieue-Verhältnisse vor der Haustür zu haben.

 

Clärchens Ballhaus – the place to be.

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich dies hier öffentlich zugeben soll, aber: Egal! Im Rahmen umfangreicher Feierlichkeiten war man in Clärchens Ballhaus eingerückt: und es war gut! Ein großer Ballsaal, warmgebollert von zwei gigantischen Kachelöfen und Hunderten von Menschen. Eine Tanzfläche, über der die größte vollständige Spiegelkugel hängt, die ich je sah, auch muss, so behauptet zumindest steif und fest, mein Rest-Erinnerungsvermögen, ein nicht geringer Teil der Lokalität mit Alufolie ausgestaltet gewesen sein. Die Tanzfläche wird umringt von Tischen, eine Bierbar und eine „Weinbar“, die aber auch Longdrinks und ein paar Cocktails bereithält, am Nord- und Westflügel der Tanzfläche.

Was auffällt: Das Personal! Ganz, ganz alte Schule. Und äußerst gemischt. Eine pummelige Kaltmamsell, eine atemberaubende, direkt aus einem Almodóvar-Film entsprungen scheinende, an Rassigkeit und Grazilität nicht zu überbietender Kellnerin, mehrere schrullige, livrierte Herren, extrem serviceorientierte Barmänner, die auch ausgefallene Getränke-Extrawünsche gern erfüllen – kurz: ein bunt zusammengecastetes Sammelsurium von Originalen. Man muss sich Clärchens Ballhaus so vorstellen, wie das Kumpelnest 3000 zu besten Zeiten, allerdings auf etwa einem Viertel der Drehzahl. Was hier an Leuten zusammenkommt, ist dermaßen bizarr und wundervoll gemischt, dass es schwer zu beschreiben ist. Völlig durch Schminkexzesse und abartigste Kostümierung entstellte Sekretärinnengruppen aus Lichtenrade, hochnäsige Tango-Tänzer, Gigolos in den späten Fünfzigern, komplett in Woolworth gekleidet, aber begnadet beim Tanzen, Touristen, Nachbarn, ganze Partybesatzungen, schöne, hässliche, gerade, krumme. Es herrscht hochansteckende Ausgelassenheit.

Ich beobachtete einen einsamen, vierschrötigen Mann Mitte Fünfzig, der allein an einem Tisch saß und sein Hartz IV Monatssalär vertrank. Er stierte umher, nach einem Tanzopfer suchend. Er sah eine Frau, die mit ihrem Freund am Tisch saß. Er stand mühsam auf, was viele Sekunden dauerte, wankte langsam zu dem Paar hin. Forderte die Frau zum Tanz auf. Die Frau schaute eine Hundertstelsekunde lang angewidert, dann zog sie ihre Miene gerade, zwinkerte Ihrem Freund zu und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Es lief irgendein im Grunde genommen unerträgliches Tanzlied, möglicherweise „Sex Bomb“, egal, jedenfalls tanzten die beiden in einer Entfesseltheit miteinander, die beängstigte. Der Mann, so schien es, wollte jeden Moment vor Glück platzen. Nach dem Tanz führte er die Frau brav zurück, setzte sich wieder an seinen Trinktisch und trank weiter. Diesem Mann war geholfen worden. Wie sehr, wissen wir alle vielleicht gar nicht.

Tatsache ist, in Clärchens Ballhaus möchte man am liebsten täglich. Es ist ein herrlicher, kranker, gesund machender Ort. Es möge bitte immerdar bestehen.

Mehr hier: http://www.ballhaus-mitte.de/