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Unter dem Gefrierpunkt

Eizellen einfrieren für die Karriere, wie Apple und Facebook es planen? Unsere moderne Arbeitsgesellschaft hat den Respekt vor dem biologischen Eigensinn des Individuums verloren.

Wenn Sie Ihr eigenes Leben verschieben könnten, damit es besser in die Unternehmensstruktur Ihrer Firma passt, würden Sie es tun? Wären Sie bereit, statt beispielsweise im Jahr 1974 im Jahr 1984 geboren zu sein, weil Ihre Qualifikationen, ihre Persönlichkeit, Ihre Begabungen zehn Jahre später besonders gefragt sind? Möglich, dass Sie auch noch einmal um zehn Jahre zurückgestellt werden und noch einmal, bis die Firma merkt, dass Sie eigentlich gar nicht mehr gebraucht werden und Ihre Geburt gänzlich ausbleibt. Wir wissen es ja: Etwas, das man endlos vor sich her schiebt, hat gewisse Chancen, nie gemacht zu werden. Weiter„Unter dem Gefrierpunkt“

 

Wir leben von der Verdrängung

Über die historische Bedeutung des Mauerfalls herrscht Einigkeit – womöglich zu viel. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen weiterreden. Über falsche Selbstverständlichkeiten zum Beispiel, die sich nach 1989 eingeschlichen haben.

Wo ich denn am 9. November 1989 gewesen sei, ist die mir am häufigsten gestellte Frage. In aller Regel strahlen die Fragenden mich dabei fröhlich an, als erwiesen sie damit auch mir einen Gefallen. Denn bei diesem Datum lässt sich Persönliches wie Historisches auf glückliche Art und Weise verbinden und zur Sprache zu bringen. Wenn ich dann bekenne, an jenem Herbstabend früh ins Bett gegangen zu sein und deshalb nur sagen kann: „Als ich aufwachte, war die Mauer weg“, ist man doch etwas enttäuscht.

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Eingeklemmt zwischen Kissen und Generationskonflikten

Familie und Beruf – das ist doch machbar, findet Ursula von der Leyen. Unsere Autorin kann dazu nur sagen: Schreiben mit Kindern ist zwar möglich, macht aber irre.

Ich habe einen sehr liebevollen Mann, zwei reizende Söhne, aber wenn ich schreiben will, würde ich gerne alle drei kurzzeitig entsorgen. Da das strafrechtlich verfolgt wird, geht ein Heidengeld für Babysitter, Sportvereine und Großbildfernseher drauf, um die drei ruhig zu halten. Das klappt während der EM und WM hervorragend, sonst gar nicht. Kaum zu glauben, aber es gibt immer noch zu wenig Fußball im Fernsehen. Weiter„Eingeklemmt zwischen Kissen und Generationskonflikten“

 

Literaturdebatten der Teichmolche

Unser Kolumnist muss schreiben. Ständig. Über die Welt, die Tiere, die Mitmenschen und sich. Internetzugang hat er nicht, deshalb schickt er uns jede Woche ein Fax.

Am Vorabend der Abreise: Die Stirn glüht, der Nacken krampft, die Augen teebeuteldick geschwollen. Schöne Scheiße. Stehe am aufgeklappten Koffer, packe nach nochmaligem Zählen einen Satz Socken und U-Hosen ein. Liege dann für eine Viertelstunde auf dem Rücken, komme mir blöd vor. Mitteilung vom Kumpel: Susi weg, bin verheert, komme vorbei, bleibe nicht lang. Er hockt wenig später auf dem Sofa wie eine Eule auf der Jule. Will heulen, kann aber nicht. Hat die letzte Träne des Tages schon vergossen. Er sagt: Susi, das ist ne Pickelnelke, trotzdem, ich lieb sie, mein Herz steht in Flammen… Wie trösten? Weiter„Literaturdebatten der Teichmolche“

 

Meine Ohrwürmer (1): Die C-Dur-Tonleiter

Unser Autor Florian Werner wird andauernd von Ohrwürmern heimgesucht. Was wollen sie ihm nur sagen? In dieser Reihe begibt er sich auf die Spuren der allgegenwärtigen, aber noch weitgehend unerforschten Lebewesen.

Beschreibung: Eine trügerisch schlichte C-Dur-Tonleiter, c-d-e-f-g-a-h-c. Wenn der oberste Ton erreicht ist, springt mein Ohrwurm eine Quinte nach oben und singt eine G-Dur-Tonleiter. Wenn deren oberster Ton erreicht ist, springt er wieder auf das c und singt eine weitere C-Dur-Tonleiter, nur diesmal eine Oktave höher. Wenn deren höchster Ton erreicht ist, springt er um eine Quinte nach oben … und so weiter.

Vorkommen: Sehr häufig. Keine erkennbaren Auslöser. Weiter„Meine Ohrwürmer (1): Die C-Dur-Tonleiter“

 

Von Stromae lernen

Zum Auftakt dieser Plattform haben wir einige Autoren gefragt, worüber sie sich aufregen. Teresa Präauer reflektiert über den Gegensatz von Empörung und Erstarrung. Alors on danse!

Was mich empört? Ich kann nur antworten, was mich empört, indem ich beschreibe, wie ich mich nicht empöre. Und vielleicht lässt sich aus dem Sich-nicht-Empören hernach die Empörung filtern.

Ich empöre mich nicht, weil ich mir die Empörung als Gegenbild zur Erstarrung denke. Die Empörung ist dann das, was plötzlich eintritt: hochkommt, sich aufbläst – aufgedonnert –, sich entlädt – und dann wieder in die Erstarrung zurückfällt. Vielleicht ist die Empörung etwas Epileptisches: Sie reagiert empfindlich auf das Stroboskop-Licht der grell angeblitzten Ereignisse. Nichts gegen Grellheit und Entladung, übrigens. Weiter„Von Stromae lernen“

 

Tagebuch des allmählichen Untergangs (1)

Aus dem Leben gegriffen, das sagt sich so leicht. Wie findet ein Schriftsteller Inspiration zwischen all diesen Terrornachrichten? Matthias Nawrat schreibt für uns ein Journal.

September 2014

Geträumt, ich sei mit L. in einem Land gewesen, auf der Flucht entweder, oder in dem Land war man von vornherein verdächtig. Bei der Einreise stellte ich im Zug fest, dass ich mir keinen Pass und keine Zugtickets ausgedruckt hatte, in diesem Moment sah man schon den Grenzbeamten zwischen den Sitzreihen näher kommen. Ich fragte L., ob sie ein Blanko-Exemplar eines Passes bei sich hätte. Ich erinnere mich, dass man diese Sachen, die man für den Aufenthalt in jenem Land dringend benötigte, in einem großen, extra für diesen Zweck aufgestellten Automaten hätte ausdrucken müssen, der die Identitäten in seinem Inneren verwaltete. Der Grenzbeamte kam näher, aber L. hatte für mich nichts ausgedruckt.

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Zurück zu den Hunden

Jeder hat Psychosen. Auch unsere Hunde. Warum die Instrumente der Psychologie nur noch dazu da sind, Antworten auf Fragen zu finden, die es eh nicht gibt.

Ein Bekannter von mir hatte mal einen chinesischen Nackthund, der als sogenanntes Notfell aus einer spanischen Todesstation gerettet worden war. Er konnte sich auf Kommando mit den Pfoten die Augen auswischen, kam aber nie, wenn man ihn rief. Weiter„Zurück zu den Hunden“