Die neue österreichische Regierung ist im Amt und niemand muss sich fürchten – heißt es. Auf den Straßen Wiens kann man Beobachtungen machen, die anderes verheißen.
Bei einem Spaziergang durch Wien kam mir ein Plakat unter, das ich zunächst für Wahlwerbung hielt (die neue Regierung war jedoch bereits im Amt, die Wahlkampfspuren beseitigt). Der Eindruck verdankte sich der rot-weiß-roten Fahne, die durch die linke obere Plakathälfte wallte, der Text dazu lautete: SÜD-TIROL DANKT ÖSTERREICH und darunter in kleinerer Schrift: „für die Möglichkeit, bald schon wieder den Pass unseres Vaterlandes zu bekommen!“ Weiter„ARSCH BOMBE im städtischen Amtshaus“
Im Minutentakt wird heute alles bilanziert. Aber was wir verlernt haben: unsere Fehler zu bedauern. Dabei ist diese Fähigkeit nicht nur der Ursprung aller Literatur.
Neulich auf einem Fest unter Literaten, bei flackerndem Kerzenlicht, sprach man über große Themen, die früher ausgiebig behandelt, heute aber in der Literatur nahezu verschwunden sind. Zum Beispiel die Reue. Wo gibt es noch das seitenweise Klagen über die eigenen Verfehlungen, das Grübeln über die eigene Unzulänglichkeit, über Gut und Böse, und dann den Schrecken, dass es vielleicht zu spät ist für eine Wiedergutmachung? Weiter„In der Reue liegt die Kraft“
Ist ein echter Mann nur, wer Knöpfe annähen kann? Der Chef des Hanser-Verlags fährt Zug, gewinnt existenzielle Einsichten und lernt Henning Baum kennen. Beinahe.
Im Zug nach Westen, seit einer Ewigkeit, womöglich seit mehreren. Würde die Zeit Bahn fahren, sie führe Regionalbahn. Es ist Nacht, wir rumpeln über den Rhein bei Köln, der Fluss sieht aus wie das Innere einer Achselhöhle. Schwere Sentimentalitätsausbrüche. Apropos Achsel: In meiner Heimatzeitschrift DB mobil steht das neue Interview („exklusiv“) mit dem Schauspieler Henning Baum. Weiter„Bizeps oder Bücher“
Eine Reise nach Sri Lanka kann zur Erfüllung werden. Das Geheimnis: Man darf sich nicht vorbereiten. Und man muss sich die Kultur des Ausweichens eine Lehre sein lassen.
Ich weiß nicht, warum ich neuerdings so gerne reise. Offenbar durchlebe ich gerade eine heiter-optimistische Phase, bekomme die Gelegenheiten und nutze sie, folge dem Ruf des Goethe-Instituts und mache regelmäßig die Erfahrung, dass ich zu wenig weiß. Weiter„Das mit dem Paradies ist doch kein mieser Trick“
Uhren zählen Schritte, Autos fahren von selbst, Kinder werden automatisch geortet. Das Internet der Dinge erleichtert uns nicht den Alltag, es lässt uns verdummen.
Ein Lieblingsszenario, als wir mit 15, 16 Jahren Kurzgeschichten für die Schülerzeitung schrieben, waren robotisierte Haushaltsgeräte oder andere Alltagsgegenstände, die ihre Besitzer in den Wahnsinn trieben und ihnen die Herrschaft über ihr Leben nahmen. Weiter„Die smarte Pillepallisierung der Welt“
Der Marvel-Film Black Panther wird als Meilenstein für das schwarze Empowerment bejubelt. Und wie hört sich das dann an? Zu Gast in einer Vorführung, zu der Weiße keinen Zutritt hatten.
Es ist soweit: Black Panther ist da. Die Welt hat ihren ersten ausschließlich schwarzen Blockbuster. Der Film, der bereits im Vorhinein als Meilenstein, als Beginn einer neuen Ära gefeiert wurde, hat bereits in den ersten Tagen mehr als 200 Millionen US-Dollar eingespielt. Dieser kommerzielle Erfolg ist ein Politikum, weil eine schwarze Besetzung in Hollywood bisher als Kassengift galt. Dabei handelt es sich nicht um einen politischen Film, sondern um eine Comic-Verfilmung, die versiert mit allen Superheldenzutaten arbeitet und die ihr Publikum ordentlich unterhält und zuballert. Trotzdem, oder gerade deswegen, wird der Marvel-Held Black Panther 52 Jahre nach seiner Schöpfung gefeiert wie ein schwarzer Messias. Als hätte jeder Nichtweiße dieser Welt auf ihn gewartet. Und zwar seit sehr langer Zeit. Weiter„Welche Farbe hat Action-Humor?“
Herr Paulke, Marzahner Ureinwohner, hat sein Leben lang geschleppt: Schränke oder Klaviere. Seine Füße sind reparaturbedürftig, seine Sprüche dafür umso flockiger.
Am östlichen Rand von Berlin, in Marzahn, stehen die Plattenbauten: Elfgeschosser, Achtzehngeschosser, Fünfundzwanziggeschosser. Am Fuß eines solchen Hochhauses liegt unser Kosmetikstudio. Hier arbeite ich als Fußpflegerin. Als ich vor knapp drei Jahren anfing, gehörte Herr Paulke zu meinen ersten Kunden. Während der ersten Behandlung hatte er mich lachend gefragt: „Wissense, wo se hier sind? Uff de Scheiße von Berlin. Dit warn früher allet Rieselfelder, und denn hamse Hochhäuser hinjeklotzt. Wo de Erde uffjebuddelt is, könnset noch riechen.“ Weiter„„Wissense, wo se hier sind? Uff de Scheiße von Berlin““
Im Rumänien meiner Kindheit war Zynismus ein Ventil, um sich Luft in der Diktatur zu verschaffen. Warum kommuniziert heute auch der Rest der Welt nur noch höhnisch?
Meine Nachbarin, Frau Hefti, hat vergangene Woche ihre beiden Zeitungsabos gekündigt – ein Neujahrsvorsatz. Das hat mich deshalb erstaunt, weil die fast neunzigjährige Dame viel Wert darauf legt, akkurat informiert zu sein und ganz bewusst auch darauf, die unabhängige Presse zu unterstützen. Weiter„Vom Sprechen in lieblosen Zeiten“
Warum haben Menschen Angst vor Migration? Wir alle sind Geflüchtete. Eine Speichelprobe hat mir die Geschichte meiner Familie erzählt. Sie wird bei allen ähnlich sein.
Es geschah im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in einem kleinen Dorf in Westafrika, unweit der Atlantikküste, wo die Geschichte zwar längst nicht begonnen hatte, aber wo sie einen nächsten entscheidenden Wendepunkt nahm: Eine meiner Ur-Ur-Ur-Ahninnen ergriff die Flucht. An sich keine spektakuläre Sache in den Annalen meines Klans, aber diesmal sollte sie nicht nur interkontinentale Ausmaße haben, sondern derartige Konsequenzen, die die jüngsten genuinen Linien meines Geblüts im (für historische Verhältnisse) „Affentempo“ verbogen. Weiter„Die Vorfahren aus Afrika, die Tochter semmelblond“
Revolutionär sind heute Nassrasierer oder Autos. Was einmal politische Brisanz hatte, wird zur Hohlformel. Dabei wäre echter Widerstand gegen die Verhältnisse so wichtig.
Es ist bereits ein paar wenige Wochen her, dass der CSU-Politiker Alexander Dobrindt „eine konservative Revolution der Bürger“ eingefordert und angekündigt hat, die endlich mit einer vermeintlichen „linken Revolution der Eliten“ (gemeint ist die Achtundsechziger-Bewegung, deren letzte Vertreter heute längst im Rentenalter sind) aufräumt. Aber schon ist sie wieder vergessen. Das ist seltsam, hält man sich vor Augen, dass eine Revolution ein radikaler, abrupter, oft auch gewaltsam herbeigeführter struktureller Systemwandel ist. Aber so sind Revolutionen heute offenbar: Sie verpuffen, kaum dass sie ausgerufen sind. Weiter„Nicht Atmo, sondern Aufstand“