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Prag

Cineastisch angehauchte Live-Musik-Therapiestunde mit Erik Lautenschläger, Tom Krimi, Nora Tschirner und ihrer „Selbsthilfegruppe Filmmusik 60er Jahre“.

Ein gewisser Hang zur ironischen Distanz ist nicht zu leugnen, wenn eine Band wie Prag sich selbst als „Selbsthilfegruppe Filmmusik 60er Jahre“ bezeichnet. Zum Glück funktioniert der therapeutische Ansatz kein bisschen und Prag kommen mit ihrer Genesung nicht voran: Das zweite Album Abschied schwelgt noch immer in orchestralem Schönklang, der ausgeblichenes Zelluloid zu vertonen scheint. Nicht unwichtig ist die Information, dass neben Erik Lautenschläger und Tom Krimi auch Ex-MTV-Moderatorin Nora Tschirner, die mit zwei Til-Schweiger-Filmen (Keinohrhasen und Zweiohrküken) im Minus ist, hier unauffällig mitmacht und sich damit wieder die volle Kreditwürdigkeit erspielt. Für diesen cineastisch angehauchten Konzertabend gedenkt die Kampnagel-Belegschaft ausnahmsweise mal Popcorn an der Tür zu verteilen.

 

Frank Schulz

Der Autor liest am 10. März im Literaturhaus aus seinem Kriminalroman „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“.

Mit Onno Viets und der Irre vom Kiez hatte Frank Schulz 2012 voll ins Schwarze getroffen. Der hochkomische Roman war der Versuch eines Krimis, in dem der Held einer Eingebung folgend versucht, ein Detektiv zu sein. So ganz klappt das in beiden Fällen nicht, aber das Ergebnis ließ sich jeweils sehen. Nun kann man so einen Typen nicht einfach erfinden und dann in der Versenkung verschwinden lassen. Darum ist Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen eine sehr willkommene Fortsetzung der Geschichte. Viets, der nach den Ereignissen des ersten Buchs an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, kriegt den passenden Auftrag vermittelt: Er soll den exzentrischen Künstler Donald Jochemsen auf einer Mittelmeerkreuzfahrt begleiten. Doch Ereignisse an Land setzen der Seereise ein abruptes Ende. Im Literaturhaus trägt Frank Schulz aus der kuriosen Ermittler-Schnurre vor. Leseprobe: hier.

Text: Michael Weiland

 

„Die Glücklichen“

Eine Mittelstandsfamilie auf dem Weg nach unten – die Autorin Kristine Bilkau liest bei Cohen + Dobernigg aus ihrem Roman-Debüt.

Die 1974 geborene Hamburger Autorin Kristine Bilkau hat mit Die Glücklichen ihren Erstlingsroman vorgelegt, in dem sie – laut Veranstalterinfo – das präzise Bild einer nervösen Generation zeichne, „überreizt von dem Anspruch, ein Leben ohne Niederlagen zu führen, die sich davor fürchtet, aus dem Paradies vertrieben zu werden.“ In Die Glücklichen geht es um ein anfänglich zufriedenes, erfolgreiches Paar aus dem Mittelstand (sie Orchester-Cellistin, er Journalist), das nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes feststellen muss, dass nichts mehr ist wie vorher, die Rückkehr in den Beruf schwerer fällt als gedacht, steigende Lebenshaltungskosten zur Belastung werden, gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren, bis der äußere Druck auch ihr innerfamiliäres Glück anzugreifen beginnt…

 

Max Jury

Den Stiefelspuren von Bob Dylan und Elvis Costello folgend, macht der junge US-Singer-Songwriter am 9. März Halt im Molotow.

Max Jury ist gerade mal Anfang Zwanzig und sollte eigentlich erst am Anfang seines Ausformulierungsprozesses als Künstler stehen. Aber viel auszubügeln ist da nicht mehr: Der Junge aus Des Moines in Iowa spielt auf dem E-Piano gefühlvolle Americana-Songs, für die andere Singer-Songwriter mehrere Jahrzehnte Lebenserfahrung benötigen. Zwar sind die Fußstapfen von Dylan und Costello noch bei Weitem zu groß, doch den Stiefelspuren kann man ja schon mal folgen. So ist die Single Black Metal eine komische kleine Liebesgeschichte, über die vertrauten Akkorde von Onkel Bobs Knockin’ On Heaven’s Door gelegt: „She don’t listen to Rock ’n‘ Roll, she don’t listen to Jazz and Soul, no, no, she listen to Black Metal all day long.“ Nichts gegen Venom und Mercyful Fate, aber vielleicht sollte sie auch mal Max Jury auschecken. Immer dieser Lärm!

Text: Michael Weiland

 

Wessen Stadt?

Monatlich berichtet das Projekt Stadtkuratorin über seine Arbeit – und fragt diesmal: Kunst im öffentlichen Raum, und danach?

Die Frage nach den aktuellen Möglichkeiten einer Kunst im öffentlichen Raum stellen sich in diesem Jahr gleich mehrere Ausstellungen in Göttingen (Kunstverein), Hamburg (Kunsthaus), Bremen (GAK, Künstlerhaus, Zentrum für Kunstpublikationen) oder auch in Mexiko-Stadt (MUAC). Warum? Seit ihrer Gründung sind Städte Arenen der Macht. Das zeigt sich in ihren Wegen und Bauten, in der Art und Weise, wie Öffentlichkeit inszeniert und begrenzt wird. Seit 1981 fördert und finanziert die Stadt Hamburg eine kritische Auseinandersetzung mit solchen Strukturen und Monumenten durch ihr Programm Kunst im öffentlichen Raum. Immer hatte die geförderte Kunst im öffentlichen Raum mit Ressentiments zu kämpfen: Zu teuer, zu wenig repräsentativ, zu experimentell. Die Folgen waren Hass-Briefe erboster Bürger, Kunstwerke wurden angezündet, beschossen und niedergerissen. Inzwischen lässt sich ein umgekehrtes Phänomen beobachten: Obwohl sich viele Künstler verstärkt mit gesellschaftlichen Kämpfen verbinden und monumentale Gesten verweigern, regt sich kaum jemand über Kunst in der Stadt auf. Der brasilianische Künstler Ricardo Basbaum stellt am 9. März im Kunsthaus die Frage: Would you like to participate in an artistic experience? Und stellt damit seine Documenta-Arbeit (Kassel, 2007) vor, die mit dem öffentlichen Raum experimentiert.

 

Guster

Dem einstigen Akustik-Quartett aus Boston ist es gelungen, sich musikalisch weiterzuentwickeln, ohne seine alten Fans zu verprellen.

Das US-Quartett begann Anfang der Neunziger als Akustik-Band mit feinen Songs und schönen Harmonien. Im Laufe der Jahre haben die vier ihre Liebe zu elektronischen Sounds entdeckt und diese nach und nach in ihre Musik eingearbeitet. Da sie dabei vorsichtig vorgegangen sind und das ursprüngliche Wesen ihrer Musik bewahren konnten, haben sie sich auf überzeugende Art und Weise weiterentwickelt, ohne ihre alten Fans zu verprellen oder allzu stark zu irritieren. Das neue Album von Guster enthält altbewährten Dream-Pop mit psychedelischen Elementen, auch der Hang zu Country & Western und Folk ist nicht zu überhören – vor allem, wenn die Band zu Falsett- und mehrstimmigen Harmoniegesängen ansetzt. Evermotion ist der Titel des mittlerweile achten Guster-Albums. Am 9. März spielt das Quartett den einen oder anderen Song daraus sicher auch in der Prinzenbar.

 

Rumer

Die britische Sängerin mit pakistanischen Wurzeln präsentiert ihr drittes Album „Into Colour“ im Mojo Club. Alle Songs stammen aus ihrer Feder.

Die weich gezeichneten Sounds auf Rumers neuem Album Into Colour dürften stark polarisieren: Auf der einen Seite die Kuschelweichmuffel, denen die sanften Klänge der britischen Singer/Songwriterin viel zu flauschig geraten sind. Auf der anderen die Träumer und Melancholiker, für die Songs wie Reach Out oder You Just Don’t Know People die reinste Audio-Aroma-Therapie darstellen dürften. Lyrisch geht’s hingegen nicht immer so streichelzart zu, verarbeitet Rumer doch zum Beispiel in Dangerous ihren Kampf mit psychischen Problemen. Davor können dann alle nur den Hut ziehen.

Text: Jan Kahl

 

Father John Misty

Der Singer/Songwriter brachte gerade sein zweites Album „I Love You, Honeybear“ heraus – eine Liebeserklärung an seine Frau Emma.

Gelegentlich wird Josh Tillman, der Mann hinter Father John Misty, als Ex-Drummer von Fleet Foxes vorgestellt, was ein bisschen verquer ist: Immerhin hat der Singer/Songwriter bereits mit Anfang Dreißig ein recht beachtliches Werk geschaffen, in dem der Gast-Spot als Schlagzeuger kaum mehr als eine Fußnote ist. Das meiste davon ist unter seinem (Fast-)Geburtsnamen J. Tillman erschienen, als Father John Misty hat er gerade sein zweites Album herausgebracht. I Love You, Honeybear ist die Zustandsbeschreibung einer Beziehung und in letzter Konsequenz vor allem eine Liebeserklärung an seine Frau Emma. Umständlich, schmerzhaft, aber auch romantisch und lustig: ein Soul/Pop/Folk-Feuerwerk, teils Wunderkerze, teils Knalltüte. Hey Honigbär, wir haben uns auch ein bisschen in dich verknallt!

Das Konzert ist bereits ausverkauft.

Text: Michael Weiland

 

Spain

Runtergewirtschafteter Leiserock für Liebhaber: Die Band um den Sohn der Jazz-Legende Charlie Haden, kommt ins Nachtasyl.

Spain sind vielleicht eine der unaufdringlichsten Bands der Welt. Zwischen 1995 und 2001 veröffentlichte die Gruppe um Josh Haden drei sagenhaft langsame, wunderschöne Platten mit runtergewirtschaftetem Leiserock für Liebhaber. 2012 tauchten Spain in Neubesetzung mit dem Album The Soul Of Spain überraschend wieder auf, letztes Jahr folgte mit Sargent Place ein erneuter Arbeitsnachweis. Das Schicksal, in Europa beliebter zu sein als in ihrem Heimatland USA, teilt die Band mit Kollegen wie Lambchop: Die introvertierte, hinreißend schwache Nachtmusik verträgt sich vielleicht besser mit hiesigen Sensibilitäten. Kunstvoll webt Josh Haden (Foto), übrigens der Spross von Jazz-Legende Charlie Haden, Gospel und Americana zu Songs, die eben nicht mit der Tür ins Haus fallen. Wer sie trotzdem reinlässt, empfängt denkbar charmante, umsichtige Gäste.

Text: Michael Weiland

 

Element Of Crime

Nie klang schlechte Laune schöner: Lieder aus 30 Jahren Bandgeschichte erklingen in der Sporthalle Hamburg – und Töne des neuen Albums.

Sven Regener ist nicht seine Romanfigur Herr Lehmann, und ob der Ich-Erzähler in den gerne im Beschwerdeton vorgetragenen Texten von Element Of Crime immer derselbe Typ ist, sei mal dahingestellt. Vorstellen könnte man es sich aber. Regeners ehemals knefiges Raunen gerät mittlerweile oftmals zum rotzigen „Runter von meinem Rasen“-Gemaule, mit dem dann wunderbare Verweigerungslieder wie der Titelsong zum aktuellen Album Lieblingsfarben und Tiere gesungen werden: Türklingel kaputt, mir doch egal, wer soll mich schon besuchen? Dabei stehen die Gäste doch Schlange. Zum Beispiel vor der Sporthalle anlässlich des Hamburg-Konzerts. Dort gibt es nicht nur Stücke der aktuellen Platte, sondern Lieder aus 30 Jahren Bandgeschichte zu hören. Schöner hat im deutschsprachigen Raum niemand Chanson, Indierock und schlechte Laune zusammengedacht.

Text: Michael Weiland