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„Deportation Cast“

Das Drama im Lichthof Theater hinterfragt die deutsche Einwanderungspolitik am Beispiel der Abschiebung einer fünfzehnjährigen Roma in den Kosovo.

Die fünfzehnjährige Elvira hat keine Erinnerungen mehr an das Land, aus dem ihre Familie einst flüchtete, und doch muss sie dorthin zurück. Allerdings ist sie als Roma auch in ihrer vermeintlichen Heimat Kosovo fremd und unerwünscht. Der Autor und Dramaturg Björn Bicker erzählt in seinem mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichneten Stück die realistische Geschichte einer Abschiebung. Im Lichthof Theater inszeniert Harald Weiler nun Deportation Cast mit Ulrich Bähnk, Parbet Chugh, Wicki Kalaitzi und Wiebke Wackermann, die sich insgesamt zwölf Rollen teilen. Mit dieser Vorgabe wollte Björn Bicker nicht etwa an der Besetzung sparen, sondern zwei Familien und damit zwei Welten gegenüberstellen – beide von deutscher Einwanderungspolitik betroffen. Auf der einen Seite steht die Familie von Elvira, auf der anderen die deutsche Familie ihres Freundes, die ebenfalls ihren Teil zu der Abschiebung beiträgt. Deportation Cast handelt von der Brutalität eines Systems, das Menschen ausgrenzt, jedoch keine Schuldigen kennt. Aber es ist mehr als nur Abschiebedrama. Explizit werden die Folgen nationaler Grenzziehungen thematisiert. Die große Romantik einer innereuropäischen Mentalität auf Kosten einer massiv verteidigten Grenze wird infrage gestellt – und zwar ohne erhobenen Zeigefinger. Das Stück soll keine Moralpredigt werden, sondern eine Frage stellen, die sich die Zuschauer selbst beantworten müssen.

Text: Natalia Sadovnik

 

Mettwurstmama grrr

Die Ausstellung zum „crossover art project“ der Hamburger Designerin Brigid Anderson eröffnet am 21. November im Ausstellungsraum Grindelallee.

Schon der Name des Projekts lockt einen ins Grindelviertel. Mettwurstmama grrr nennt sich das „vegane Collective“ um die in Hamburg wohnende Designerin Brigid Anderson, das sich im Cross-over zwischen Malerei und Multimedia versucht. Beständig haben M. Giltjes und Stefanie Koerner, Brigid Anderson und Hugo Mayer ihre Leinwände ausgetauscht, um die jeweils anderen Künstler drüber-, drauf- und dranmalen zu lassen. Die einzige Vorgabe, die es dabei gab: Am Ende darf niemand sauer über das Resultat sein. Was bei diesem crossover art project (zu dem neben den oben genannten noch weitere „special guests“ eingeladen wurden) herausgekommen ist, wird ab dem 21. November in der Grindelallee 117 gezeigt. Die Ausstellung läuft noch zwei Wochen. Finissage ist am Freitag, den 5. Dezember ab 19 Uhr.

 

Ukrainische Klassik

Beim Benefizkonzert für die Opfer in der Ukraine steht unter anderem das ukrainische Kunstlied im Mittelpunkt. Der Verein EuroMaidan NRW sammelt Geld- und Kleiderspenden.

Neben Werken von Mozart, Puccini und Stradella bietet dieser Konzertabend eine seltene Gelegenheit, die ukrainische Klassik für sich zu entdecken – und das für einen guten Zweck. Seit einem Jahr lesen wir Schreckensnachrichten aus der Ukraine. Zahlreiche Menschen verloren in den Kämpfen ihr Leben, hinterließen Frauen und Kinder. Viele von ihnen erhalten keine staatliche Unterstützung. Um dem kriegsgeschüttelten Land zu helfen, spielen ukrainische Musiker aus Hamburg und Umland zugunsten der Betroffenen. Die gesammelten Spenden werden vom Verein EuroMaidan NRW in die Ukraine gebracht. Gebeten wird sowohl um Geldspenden als auch um Kinderkleidung, die vor dem Konzert abgegeben werden kann. Der erste Teil des Abends steht im Zeichen der klassischen Musik, im zweiten Teil erklingen lyrischer Gesang und das ukrainische Kunstlied. Die Opernsänger Natalia und Illya Prysiazhniuk sowie Andrey Valiguras und Julia Böttcher bieten unter anderem die Werke von Mozart, Puccini, Brahms, Stradella und Mykola Lyssenko dar. Instrumental wird das Konzert vom Violinisten André Böttcher und der Hamburger Pianistin und Stipendiatin der Brahms-Stiftung, Olesya Salvytska, gestaltet. Zur Begrüßung spricht der ukrainische Generalkonsul in Hamburg, Yuriy Yarmilko, ein paar Worte.

Text: Natalia Sadovnik

 

Freude am Tanzen

Die House-Experten aus Thüringen laden zum Showcase ins Docks. An den Pults: Mathias Kaden, Douglas Greed, das Krause Duo und andere.

Mal ganz ehrlich: Auf ein Motto wie Freude am Tanzen kann man sich doch wohl universell einigen, oder? Das Jenaer Elektronik-Label trifft mit diesem Namen jedenfalls voll ins Schwarze. Zum Showcase im Docks bringen die Thüringer Dance-Experten ihre Schützlinge Mathias Kaden und Douglas Greed (Foto) samt Bandkollegen Nagler und Kuss mit. Ersterer tourt regelmäßig um die Welt und ist zum Beispiel ein gern gesehener Gast bei Sven Väths Cocoon-Partys. Greed wird an diesem Abend seinen kürzlich bei den Kollegen von BPitch Control veröffentlichten Longplayer Driven vorstellen. Letzter im Bunde ist das für seine Marathon-Sets bekannte Krause Duo, bestehend aus Metaboman & Carlson Basu. Freude am Tanzen kommt da wahrscheinlich ganz von alleine auf – dazu sollte das DJ-Team kompetent und die Nacht lang genug sein.

 

Abwärts

Die legendäre Band um Sänger und Gitarrist Frank Z. gibt sich im Hafenklang die Ehre: Das Vorprogramm bestreiten Taucher.

Es gab mal Zeiten, in denen man auf ein Konzert ging und glücklich sein durfte, wenn man nur mit einem blauen Auge davonkam. Blaue Augen gab es damals nicht nur vor, sondern auch auf und hinter der Bühne (je nachdem, wie „gewaltbereit“ das werte Publikum war und wie gut oder schlecht es von den auftretenden Bands bedient wurde). Der legendäre Clash-Riot in der Hamburger Markthalle im Jahr 1980 zählt zu den bekanntesten Beispielen dieses Phänomens. Die ersten Auftritte der Hamburger Band Abwärts fallen ebenfalls in diese Zeit. Berichten älterer Hamburger Punks zufolge war die Gruppe um Frank Z. jedoch selten betroffen, da ihre eigene Ausstrahlung schon bedrohlich anmutete: Neubautens FM Einheit an der Stahlpercussion, die düstere Schönheit der ausdruckstanzenden Geigerin Margita Haberland, Z.’s aggressive Stimme – da hat sich wohl keiner getraut, Stunk zu machen. Fast 35 Jahre später sind solche Szenarien kaum noch denkbar. Wer sich also die immer noch existierenden Abwärts in ihrer vierten Reinkarnation und ganz gefahrlos anschauen möchte, sollte am 21. November in den Hafenklang gehen.

 

John Logans‘ „Rot“

Das Zweipersonenstück über den Künstler Mark Rothko läuft noch bis zum 29. November in den Hamburger Kammerspielen.

Ein Genie, ein Hitzkopf und eine Legende. Gleichwohl war Mark Rothko zeitlebens einsam und depressiv, bis er mit 66 Jahren sein Leben beendete. Den Kern des Künstlerdramas bildet die Zusammenarbeit von Rothko und seinem fiktiven Assistenten Ken, der den Künstler zu verstehen sucht. 1958 bekommt Rothko den höchstdotierten Auftrag seines Lebens: Er soll für das New Yorker Vier Jahreszeiten eine Reihe von Wandbildern kreieren – für den menschenscheuen Rothko Segen und Fluch. Das Zweimannstück von John Logan, der für die Drehbücher zu Filmen wie Gladiator, Sweeney Todd und Skyfall bekannt ist, zeigt Rothko als Choleriker und Selbstzweifler. Nach seiner Broadway-Premiere wurde Rot mit Preisen überschüttet, darunter sechs Tony Awards. Die Titelrolle übernimmt Markus Boysen, Jacob Matschenz mimt seinen Gegenspieler. Michael Bogdanovs Inszenierung wurde bereits im letzten Jahr von Kritikern für ihre schauspielerische Intensität gefeiert.

Text: Natalia Sadovnik

 

Courtney Barnett

Die junge australische Singer-Songwriterin eignet sich als neues Role Model für Slacker – nachzuprüfen am 20. November im Molotow.

Ein properes Debütalbum von Courtney Barnett steht noch aus, mit der Doppel-EP A Sea Of Split Peas hat sich die Australierin aber immerhin schon mal eindrucksvoll vorgestellt. Redseliger als eine Hip-Hop-Platte fügen die Songs schläfrigen Indierock mit eindrucksvollem Mitteilungsbedürfnis zusammen, etwa bei der gleichermaßen dunklen, komischen und romantischen Traumnacherzählung History Eraser oder der weggelachten Nahtoderfahrung Avant Gardener. Barnett hat einen lyrischen Schwung, der den Dylan-Vergleich sucht (und sich dabei gut behauptet), und eine selbstbewusste Schnodderigkeit, die an die junge Liz Phair erinnert. Dem gitarrenverliebten Schräglagenrock von Pavement und Sebadoh wird nebenbei auch noch gehuldigt. Das Image des liebenswerten Slackers ist ein bisschen aus der Mode gekommen, mit Courtney Barnett wäre mal wieder ein geeignetes Role Model vorhanden.

Text: Michael Weiland

 

Zuckerschweine

Die Hamburger Impro-Theatergruppe lädt in „Jeder gegen jeden – das Match“ zum spontanen Spiel auf Stichwort-Zurufe aus dem Publikum.

Seit 15 Jahren sind die Zuckerschweine fester Bestandteil der Impro-Landschaft Hamburgs. Regelmäßig tritt die schrille sechsköpfige Gruppe (inklusive eines Gitarristen) gegen andere Darsteller-Ensembles an oder spielt mit ihnen zusammen. Die Szenen entstehen nach Vorgaben des Publikums – ohne jegliche Regieanweisungen oder Requisite. Je nach Stichwort entstehen Szenen oder kurze Sketche aus dem Stegreif. Wenn das Publikum es verlangt – „Stop! Weiter im Horror!“ – wird zwischen verschiedenen Musik-, Theater- und Filmgenres hin und her gesprungen. Zu ihren besonderen Späßen gehört es, einem anderen Darsteller auf der Bühne Worte in den Mund zu legen, also zu synchronisieren. Natürlich fällt bei solch einem Konzept jeder Auftritt anders aus – genau darin liegt der Reiz an der Sache. Ein Abend mit viel Gelächter und Überraschungen garantiert.

 

Heftiger Hafenklang

Volle Packung: Drei Bands bieten die ganze Palette an Indie- und Noise-Rock, Emo und Screamo, Stoner Rock und Deathcore.

Jo, das rockt ja ganz ordentlich. Wer am 20. November in den Hafenklang geht, darf sich auf die volle Packung freuen: fette Gitarrenriffs, tonnenschwere Beats, klagendes Gebrüll. Coliseum stammen aus Louisville, Kentucky, sind zu dritt und scheinen sich noch an die alte Schule zwischen Indie- und frühem Noise-Rock zu erinnern. Doomriders, bei denen der Converge-Bassist Nate Newton singt und Gitarre spielt, sind da eher – wenn nicht altersmäßig, so doch stilistisch – eine Generation später einzuordnen. Ihr Sound ist insgesamt flinker und druckvoller, und die Tatsache, dass das Quartett mit zwei Gitarren besetzt ist, erlaubt den ein oder anderen Ausflug in metallischere Gefilde. Als Einheizer für diesen Abend werden außerdem NoM aus Kiel erwartet. Die werden auch nichts anbrennen lassen.

 

Oracles

Der neueste heiße Scheiß, nicht nur für Pete Doherty: Die Köln-Berliner Band spielt ihren uferlosen Rock live im Molotow.

Auf dem Reeperbahn Festival waren Oracles eine dieser Bands, von denen man vorher kaum gehört hatte, deren Namen dann aber jeder auf den Lippen hatte (trotz eines wegen technischer Probleme abgebrochenen Gigs im Imperial-Theater – sie spielten aber noch einen). Die Band aus Köln und Berlin hat bei dem Hamburger Label Clouds Hill eine Heimat gefunden, ein prominenter Freund der Plattenfirma hält sie gar für den neuesten heißen Scheiß: Pete Doherty sah Oracles live und bekundete gleich seine Liebe für die psychedelische Mischung aus Krautrock, Afrobeat und Rock’n’Roll. Joshua, Nils, Hanitra, Dennis und Niklas haben gerade ihre EP Stanford Torus veröffentlicht, die sie bereits in New York bei der Musikmesse CMJ auf der Bühne vorstellen durfte. Diese Band ist für Großes bestimmt, es geht gerade erst los. So uferlos und vereinnahmend klang Rockmusik aus Deutschland lange nicht.

Text: Michael Weiland