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Datscha!

Balkan-Elektro-Beats und Videoanimationen von tanzenden Bauarbeitern machen die Barkasse Hedi heute zur Tanzfläche für Kinder.

Wer sagt denn, dass auf Hedi immer nur Erwachsene ihren Spaß haben dürfen? Also liebe Kinder, poliert eure Tanzschuhe, schnappt euch einen ausgewachsenen Menschen eurer Wahl und geht auf die Kinderparty vom Datscha Projekt. Was das ist? Das Wort „Datscha“ kommt aus Russland und bezeichnet in etwa das Gleiche wie die deutsche Kleingartenlaube: eine Behausung im Grünen, in der man sich erholen kann. Das Datscha Projekt will osteuropäische Musik und Lebensfreude in Deutschland bekannter machen. Die zugehörigen DJs und VJs aus Hamburg, St. Petersburg und Moskau bedienen sich dafür abgefahrener Live-Soundsyteme und Videoanimationen. Erwarten darf man die „Musik der russischen Kneipenorchesterkinder, Balkan Electro, Franzosenpolkas und Swing“, optisch unterstützt durch „schimmelreitende Schönheiten, singende Hasen und fliegende Bauarbeiter“ auf den Leinwänden. Summa summarum heißt das: „Tanzen bis zum Sandmännchen!“ Die Barkasse legt jede volle Stunde von den Landungsbrücken aus ab.

Text: Lena Frommeyer

 

Helmet

Präzises Gitarrengebretter jenseits von Genregrenzen: Page Hamiltons Band spielt die Songs des dritten Helmet-Albums, „Betty“, live im Knust.

Als Genregrenzen noch eine gewisse Restbedeutung hatten, also zuletzt so in den Neunzigern, verwirrte die New Yorker Band Helmet mit ihrer Version von harter Gitarrenmusik: Die Songs, die Bandkopf Page Hamilton mit seinen Mitstreitern entwarf, waren nicht Metal, nicht Prog, nicht Hardcore, nicht Grunge. Deren Anhänger konnten sich dennoch irgendwie auf das präzise Gebretter einigen, das damals seinesgleichen suchte – und bis heute nicht gefunden hat. Betty, das dritte Album von 1994, ist eine der ewigen Konsensplatten des US-Alternative-Rocks, Finesse und Wucht sind hier in seltener Ausgewogenheit zu finden. Zum 20. Geburtstag der epochalen Langspielplatte geht Hamilton mit zu Klassikern gewordenen Songs wie Wilma’s Rainbow und Milquetoast auf Tour. Von ihm abgesehen sind dabei keine Original-Mitglieder in der aktuellen Helmet-Besetzung zu hören. Zu verschmerzen, seine Gitarre spielt eh seit jeher die erste Geige.

Text: Michael Weiland

 

Again: Wilde 13

Erst in Buchform, dann als Film und nun auch im Theater: In der Buslinie 13 wird der Charakter von Wilhelmsburg sichtbar – auch die Probleme durch Gentrifizierung.

Bedingt durch Großprojekte wie die IBA und die Internationale Gartenschau war das öffentliche Interesse an Wilhelmsburg in den vergangenen zwei Jahren besonders groß und die Elbinsel wurde mit vielen Klischees aufgeladen. Welche Veränderungen das nach sich zieht, und welche Ängste das bei den Wilhelmsburgern auslöst, thematisiert der aus Kerstin Schaefers Magisterarbeit entstandene Dokumentarfilm und nun auch das Theaterstück Die Wilde 13. Vom Sitzen auf angestammten Plätzen. Regisseur Jan Gehler, der in Dresden lebt, möchte kein spezielles Wilhelmsburg-Stück zeigen. Es geht ihm um „Stempel und Masken“, die den Wilhelmsburgern von außen verpasst werden. Klischees werden mit tatsächlicher Lebenswirklichkeit vermischt und auch der Hype um die Vielfalt auf der Elbinsel wird kritisch beleuchtet. In dem Bühnentext von Olivia Wenzel werden collagenartig verschiedene Geschichten rund um das neue und alte Wilhelmsburg verwoben. Eine unheilvolle Schlüsselrolle spielt dabei die ominöse I. Zielinsky, die aus dem Bus heraus Wilhelmsburg als ziemlich exotisch erlebt … Das klingt nach einem hochaktuellen, fröhlich kritischen Beitrag zur stets aufs Neue entflammenden Gentrifzierungsdebatte. Die Premieren am 21. September um 16 und 20 Uhr sind ausverkauft. Im Anschluss steigt im Ballsaal eine Soulkitchen-Exil-Party.

Text: Katharina Manzke

 

Beijing Berlin Projekt

China im Blick: Skulpturen des Pekinger Bildhauers Wang Shugang sind bis zum Januar 2015 im Ernst Barlach Museum Wedel zu sehen.

In Deutschland hat er gelernt, was es heißt, einsam zu sein, sagt der 1960 geborene Bildhauer Wang Shugang, der von 1989 bis 2000 im Ruhrgebiet lebte, bevor er nach Peking zurückging. Dennoch ist er hier immer wieder zu Gast, gehört zu den Künstlern der Berliner Galerie Alexander Ochs und bekam am 31. August im Ernst Barlach Museum Wedel den Ernst Barlach Preis 2014 verliehen. Seine Arbeiten, die sich um den Umbruch der chinesischen Gesellschaft drehen und darum, dass persönliche Freiheit immer auch den Verlust von Gemeinschaft bedeutet, gastieren in Wedel gleichzeitig mit dem Beijing Berlin Projekt (Foto), das eine verblüffende Ost-West-Zusammenarbeit zeigt. Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Januar 2015 zu sehen. Ein guter Grund für einen kleinen Ausflug hinter die westliche Stadtgrenze Hamburgs.

Text: Sabine Danek

 

Glyn Dillon

Der Londoner Zeichner nimmt den Trubel auf Pauli zum Anlass,  Hamburg einen Besuch abzustatten und spricht mit Dirk Schneider über sein „The Nao in Brown“.

Nao ist halb Japanerin und halb Engländerin, arbeitet in einem Spielzeugshop und als Designerin. Sie lebt in London, träumt von der großen Liebe und ertappt sich selbst immer wieder dabei, wie sie darüber fantasiert, den Menschen auf der Straße Gegenstände ins Auge zu rammen oder sie vor die Bahn zu schubsen. Und Nao ist die Hauptfigur des ersten Autorencomics von Glyn Dillons, der zuvor lange als Storyboard-Zeichner gearbeitet hat, bevor er 2013 The Nao in Brown veröffentlichte und einige der renommiertesten Comicpreise der Welt, wie den Spezialpreis der Jury in Angoulême, einsackte. In seinem ersten Werk erzählt er die Geschichte von Nao als feinfühlige Liebesgeschichte, die zwischen Realität, Zwangsstörung und Wahn, zwischen genauer Beobachtungsgabe und Poesie schwankt. Bei seinem Besuch im Strips & Stories wird er sich mit dem Journalisten Dirk Schneider über die Facetten seines Debütwerks sowie sein momentanes künstlerisches Schaffen unterhalten. Im Anschluss wird Dillon zudem noch für Signaturen zur Verfügung stehen.

 

A Wall is a Screen

Im Rahmen des Reeperbahn Festivals projiziert das mobile Kino musikalische Kurzfilme an Hausfassaden. Zuvor läuft eine „German Pop“-Dokumentation im East Hotel.

Auch am letzten Tag des Reeperbahn Festivals werden Menschenmassen durch die Straßen und Gassen St. Paulis mäandern. Wer aufmerksam nach links und rechts schaut, den überrascht vielleicht eine Projektion. Das mobile Kino A Wall is a Screen nutzt auch in diesem Jahr diverse Fassaden auf dem Kiez als Leinwand. Wer die Flimmerer bei ihrer Tour begleitet, nimmt an einer Kombination aus Stadtführung und Filmnacht teil. Gezeigt werden Kurzfilme, die thematisch zum Clubfestival passen. Starttreffpunkt ist der Eingang zur Südtribüne vom Millerntorstadion. Wer sich zuvor bereits Musikfilm-technisch in Stimmung bringen möchte, schaut um 17.30 Uhr im East Hotel die Dokumentation Musik ist Trumpf von Thomas Röschner und Alfred Hackensberger über „German Pop“ der 1990er Jahre.

Text: Lena Frommeyer

 

MakerHub

In der Anlaufstelle für Technik-Innovationen und gemütliches Kaffeetrinken treffen Töne auf Farben bei der Pop-up-Gallery von Patrick Hanke.

Hightech trifft Cappuccino: Das MakerHub in Altona ist gleichzeitig Café und Knotenpunkt für moderne Technik. Das junge Ehepaar Seda und Ali Jelveh serviert im Erdgeschoss Kuchen und einen günstigen Mittagstisch. In der oberen Etage werden 3D-Drucker und CNC-Cutter hergestellt und eine große Veranstaltungsfläche an kreative Macher vermietet, etwa für Vorträge von Start-ups. Auch Künstler stellen hier aus: Patrick Hanke eröffnet am 20. September im MakerHub seine Pop-up-Gallery. Bei den Bildern aus der Serie Eins von 20 treten die Techniken „Siebdruck“ gegen „Aquarell“ an. Mit einer beachtlichen Kollektion an Malwerkzeug – von einer Art Zahnbürste bis zum klassischen Pinsel – bringt er Abstraktes auf die Leinwand.

felox

Bei der Vernissage treffen Töne auf Farben: DJ Felox (Foto), ein umtriebiger Soundbastler, den man aus dem Mandalay oder Mojo Jazz Café kennt, legt auf.

Text: Lena Frommeyer

 

„The Texas Chain Saw Massacre“

Das B-Movie zeigt Tobe Hoopers legendären Horrorstreifen aus dem Jahr 1974 in der digital restaurierten Originalfassung – und ungeschnitten.

Es gibt da diese tolle Dokumentation namens American Nightmare, in der Filmemacher wie George Romero, John Carpenter und Wes Craven über die Hintergründe ihrer radikalen Frühwerke Auskunft geben. „We wanted to create horror“, sagt dort einer von ihnen. Banale Aussage, aber treffender kann man es nicht formulieren. Gesagt, getan: Als Paradebeispiel für einen mittlerweile 40 Jahre alten Film, der immer noch maßlos schockiert, steht Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre – eine Geschichte um fünf junge Leute, die irgendwo in Texas in die Hände von kannibalistischen Landeiern geraten. Während vier von ihnen – nicht nur sinnbildlich gesprochen – im Laufe des Filmes zu Wurst und Schinken verarbeitet werden, gelingt Sally die Flucht – allerdings erst nachdem sie sich eine Dreiviertelstunde lang vor Entsetzen die Seele aus dem Leib (und dem Zuschauer einen Tinnitus ins Ohr) gekreischt hat. Viel Spaß!

 

Implore / The Ouroboroses

Imposant vorgetragener High-Speed-Wahnsinn: Unter dem Motto „Metal Fortress“ gastieren zwei Trios aus Hamburg in der Astra Stube.

Die Astra Stube an der Sternbrücken-Kreuzung ist eigentlich nicht gerade als Top-Location für brettharte Metal-Konzerte bekannt – sollte sie aber. Immerhin finden hier seit mehreren Jahren, stets am dritten Samstag im Monat, amtliche Baller-Abende unter dem Motto Metal Fortress statt. Im September sind mit Implore und The Ouroboroses zwei junge Trios aus Hamburg zu Gast, die sich in puncto Schnelligkeit, Durchschlagskraft und Intensität nichts schenken. Die Koordinaten heißen Death Metal, Crust- und Grindcore. Mit dem traditionellen Sound der jeweiligen Genre-Pioniere (Discharge, Napalm Death, Morbid Angel) hat dies hier aber nur noch am Rande etwas zu tun. War deren Spiel damals schon beeindruckend, hat sich bei heutigen Bands die Wahnsinnsspirale noch weiter nach oben geschraubt. Einfach nur schwer imposant, was da mittlerweile abgeht und mit welcher Inbrunst diese Leute ihre Instrumente traktieren.

 

FINtango

Der finnische Tango feiert in diesem Jahr seinen 101. Geburtstag. Zeit zum Feiern – mit finnischen Tangobands und DJs, Tanzkursen und einer mobilen Sauna.

Einmal bitte oben das Foto anschauen. Klischee bestätigt: Beim Festival FINtango ziehen Nordmänner blank, um in einer mobilen Sauna ihrem Schwitzritual zu frönen. Dabei steht hier eine ganz andere Ausdrucksform des finnischen Lebensgefühls im Fokus: der Tango. Die melancholisch-kraftvolle Musik hat in diesem Teil Skandinaviens eine lange Tradition, die auch im Ausland zelebriert wird. Zum zweiten Mal findet vom 19. bis 21. September in Altona FINtango statt, das einzige finnische Tangofestival außerhalb des Mutterlandes, initiiert von Tangomusiker Timo Valtonen. Die Hauptrolle spielen fünf finnische Tangobands – unter anderen die Musikerin Sanna Pietiäinen, die man aus dem Film Mitternachtstango kennt und die das Festival mit ihrem Konzert in Hamburg eröffnet – zudem Tanzkurse, finnische DJs und eine Ausstellung. Diese zeigt, warum ausgerechnet die Finnen zur zweitgrößten Tango-Nation der Welt wurden.

Text: Lena Frommeyer