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Eisbergwarnung, aber Axel Weber hält Kurs

 

Die Talfahrt der europäischen Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar scheint beendet. Der Euro durchbrach in der abgelaufenen Woche zwei „big figures“, wie die Händler sagen. Er schoss von unter 1,18 Dollar je Euro in der Spitze auf über 1,2050 und beendete die Woche bei 1,20. Damit hat er sich deutlich von seinem Jahrestief von Anfang November entfernt. Es spricht wenig dafür, dass er es wieder in Angriff nimmt. Der Devisenmarkt verharrt noch immer im Zins-Paradigma. Die Herde spekuliert auf die Leitzinsdifferenz zwischen Dollar und Euro. Und da die amerikanische Fed nach ihrer Sitzung vergangenen Dienstag zu verstehen gegeben hat, dass sich der amerikanische Zinserhöhungszylkus seinem Ende nähert, fließt wieder Spekulationsgeld in den Euro. In Euroland stellen sich die Händler auf mindestens eine weitere Zinserhöhung der EZB ein.

Eines dürfte klar sein, mit jedem weiteren Cent, den der Euro gewinnt, wird sich ein anderes Paradigma wieder in den Vordergrund schieben: Die Leistungsbilanzungleichgewichte. Hier gab es in der abgelaufenen Woche gemischte Zahlen: Das Handelsbilanzdefizit der USA erreichte im Oktober einen neuen Rekord von 68,9 Milliarden Dollar und übertraf die Erwartungen der Analysten deutlich. Das Leistungsbilanzdefizit hat dagegen im dritten Quartal mit 195,8 Milliarden Dollar, um rund zehn Milliarden Dollar niedriger gelegen als erwartet. Das Ergebnis des Vorquartals wurde um 2 Milliarden Dollar unterschritten. Der Hauptgrund für die Verbesserung wird in Zahlungen gesehen, die ausländische Versicherungen zur Regulierung von Schäden geleistet haben, die durch die Wirbelstürme Katrina and Rita verursacht worden sind. Für das gesamte Jahr 2005 erwarten Analysten mit 800 Milliarden Dollar erneut ein Rekorddefizit in der Leistungsbilanz, das in 2006 weiter auf 900 Milliarden Dollar ansteigen soll.

Bundesbankpräsident Axel Weber hat sich Mitte November in einer bemerkenswerten Rede mit dem globalen Ungleichgewicht befasst. Bemerkenswert ist die Rede in zweierlei Hinsicht: Einmal bezüglich der klaren Schlussfolgerung. Die Risiken für die Weltwirtschaft, die sich aus dem Trend der US-Leistungsbilanz ergeben, seien nicht zu unterschätzen. Und zum anderen bezüglich der wirtschaftspolitischen Konsequenzen, die Weber für angebracht hält. Hier ist er, was die Rolle Europas angeht, zurückhaltend. Dringend erforderlich hält er aber entsprechende Schritte der Vereinigten Staaten.

Mit diplomatischer Freundlichkeit hat Weber Bernankes Sichtweise einer strukturellen Änderung im Muster der Weltersparnis eine Absage erteilt. Es sei nicht ein Anstieg der Ersparnis, sondern ein Einbruch der Investitionen zu beobachten. Was auch die neuesten Untersuchungen des IWF zum Ausdruck brächten. Bernankes „saving glut“ Hypothese mag zur Erklärung des US Leistungsbilanzdefizits beitragen, aber ein Argument für dessen längerfristige Aufrechterhaltbarkeit kann Weber darin nicht sehen. Ebenso wenig überzeugen ihn andere Versuche, eine längerfristige Stabilität zu begründen, wie die „Bretton Woods II“ Hypothese oder Greenspans „asset view“. Webers klare Schlussfolgerung ist, dass die laufende Entwicklung des US Leistungsbilanzdefizit nicht aufrechterhaltbar ist:

„Taking everything together: The current trend in the US current account deficit is unsustainable.“

und man sich möglicher Risiken bewusst sein müsse.

„As central bankers are paid for paying attention to risks, we should be aware that an abrupt unwinding of the current imbalances could mean massive exchange rate and interest rates movements – and, of course, a shake-up of the global economy.“

Weber macht keinen Hehl daraus, wo er das Risiko sieht. Nämlich in der Unberechenbarkeit mit der die internationalen Finanzmärkte auf Unsicherheit reagieren können.

„… the process of deepening international financial markets – despite all benefits – entails its own risks: Inconsistent medium-term macroeconomic policy configurations might lead to marked shifts in investor sentiment and more volatile capital flows.“

Und später im Text:

„Moreover, the current configuration is predominantly the outcome of very different decisions and actions by market participants. This limits the room for policy options and it may justify some trust that adjustment processes led by market forces will allow for a smooth transition to a more balanced world economy. But, given the uncertainty surrounding a purely market-led adjustment process, there is a justification for supporting policy responses.“

Unmissverständlich sollte sein Hinweis auf Rüdiger Dornbuschs vier Phasen eines Währungskollaps sein.

„We should obviously avoid the global economy following the lines described by the late Rudi Dornbusch. According to him, the collapse of unsustainable currencies and wrong-headed policies typically follows a cycle of four distinct phases: 1) enthusiastic investors and speculators chasing immediate short-term returns cause the anomaly to last for longer than economists expect, 2) puzzled by the failure of prices to return to fundamentals or the failure of unsustainable policies to generate a crisis, highly intelligent economists evolve theories explaining that ‚this‘ time it really isn’t unsustainable, 3) fortified by these theories, yet more investors and speculators chasing short-term returns flood into the market, causing the anomaly to last for much longer than economists had originally expected, and finally, 4) the supply of greater fools comes to a sudden end; the crash comes; the crisis materialises.“

So eindeutig warnend Weber bei seiner Schlussfolgerung ist, so zurückhaltend ist er bezüglich der wirtschaftspolitischen Konsequenzen.

Er zollt zunächst der bisherigen Strategie der G7 Tribut.

„How can resistance to an (abrupt) adjustment be increased? The most sensible answer to these questions are, in my view, to be found in the well-known approach agreed at several IMF and G7 meetings: (a) US: increase in domestic savings, (b) Asia: more flexible exchange rate policies, (c) Europe: structural reforms.“

Erklärt dann aber, dass der Beitrag, den Europa zur Auflösung des Ungleichgewichts beisteuern kann, eher ein bescheidener sei. Im Gegenteil, die strukturellen Reformen, die in Europa und besonders in Deutschland auf der Agenda stünden, seien kurzfristig sogar kontraproduktiv (!). Auf gut Deutsch: Euroland verschärft mit seinen Strukturreformen das Ungleichgewicht.

„For most of the currently discussed areas of reform – social security, fiscal policy – it is quite possible, that they will lead – at least in the short term – to increased savings in Europe. This, of course, would not help the adjustment to global imbalances – on the contrary.“

Hier setzt Weber auf die langfristige Perspektive. Eine flexiblere europäische Wirtschaft sei besser in der Lage negative Schocks, wenn sie denn kommen, zu absorbieren.
Was die größere Flexibilität der Wechselkurse der asiatischen Währungen angeht, ist Weber ebenfalls skeptisch, dass dies eine entscheidende Rolle bei der Problemlösung spielt.

„… it should be borne in mind that, looked at realistically, more flexible exchange rates in Asia will also by themselves play no more than a partial role in this issue.“

Wichtiger (er spricht von „another potential role for Asian economies“) erscheint die Stärkung der Investitionstätigkeit in den Ländern der Region (mit Ausnahme von China). Etwas allgemeiner formuliert, kann man dies als Hinweis auf die insgesamt zu schwache Binnennachfrage interpretieren. Oder anders ausgedrückt auf die hohe Nettoersparnis in den Überschussregionen – verstanden als die Differenz zwischen Ersparnis und Investitionen.

Eine Stärkung der Binnennachfrage in Asien, aber eben auch in Europa, ist meines Erachtens ein notwendiger Schritt, um Bedingungen zu schaffen, die die Gefahr einer rezessiven Auflösung des Ungleichgewichts verringern helfen. Der Bundesbankpräsident verkneift sich – aus welchen Gründen auch immer – eine klare Aussage in diese Richtung. Aber er stellt zumindest fest, dass

„With regard to reliance on external conditions Europe and Asia face the same kind of problem: Both the tiger and the bull show their strength predominantly outside their domestic habitat.“

Ein weiterer notwendiger Schritt liege bei den Vereinigten Staaten. Und hier ist Axel Weber interessanterweise ziemlich deutlich. Im Gegensatz zu Ben Bernanke, der mit seiner Global Saving Glut Hypothese eine Begründung dafür hat, dass die Vereinigten Staaten wirtschaftspolitisch quasi nichts ausrichten können und brauchen, endet Weber seine Rede mit den Worten:

„But it is certainly true: With regard to measures to reduce the current global imbalances the most urgent policy steps have to be taken by the US authorities.“

Ein dritter notwendiger Schritt zu dem sich Weber überhaupt nicht äußert, ist meiner Meinung nach eine koordinierte makroökonomische und währungspolitische Zusammenarbeit, die über den derzeitigen G7 Rahmen hinausgeht. Zwar weist er darauf hin, dass einzelne Maßnahmen für sich genommen nicht zum Erfolg führen und dass inkonsistente Makropolitiken die Unsicherheit auf den Finanzmärkten erhöhen, aber wie dem zu begegnen sei, darüber schweigt er sich aus. Es sei denn, man will die ganze Rede als subtilen Fingerzeig verstehen, dass die G7 Strategie, sich auf allgemeine Erklärungen zu beschränken, bisher wenig zielführend war, und es höchste Zeit ist, diese zu überdenken.