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Es scheppert nur

 

Werden wir uns eines Tages an den 8. Mai 2006 erinnern? So wie wir noch immer den 10. März 2000 nicht vergessen können? Den Tag, als die heile Welt an den Finanzmärkten zerbrach, als Höchststände gefeiert worden sind, denen wir noch Jahre später nachtrauern?

Der 8. Mai gilt wahrscheinlich bei einigen Rohstoffen wie Kupfer oder Aluminium als besonderer Höhepunkt, wahrscheinlich auch bei einigen Aktien wie den deutschen Solarwerten oder russischen Rohstoffproduzenten wie Gasprom. Vielleicht auch bei den niedrigen Renditeaufschlägen für Anleihen riskanter Unternehmen. Zwar scheinen die Übertreibungen an den Finanzmärkten derzeit deutlich geringer als um die Jahrtausendwende mit der irren Technologieblase. Doch es gibt ein paar Risiken, die trotz weniger Übertreibungen als 2000 ein ähnliches Drama nach sich ziehen könnten.

Zunächst der Blick auf die vergangenen drei Wochen: Er entblößt nichts Erschreckendes. Dort, wo besonders viel heiße Luft drin war, hat es am lautesten gescheppert. Am stärksten verloren die Aktienmärkte in Russland, in der Türkei, Brasilien, Südafrika und Argentinien. Auch die deutschen Aktien hat es getroffen, galten sie doch in den vergangenen Monaten als heißer Tipp. Sie haben stärker verloren als beispielsweise die Aktien aus Schwellenländern in Asien, oder japanische Titel.

Was war der Auslöser für den Wetterumschwung, vor dem hier im Blog ja schon gewarnt worden ist (Sturmwarnung bei 6.000 Dax-Punkten )? Ich glaube man kann es ziemlich genau nachzeichnen: Der überraschend starke Inflationsanstieg in Amerika hat die globalen Makro-Hedge-Funds zum Rückzug getrieben. Ich hatte Anfang Mai mit ein paar Verwaltern von Fonds sonderbare Gespräche über globale Inflationsgefahren, die mich nun gar nicht umtrieben und auch heute noch nicht umtreiben. Aber plötzlich kam diese Inflationszahl und der Rückzug der spekulativen Gelder begann. Und dort, wo es besonders heiß zugegangen war in den vergangenen Monaten, blinkten die Minuszeichen plötzlich ziemlich dick. Die Analysten von ABN Amro erklären sich die seither bessere Entwicklung von US-Anleihen, Aktien und dem Dollar genau damit. Die meisten Makro-Hedge-Funds sitzen in Amerika und bringen die Gelder nun zurück, was paradoxerweise die Assets stützt, die doch eigentlich von den Gefahren Inflation und Dollarrückgang am meisten betroffen sein müssten.

Bis zu der Inflationszahl, ging die Herde am Kapitalmarkt davon aus, dass die amerikanische Notenbank die Zinsen bei 5 Prozent belässt. Die Wahrscheinlichkeit wurde sogar höher eingeschätzt, dass der nächste Zinsschritt nach unten denn nach oben gehen würde. Diese Wette ist unsicherer geworden.

Die Reaktion an den Märkten zeigt, dass nach wie vor das meiste Geld und die stärkste Feuerkraft in Amerika sitzt. Und diese Manager sind wie alle anderen home biased, was so viel heißt, dass sie das, was zu Hause passiert, viel höher gewichten als alles andere. Ich hatte angesichts der überraschenden Zinswende in Japan und Europa etwas früher mit dem Rückzug des spekulativen Geldes gerechnet. Jetzt ist es passiert.

Wie geht es weiter? Ich glaube, bis Oktober wird es kaum Spaß machen, an den Märkten aktiv zu sein. Das Risiko ist zurückgekehrt und damit die Unsicherheit, die Kurssprünge und raschen Tendenzwechsel. Ich glaube nicht, dass es sich um eine „gesunde Konsolidierung“ handelt, nach der es umso kräftiger nach oben geht. Die Märkte müssen sich erstmal wieder an die Sorge vor Inflation gewöhnen und die Sorge vor Deflation aus ihren Köpfen streichen. Das dauert ein paar Monate. Auch ist mir der Optimismus an den Märkten derzeit noch viel zu hoch. Nach einem richtigen Sell-off sah das noch nicht aus.

„Die Märkte erleben ein Wettrennen zwischen schwächerem Wachstum und steigenden Inflationsgefahren“, schreiben die Analysten von JP Morgan. Ersteres ist gut für Anleihen, letzteres schlecht. Ersteres ist in der Tendenz gut für riskante Titel wie Aktien, Rohstoffe und Schwellenländerfonds, letzteres katastrophal. Fällt das Wachstum jedoch zu schwach aus, dann überwiegen die Sorgen vor Überkapazitäten die günstigen Finanzierungsbedingungen und das Spiel für riskante Titel ist aus. Das Horrorszenario lautet Stagflation. Also schwaches Wachstum plus höherer Inflation. Dann bleiben nur variable verzinsliche Anleihen als letzte Rettung.

Aus meiner Sicht spricht derzeit nichts für Stagflation, auch wenig für Inflation. Ein schwächeres US-Wachstum geht in Ordnung. Nur glaube ich, dass die Herde den Einfluss Amerikas zurzeit überschätzt. Der Rest der Welt ist durchaus in der Lage ein schwächelndes Amerika zu verkraften, wenn gleich kein rezessives! Deshalb bin ich halbwegs gelassen. Aber bis wir mehr Gewissheit über die globale Makroökonomie haben, ist es Herbst. Aus dem Bauch heraus traue ich dem Dax ein Abrutschen auf 5.200 Zähler locker zu.

Wo liegt das größte Risiko?
Das habe ich im GELDSpezial beschrieben. Es ist die immer stärkere Gleichschaltung der Akteure an den Finanzmärkten. Überall wird mit ganz ähnlichen Risikomessmodellen gearbeitet, überall schreibt die Aufsicht, Stichwort Basel II, genau diese Gleichschaltung vor. Wenn aber alle gleichgeschaltet sind, kann aus einer kleinen Krise eine Katastrophe werden.

Auch für dieses Risiko ist es nicht schlecht noch ein paar Reserven zu besitzen!