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Der IWF hat sich überlebt

 

Aus aktuellem Anlass, der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank, möchte ich ein altes Anliegen von mir begründen, nämlich dass der IWF nicht mehr benötigt wird, jedenfalls nicht für das, was seine ursprüngliche Aufgabe war. Ich dachte immer, das sei so einleuchtend, dass der Fonds ohnehin bald geschlossen würde. Irgendwie ist das in der Öffentlichkeit aber nie zu einem Thema geworden.

Nach wie vor wird über die Besetzung von Washingtoner Posten und die Verteilung von Stimmrechten gerangelt, Jahr für Jahr überprüfen Teams von hochqualifizierten aber häufig nicht sonderlich von Detailkenntnissen belastete Ökonomen die Stabilitätskultur und den Reformeifer eines jeden Landes dieser Erde, einschließlich Deutschlands, und erteilen wirtschaftspolitischen Unterricht. Institutionen sterben offenbar nicht so schnell, auch wenn sie sich überlebt haben.

Es war einmal ein Problem, das hieß: Es gibt einen Mangel an Währungsreserven, und weil das so ist, könnte das System der festen Wechselkurse (gegenüber dem Dollar) irgendwann einmal zusammenbrechen. Nach den Währungsturbulenzen der zwanziger und dreißiger Jahre wurde der Stabilität der Wechselkurse gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ein hoher Rang beigemessen. Im Nachhinein war die Zeit bis Anfang der siebziger Jahre aus ökonomischer Sicht in der Tat eine der glücklichsten, vergleichbar den Gründerjahren mit ihrem Goldstandard, der ja ebenfalls ein Festkurssystem war.

Die raison d’etre des IWF bestand darin, in Krisensituationen vorübergehend Finanzhilfen zu gewähren und damit eine Abwertung gegenüber dem Dollar aufzuschieben oder zu verhindern. Dadurch wurde Zeit gewonnen, die für Anpassungen genutzt werden konnte, mit denen die Nachfrage nach der eigenen Währung gestärkt wurde, etwa durch höhere Zinsen. War eine Abwertung fundamental nicht gerechtfertigt, half das. Meist kam es aber letztlich doch zu einer Abwertung.

Am Ende ist das System von Bretton Woods nicht wegen eines Mangels an Währungsreserven zusammengebrochen, sondern weil es zuviel davon gab. Die USA hatten im Gefolge des Vietnamkrieges die Devisenmärkte mit Dollars überschwemmt, so dass Anfang der siebziger Jahre die Bereitschaft Deutschlands, Japans und der Schweiz stark nachließ, all diese Dollars zu festen Kursen zu übernehmen. Die Kehrseite der Medaille war nämlich, dass durch die Interventionen in diesen Ländern die Liquidität – und mit ihr die Inflationsgefahr – unerwünscht stark zunahm.

Als Präsident Nixon schließlich das Ende der Goldkonvertierbarkeit des Dollars verfügte und damit zugab, dass dieser nicht mehr durch ein Edelmetall, sondern nur noch durch ein vages Zahlungsversprechen gedeckt war, war das Ende der Festkurse und damit eigentlich auch des IWF gekommen. Die wichtigsten Währungen schwankten seitdem frei gegeneinander, getrieben von privaten Marktkräften. Da Notenbanken nicht mehr intervenierten, brauchten sie auch keine Finanzhilfen mehr.

Der IWF erlebte allerdings einen zweiten Frühling, als die meisten Länder außerhalb des OECD-Bereichs nach dem Ende von Bretton Woods dazu übergingen, einseitig ihre Wechselkurse an den Dollar zu binden. Im Osten Europas und Teilen Afrikas bevorzugte man die Mark und den französischen Franken, später dann den Euro. Für kleine Länder ohne viel Devisenreserven ist das eine rationale Politik, da große Schwankungen im Außenwert ihrer Währungen hinsichtlich der Allokation von Ressourcen teuer sind.

Wechselkurse spiegeln die relativen Preise zwischen Volkswirtschaften wider, an die sich deren Strukturen in einem Optimierungsprozess anpassen. Sie sind für kleine Länder viel wichtiger als für große, weil sie ceteris paribus einen viel größeren Außensektor haben als diese. Wenn die Preissignale daher mal in die eine, mal in die andere Richtung weisen, kommt es zu Fehlinvestitionen. Was bei dem einen Wechselkurs für Unternehmen eine sinnvolle Strategie war, ist es bei einem völlig anderen nicht mehr. Stabile bilaterale Wechselkurse gegenüber der jeweiligen economie dominante sind daher meist wünschenswert.

Da diese Länder nicht damit rechnen konnten, dass ihnen die amerikanischen oder europäischen Währungsbehörden zu Hilfe eilen würden, wenn ihre Wechselkurse unter Abwertungsdruck gerieten, war dem IMF doch noch eine sinnvolle Rolle verblieben. Er verspielte jedoch in den späten achtziger Jahren seinen Ruf, als er erstens die asiatischen und russischen Währungskrisen zu spät erkannte und zweitens dann Rezepte verschrieb, die vor allem darauf hinausliefen, die Gürtel enger zu schnallen. Die Kreditnehmer waren nicht sonderlich davon angetan.

Das Ganze nahm mit dem 11. September 2001 eine überraschende Wende. Dieses Datum markiert den Beginn einer neuen Dollarschwemme und damit das endgültige Abgleiten des IWF in die Irrelevanz. Die amerikanische Wirtschaft war zum Zeitpunkt der Attacken bereits auf dem Weg, wenn nicht in eine Rezession, so doch zu deutlich niedrigeren Wachstumsraten und steigender Arbeitslosigkeit. Zwischen realem Sozialprodukt und Produktionspotential hatte sich eine große Lücke aufgetan. Die Inflation lag bei 2% und befand sich auf dem Rückzug, während der Staatshaushalt als Folge des Clinton-Booms der neunziger Jahre einen Überschuss aufwies. Eine stimulierende Wirtschaftspolitik lag daher nahe und wäre auch ohne 9/11 verfolgt worden. So aber wurden alle Schleusen geöffnet: Die Notenbankzinsen sanken in kurzer Zeit auf 1%, das Budgetdefizit erreichte binnen zweieinhalb Jahren 4 ½% des Sozialprodukts und der Dollar wertete handelsgewogen von Anfang 2002 bis Ende 2004 um fast 30% ab.

Die Kur war in nahezu jeder Hinsicht erfolgreich. Die amerikanischeWirtschaft expandiert seit dem vierten Quartal 2001 wieder mit Raten von durchschnittlich 3,2% und Vollbeschäftigung ist de facto erreicht. Sorge macht nur, dass die Inflation etwas höher ist als gewünscht. Zu schlaflosen Nächten hat das aber bisher nicht geführt.

Der für die Weltwirtschaft und die Zukunft des IWF entscheidende Aspekt war, dass die USA im Verlauf des Erholungsprozesses eine ungeheuer starke Nachfrage nach ausländischen Gütern und Dienstleistungen entfalteten. Das Defizit in der Handelsbilanz erhöhte sich von monatlich rund 30 Mrd$ im Jahr 2001 auf zuletzt 65 Mrd$, Tendenz steigend. Das löste vor allem in Asien, aber auch in Südamerika einen Exportboom aus und stimulierte das Wachstum dort. Die Globalisierungsspirale dreht sich immer schneller, und das Sozialprodukt der Welt nimmt seitdem real mit Raten von nahezu 5% zu. Ein aus europäischer Sicht nicht so erfreulicher Effekt war natürlich, dass es zu einer Preisexplosion bei Energie und Rohstoffen kam und sich dadurch die Einfuhrpreise viel stärker erhöhten als die Ausfuhrpreise, was wiederum zu einem Verlust an Wohlstand geführt hat. Andererseits laufen aber die Exporte sehr gut, was der Beschäftigung förderlich ist.

Für die wichtigsten Entwicklungsländer und Rohstoffexporteure ergab sich durch den Importsog der USA das Problem, dass sie immer höhere Überschüsse in ihren Handelsbilanzen erzielten. Wenn sie nicht alle Dollars gekauft hätten, die ihnen angeboten wurden, wären ihre Währungen zu stark geworden und sie hätten an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Die Folge war ein sehr starker Anstieg ihrer Währungsreserven. Diese sind inzwischen so groß, dass viele von ihnen, auch sehr arme, über mehr ausländisches Vermögen verfügen als sie Verbindlichkeiten gegenüber Ausländern haben.

Die Länder der Dritten Welt sind in den vergangenen fünf Jahren zu Nettokapitalexporteuren geworden. Sie kämpfen, wie Deutschland, Japan und die Schweiz vor mehr als dreißig Jahren damit, dass die Wechselkurse tendenziell zu fest sind und fürchten, dass das Anhäufen von Währungsreserven auf Dauer inflationäre Effekte haben wird. Sie stützen nach wie vor den Dollar und würden sich freuen, wenn sich ihre Währung abwerten würde. Nichts brauchen sie weniger als Finanzhilfen vom IWF.

Das muss nicht unbedingt so bleiben. Aber es sieht nicht danach aus, als ob so große Länder wie China, Russland, Indien, Korea, Thailand, Indonesien, Südafrika, Nigeria, Brasilien oder Argentinien nicht aus eigener Kraft und auf absehbare Zeit ihre Währungspolitik selbst bestimmen könnten. Dem IWF bleibt nur noch die Aufgabe, jenen meist kleinen Ländern gelegentlich unter die Arme zu greifen, die weder vom Rohstoffboom noch von der industriellen Globalisierung profitieren. Er könnte dann zu einer Abteilung der Weltbank mutieren. Tagungen in Singapur wären dann weiterhin möglich.