Die Preise fallen. Ja, Sie haben richtig gelesen: In Deutschland fallen die Preise. Gegenüber August kostet das durchschnittliche Warenbündel eines Bewohners Hessens und Brandenburgs 0,4 Prozentpunkte weniger als noch im August. Das hat gerade das Statistische Bundesamt bekannt gegeben. Natürlich dürfen Monatsdaten nicht überinterpretiert werden. Dennoch sie zeigen einen Trend an, den auch die Europäische Zentralbank (EZB) nicht ignorieren kann – und der der Zinserhöhungsfantasie der Ratsmitglieder einen Dämpfer verpassen dürfte.
Nach meinen Berechnungen dürfte die deutsche Inflationsrate im September auf 1,0 oder sogar 0,9 Prozent gegenüber September 2005 fallen. Im August lag sie im Jahresvergleich noch bei 1,66%. Der kräftige Rückgang der Inflation ist Folge von dreierlei: Erstens dem starken Basiseffekt, d.h. dem kräftigen Anstieg der Ölpreise von August auf September 2005, auch wegen Katrina. Zweitens dem starken Rückgang der Ölpreise in diesem Jahr, von August auf September um etwa 20 Prozent auf Dollarbasis. Und drittens dem festen Euro, der geholfen hat, die Einfuhrpreise zusätzlich zu senken.
Was bedeutet das ökonomisch?
Bei unveränderten nominalen Einkommen steigen die realen Einkommen rascher als erwartet, was der Konjunktur bei uns gut tut, da es den Verbrauch stärkt. Aber das ist gleichzeitig negativ für Ölproduzenten wie die OPEC-Länder oder Russland. Wir erleben eine Korrektur der Terms of trade, die sich nicht mehr zu unseren Lasten sondern zu unseren Gunsten bewegen. Die niedrigeren Einstandspreise für Energie, also die niedrigeren Gesamtkosten, gleichen den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch den stärkeren Euro aus. Es besteht die Chance, dass Euroland in Kürze wieder einen Überschuss in der Leistungsbilanz erzielen wird, was den Euro zusätzlich festigen dürfte. Insgesamt eine sehr positive Entwicklung.
Für die EZB wird wichtig sein, was mit der Inflationsrate für den Euroraum insgesamt passiert. Ich denke, wir werden unter die „heiligen“ 2 Prozent kommen, vielleicht auf 1,8 Prozent im Vorjahresvergleich bei den harmonisierten Verbraucherpreisen, nach 2,3% im August. Warum? Weil die Basiseffekte, der Ölpreis und der Wechselkurs in allen Ländern der Währungsunion dieselben Wirkungen haben wie in Deutschland.
Die EZB hat also ihre Zielmarke (Inflation nahe, aber unter zwei Prozent) endlich erreicht und könnte sich zurücklegen, also die Zinsen unverändert lassen, zumal ja auch die Inflationserwartungen wie sie sich etwa aus den inflationsindizierten Anleihen ableiten lassen, sowie die Rallye am Bondmarkt signalisieren, dass die Inflation niedrig bleiben wird, ja dass sie sich sogar nachhaltig vermindern wird. Da die Erhöhung der Zinsen für Anfang Oktober de facto schon angekündigt wurde und das jetzige Niveau noch nicht als „normal“ angesehen wird, ist nicht mit einem Aussetzen dieses Zinsschrittes zu rechnen.
Aber es könnte sein, dass im Dezember doch eine Pause eingelegt wird, vor allem weil der Rückgang der Ölpreise viel stärker ausgefallen ist, als das die EZB in ihrer Septemberprognose erwartet hatte. Hoffen wir, dass es so kommen wird. Und hoffen wir, dass die EZB dann ihre Prognosen genauso ernst nimmt, wie in den vergangenen Monaten, als die Prognosen höher Notenbankzinsen nahe gelegt haben.