Vergangene Woche war Adam Posen vom Washingtoner Institute for International Economics in der Stadt, ein gern gesehener Gast bei der EZB und der Deutschen Bank, Freund aller amerikanischen und anderer Professoren, die etwas zur Geldpolitik zu sagen haben, auch der wichtigsten Notenbanker, einschließlich Ben Bernanke. Seine These lautete, auf einen Nenner gebracht, dass den Geldpolitikern langweilige Zeiten bevorstehen, weil sie ihr Metier beherrschen, weil sie erreicht haben, was ihnen aufgetragen wurde, und weil sich die übrige Politik nicht mehr groß um sie kümmert, da mit ökonomischen Themen heutzutage Wahlen weder gewonnen noch verloren werden, man denke an Gore gegen Bush. Die Herren in den dunklen Anzügen sind solide, unauffällig, verlässlich, wie Zahnärzte eben, um eine Metapher von Keynes abzuwandeln. Ich halte das nicht nur für ausgemachten Unsinn, sondern auch für Leichtsinn.
Dass uns „more of the same“ bevorsteht, ist natürlich die einfachste Art der Prognose. Man nimmt Trends, die jedermann beobachten kann, und extrapoliert sie in die Zukunft. Allseitiges Kopfnicken ist gewiss. Eine Kostprobe: Die Inflation wird weiter sehr niedrig bleiben; alle wichtigen Länder haben die 2% zur Zielmarke erkoren und haben den Willen, die Unabhängigkeit und die Mittel, die Inflation dort zu halten; stimulierende Finanzpolitik bringt nichts, da es keinen Trade-off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation mehr gibt (die Philippskurve ist senkrecht, um das mal im Ökonomenslang auszudrücken). Offenbar ist auch der Konjunkturzyklus tot. Wer soll sich da noch aufregen? Manches wird auch künftig zu erforschen sein, etwa welche regionalen Effekte die Geldpolitik hat, oder wie sie zur Optimierung beim Ressourceneinsatz beitragen kann, und wie sie auf die Globalisierung reagieren sollte. Alles spannende Themen, aber keine, die irgend jemanden um den Schlaf bringen werden.
Was die Notenbanker um den Schlaf bringt, oder bringen sollte, ist die von Posen ausgesparte Frage, wie stabil denn das Finanzsystem der Welt wirklich ist. So ist es etwa für die Bank für internationalen Zahlungsausgleich, oft respektvoll die Zentralbank der Zentralbanken genannt, keinesfalls ausgemacht, dass wir, wie es Voltaires Pangloß zu sagen pflegte, in der besten aller möglichen Welten leben. Das Beispiel Japans hat uns gezeigt, dass das Risiko eines Crashs, gefolgt von Rezession und Deflation, besonders dann sehr groß sein kann, wenn alles seinen ruhigen Gang geht, die Menschen optimistisch sind, die Inflation unter Kontrolle ist, die Staatsfinanzen gesund, das Wachstum kräftig und die Zinsen niedrig sind. Es kann dann leicht zu einer Inflation der Vermögenspreise, also der Preise für Aktien und Immobilien kommen.
Im Verlauf eines solchen Prozesses verlieren diese Preise ihren Kontakt zu den Fundamentalfaktoren, insbesondere zu den realistischerweise erwartbaren Einkommen aus Dividenden, Gewinnen und Vermietung. Es gibt auch in der Wirtschaft kein Perpetuum Mobile – die Asset-Preise können auf Dauer nicht rascher steigen als der Output an Gütern und Dienstleistungen. Wenn das einmal im Markt erkannt ist, werden die Besitzer der Vermögenswerte versuchen, ihre Buchgewinne durch Verkäufe zu realisieren, was wiederum eine Verkaufspanik auslösen kann.
Das muss nicht weiter tragisch sein, wenn die Sache nicht typischerweise den Haken hätte, dass ein zunehmend größerer Teil der Aktien- und Immobilienkäufe mit Krediten finanziert wird, je länger die Hausse dauert. Fallen die Kurse im Verlauf einer Panik sehr stark, übersteigen die Schulden für einen großen Teil der Bevölkerung den Marktwert ihres Vermögens. Die Besitzer von Aktien und Immobilien sind dann, wie das Händler gerne ausdrücken, unter Wasser. Um wieder atmen zu können, müssen sie ihre Schulden abbauen, und das heißt vor allem, dass sie mehr sparen müssen. Je nachdem wie tief sie unter Wasser sind, kann das länger oder kürzer dauern. Die Folge ist aber in jedem Fall eine schwächere Nachfrage, also ein langsameres Wirtschaftswachstum. In Japan führte dieser Prozess zur längsten und tiefsten Rezession seit Menschengedenken.
In den USA, immer noch die economie dominante, haben sich im vergangenen Jahrzehnt ähnliche spekulative Blasen entwickelt, erst bei Aktien, nach deren Platzen dann bei Immobilien. Die Amerikaner sind, wie fünfzehn Jahre vor ihnen die Japaner, immer zuversichtlicher geworden, dass es risikolos ist, sich zu verschulden – die Fed würde schon verhindern, dass es zu einem Konjunktureinbruch und zu Vermögensverlusten kommt. Am Markt wurde das unter dem Begriff „Greenspan Put“ bekannt: die Notenbank hat de facto eine Verkaufsoption verschenkt, die es den Besitzern von Aktien und Häusern ermöglicht, sich jederzeit zu akzeptablen Preisen von diesen zu trennen. Das hatte zur Folge, dass die Sparquote der Haushalte auf Null fiel und seit vier Quartalen gar negativ ist. Der ständige Vermögenszuwachs machte es überflüssig, vom laufenden Einkommen zu sparen. Der scheinbar endlose Konsumboom, der zu einem der wichtigsten Treiber der Weltkonjunktur wurde, ist unmittelbar darauf zurückzuführen.
Die Geldvermehrungsmaschine könnte jetzt ins Stottern kommen, und die Haushalte damit unter Wasser geraten. Sie wären gezwungen, ihre persönlichen Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen, also mehr zu sparen. Das ist im Augenblick vielleicht das größte Risiko, dem die Weltwirtschaft ausgesetzt ist. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich weist seit einigen Jahren immer wieder auf diesen gefährlichen Mechanismus hin (z.B. Claudio Borio 2006).
Aus amerikanischer Sicht will man davon vielleicht nicht gerne etwas wissen, ebenso wenig wie davon, welche Gefahren von den anhaltenden Defiziten in ihrer Leistungsbilanz ausgehen. Diese haben inzwischen 800 Mrd. Dollar pro Jahr erreicht und haben dazu geführt, dass die Welt mit Dollars überschwemmt ist. Die wichtigsten Länder der dritten Welt, insbesondere China, Indien, Russland, Brasilien versuchen nämlich, ihre Wechselkurse gegenüber dem Dollar zu stabilisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Normalerweise würden ihre Währungen aufwerten, da sie große Überschüsse in ihren Leistungsbilanzen aufweisen und sie zudem Nettoimporteure privaten Kapitals sind. Das ist deswegen so, weil in kapitalarmen Ländern die Ertragschancen von Investitionen besser sind als in den kapitalreichen OECD-Ländern. Das bedeutet, dass sie alle Dollars zu einem festen Kurs ankaufen, auf diese Weise Währungsreserven in großem Stil ansammeln und im Gegenzug ihre eigene Währung emittieren. In Russland etwa nimmt aus diesem Grund die inländische Geldmenge mit Raten von etwa 40% zu. Die sogenannte Geldbasis – die Liquidität – der Welt ist in den vergangenen vier Jahren um jährlich rund 15% gestiegen. Von der Geldversorgung her könnten die Risiken für das Preisniveau nicht größer sein. Bisher hat sich das vor allem in stark steigenden Asset-Preisen, nicht aber in einer höherer Inflation der Verbraucherpreise niedergeschlagen, trotz der schon seit fünf Jahren sehr expansiven Weltwirtschaft und der vermutlich nicht mehr so großen Kapazitätsreserven (das ist übrigens eine der erstaunlichsten Entwicklungen, deren Erklärung ich mir in einem meiner nächsten Blogbeiträge vornehmen möchte).
Wir werden demnächst an einen Punkt kommen, an dem die Zentralbanken aufhören werden, Dollars anzukaufen. Große Währungsreserven zu haben ist natürlich toll, weil sie eine Versicherung gegen eine unerwünschte Abwertung sind, so die Kreditwürdigkeit verbessern und damit dazu beitragen, Kapital zu günstigen Konditionen ins Land zu bringen und den Wohlstand zu steigern. Wo aber liegt das Optimum? Das Ziel kann ja nicht heißen, je mehr desto besser. Schließlich verzinsen sich die Dollaranlagen nach Abzug der amerikanischen Inflationsrate nur mit etwa Null Prozent, während bei einer Anlage im Inland real zwischen fünf und zehn Prozent pro Jahr erzielt werden können. Es kann auf Dauer nicht sinnvoll sein, dass arme Länder die reichen Vereinigten Staaten subventionieren. Das widerspricht jeder ökonomischen Logik.
Mit anderen Worten, ein erhebliches Risiko für die Weltwirtschaft und damit für wirtschaftspolitische Akteure wie die Zentralbanken besteht darin, dass es demnächst zu einer Dollarabwertung, möglicherweise sogar zu einem Dollarcrash kommen wird, vergleichbar mit den Entwicklungen in den siebziger Jahren, als die Welt ebenfalls mit Dollars überschwemmt war und wichtige Zentralbanken aus Sorge um die Preisstabilität beschlossen, den Dollar fallen zu lassen. Eine glückliche Ära der Weltwirtschaft ging damals zu Ende.
Zentralbanken kann auch nicht gleichgültig sein, wie es um die Stabilität des Finanzsektors bestellt ist. Hierauf hat kürzlich auch Timothy Geithner, Präsident der Fed New York, eindringlich hingewiesen. In den vergangenen Jahren ist der Markt für derivative Produkte – Futures, Optionen, Swaps, insbesondere Credit Default Swaps – um ein Vielfaches stärker gestiegen als das nominale Sozialprodukt der Welt (z. Zt. ca. 48.000 Mrd. US$). Gleichzeitig geht ein immer größerer Teil der Finanztransaktionen an den Banken und Versicherungen vorbei, etwa über Hedge Funds und Private Equity Funds, die kaum der Aufsicht unterliegen und daher möglicherweise, besser: wahrscheinlich hochriskante Geschäfte betreiben, die nur solange erfolgreich sind, wie die Sonne scheint. Es fehlt die Kenntnis darüber, wer letztendlich welche Risiken zu tragen hat. Die Kunden der Investmentbanken und großen Broker wiegen sich vermutlich zu sehr in Sicherheit. Die Summe der Risiken ändert sich in der Regel kaum, und am Ende landen die Risiken stets bei denen, die sich nicht so schnell bewegen können oder nicht den Durchblick haben.
Die Stabilität des Finanzsystems zu bewahren, ist die vornehmste Aufgabe der Zentralbanken, noch vor der Sicherung des Geldwerts. Das rückt langsam wieder ins Bewusstsein. Das ist auch der Grund, weshalb die EZB, die Bundesbank, die Bank of England und der Währungsfonds zusätzlich zu ihren normalen Monats- oder Quartalsberichten Stability Reports verfassen.
Kurz, dass den Zentralbanken die wichtigen Themen ausgehen könnten und sie ihre Arbeit von nun an so routinemäßig erledigen können wie Zahnärzte, erscheint mir außerordentlich weltfremd. Die Herausforderungen werden täglich größer, nicht kleiner.