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Fester Euro, niedrigere Inflation – die EZB kann es jetzt lockerer angehen

 

Eine Aufwertung ist wie eine Zinserhöhung, was die geldpolitischen Effekte angeht. Daher enthalten die meisten sogenannten Monetary Conditions Indices sowohl den Notenbankzins als auch den handelsgewogenen Wechselkurs. Wenn die EZB versucht, die Nachfrage zu dämpfen und damit die Inflationsrisiken zu vermindern, kann sie das durch ein Drehen an der Zinsschraube erreichen. Wenn sich der Euro aufwertet, so wie jetzt, kann sie aber auch darauf verzichten.

Entscheidend ist natürlich, wie stark die Aufwertung ist und wie sich das in ein Zinsäquivalent übersetzen lässt. Vermutlich hält die europäische Notenbank einen Zins von 4 Prozent für neutral: Bei diesem Niveau dürften von der Geldpolitik weder restriktive noch expansive Effekte auf die Nachfrage und damit auf die Auslastung der volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten ausgehen. Die Zahl „vier“ ergibt sich aus dem Produkt von mittelfristigem realen BIP-Wachstum von etwa 2 Prozent (zu Beginn der Währungsunion ging die EZB noch von 2 ¼ Prozent bis 2 ½ Prozent aus) und einer angestrebten Inflationsrate von etwas unter 2 Prozent.

Am Donnerstag wird der Zins so gut wie sicher um 25 Basispunkte auf 3 ½ Prozent angehoben und liegt damit weiterhin unter der vermuteten Zielmarke von 4 Prozent. Bislang sind die Marktteilnehmer davon ausgegangen, dass die Zinsen im Frühjahr nächsten Jahres weiter auf 3 ¾ Prozent steigen werden, sobald klar ist, dass der Aufschwung durch die deutsche Mehrwertsteuererhöhung nicht abgewürgt wird. Eine Anhebung auf 4 Prozent könnte dann im Verlauf des Sommers folgen. Das ist jetzt weniger dringend geworden, wenn auch keineswegs unwahrscheinlich.

Sehr überschlägig kann man sagen, dass eine Zinserhöhung um einen Prozentpunkt etwa einer Aufwertung um 5 Prozent entspricht: Zinsen wirken auf die gesamte Wirtschaft, der Wechselkurs aber nur auf die Bereiche, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Eigentlich müsste man in realen Größen rechnen, also mit Realzinsen und dem realen handelsgewogenen Wechselkurs, aber das ergäbe eine Art von Genauigkeit, die die Sache nicht hergibt.

Bislang ist die Aufwertung des Euro zwar weniger dramatisch als das durch seinen Dollarkurs suggeriert wird, trotzdem dürfte sie beginnen weh zu tun. Nach den Rechnungen der Bank of England, die für die wichtigsten Währungen auf täglicher Basis die effektiven Wechselkurse berechnet, lag der Euro gestern um 1,8 Prozent über dem Stand von Anfang November, als die Aufwertung gegenüber dem Dollar an Fahrt gewann, und um 3,8 Prozent über dem von Anfang des Jahres. Der historische Höchststand von Ende 2004 wird zur Zeit nur noch knapp verfehlt (um 0,4 Prozent). So gesehen hat sich das geldpolitische Umfeld auch von der Währungsseite her verschlechtert und die EZB könnte das Zinsniveau um 25 bis 75 Basispunkte niedriger halten, als sie es bei unverändertem Wechselkurs angestrebt hätte. Nach der Zinserhöhung vom kommenden Donnerstag wäre die EZB also bereits bei ihrem wechselkursbereinigten neutralen Niveau angelangt.

Die Aufwertung des Euro verbilligt die Einfuhren und erhöht zudem das Angebot im Inland – beides dämpft die Inflation. Gleichzeitig verschlechtert sich auf den Auslandsmärkten die preisliche Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte, so dass weniger exportiert wird, es zu einem Druck auf die Exportpreise kommt und der Absatz im Inland insgesamt attraktiver wird. Auch das dämpft die Inflation. Je stärker die Aufwertung, desto negativer ist der Effekt des Außenhandels auf die Gesamtnachfrage, das Wachstum des Sozialprodukts und die Beschäftigung.

Eine ganz andere Frage ist natürlich, wie weit die europäische Volkswirtschaft zur Zeit von einer Normalauslastung entfernt ist und ob es tatsächlich angebracht ist, die monetäre Stimulierung zu beenden und den Hebel auf neutral umzulegen. Die Arbeitslosigkeit beträgt immer noch knapp 8 Prozent und damit rund das Doppelte der amerikanischen, britischen oder japanischen Raten. Im gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Umfeld ist die Inflation offenbar auch bei einer viel niedrigeren Arbeitslosigkeit keine ernste Gefahr. Die Kerninflationsrate liegt im Euroraum schon seit langem sehr stabil bei nur 1 ½ Prozent. Da sich die sogenannte „headline inflation“ im Zeitverlauf um die Kernrate schlängelt, sind die Inflationsaussichten fürs Erste sehr günstig. Durch die Aufwertung haben sie sich zusätzlich verbessert. Auch von daher gibt es keinen wirklichen Handlungsbedarf für die EZB.

Schließlich noch eine andere Rechnung, die zu demselben Ergebnis führt: Unter der Annahme (der EZB), dass das europäische Produktionspotential seit dem ersten Quartal 2001, dem letzten Höhepunkt im Konjunkturzyklus, um 2 Prozent pro Jahr zugenommen hat, liegt das tatsächlich gemessene Sozialprodukt zur Zeit trotz des robusten Wachstums der letzten Quartale um nicht weniger als 3 Prozent unter dem Potential. Vermutlich dürften die Produktionslücke sogar noch größer sein. Angesichts des reichlichen Angebots an Gütern und Dienstleistungen, das sich hinter dieser Zahl verbirgt, sind die Inflationsgefahren äußerst gering. Die Löhne und die Lohnstückkosten, die wichtigsten Treiber der Inflation, werden angesichts dieser Outputlücke jedenfalls auf absehbare Zeit kein Risiko darstellen.

Das dürfte auch die EZB ähnlich sehen. Die Revision der Inflationsprognose für 2007 nach unten auf unter 2 Prozent ist daher fast eine ausgemachte Sache. Vermutlich wird die EZB an diesem Donnerstag nicht auf 1 ½ Prozent gehen, da die deutsche Mehrwertsteuer mit 0,3, wenn nicht sogar mit 0,4 Prozentpunkten zu Buche schlägt, und weil sie sich nach früheren, zu optimistischen Prognosen lieber nicht mehr zu weit vorwagen wird. Es wird ihr aber argumentativ nicht schwerfallen, nach dem Schritt in dieser Woche erst mal mehr oder weniger direkt eine Pause bei den Zinsen anzukündigen. Der Wirtschaft würde es gut tun.