In guter – oder eigentlich nicht so guter – Zentralbanktradition hat Jean-Claude Trichet, der Präsident der EZB, heute sein Bestes getan, möglichst wenig zu sagen, die eigentlich relevanten Fragen durch die Verwendung von Worthülsen unbeantwortet zu lassen und die Zuhörer zu langweilen. Es fällt mir schwer, Substantielles aus der heutigen Anhebung der Zinsen von 3¼ Prozent auf 3½ Prozent herauszulesen.
Interessant war vor allem, was nicht gesagt wurde, oder wozu sich Trichet weigerte etwas zu sagen. Die Geldpolitik sei jedenfalls weiterhin akkommodierend, die Geldmengenaggregate expandierten sehr rasch, getrieben von der Aktivseite der Bankbilanzen, also vor allem den Krediten. Zwar fielen bestimmte Termini wie „erhöhte Wachsamkeit“ nicht mehr, und es wurde auch nicht die nächste Zinserhöhung angekündigt, nicht einmal auf codierte Art – alles hänge von der künftigen Datenlage ab -, klar wurde aber schon, dass die tatsächliche künftige Inflation eher über als unterhalb der Projektionen des EZB-Stabes liegen würde.
Ginge es nach diesen Prognosen, würde die Inflation nach zuletzt 1,8 Prozent im November auf durchschnittlich 2,0 Prozent im nächsten und 1,9 Prozent im übernächsten Jahr steigen, wäre also genau da, wo die EZB sie mittelfristig haben will. Das gilt auch für die Inflationserwartungen, auf die es ja vor allem ankommen soll. Ziel erreicht, würde ich sagen, wieso also nicht die Zinsen da lassen wo sie sind?
Was nicht noch so alles passieren kann! Der Ölpreis könnte wieder steigen, die Arbeitnehmer könnten, horribile dictu, die günstige Konjunktur für höhere Lohnabschlüsse nutzen, auch die Regierungen und die staatlichen Monopolisten könnten versucht sein, die indirekten Steuern und administrierten Preise zu erhöhen, und es steckt ja zudem wegen der vorangegangenen Ölpreisrunden noch richtig viel Inflationspotential in den Pipelines. Immerhin wolle man aber abwarten, wie die Daten in der nächsten Zeit ausfallen, eine weitere Zinserhöhung sei nicht vorprogrammiert, auch wenn die Terminmärkte das bislang unterstellen.
Welche Rolle denn der neuerlich so starke Euro bei den geldpolitischen Entscheidungen spiele? Eine naheliegende Frage, weil die Dämpfung der Nachfrage und damit der Inflation nicht nur durch Zinserhöhungen, sondern auch über den Wechselkurskanal erreicht werden kann. Dazu gab es keine Antwort. Vielleicht war aber der Verweis auf frühere Äußerungen, dass eine zu große Wechselkursvolatilität unerwünscht sei, so etwas wie ein Eingeständnis, dass eine übermäßige Aufwertung schädlich sein könnte. Aus der Sicht eines Inflationsbekämpfers gibt es doch nichts Schöneres als eine möglichst feste Währung – sie bedeutet nicht nur sinkende Einfuhrpreise, sondern querbeet Druck auf die Preise in allen Bereichen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Hat nicht vor kurzem Trichets Landsmann de Villepin gemurmelt, man solle doch die Wechselkurspolitik nicht allein der Notenbank überlassen? Haben wir es hier mit so etwas wie vorauseilendem Gehorsam zu tun? Ich denke, wir können folgern, dass auch der EZB allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz die Konjunkturrisiken nicht egal sind. Die Herren Weber und Stark von der Bundesbank müssen allerdings demnächst vielleicht mal ein paar strenge Worte mit Herrn Trichet reden – so geht es ja nicht!
Für jemanden wie mich, der darauf setzen würde, dass man durch höheres Wachstum in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage sowohl die Arbeitslosigkeit vermindern als auch die Produktivität steigern kann, ist die Furcht vor einer zu kräftigen Aufwertungen genau das, was ich sehen möchte. Sie bedeutet, dass es doch nicht zu zusätzlichen Zinsschritten kommt, wenn der Euro fest bleiben sollte, und erst recht nicht, wenn er weiter in Richtung 1,40 Dollar marschiert.
Die Risiken beim Wachstum werden übrigens auf der Downside gesehen, obwohl die Prognosen erwartungsgemäß gegenüber September nach oben revidiert wurden, auf 2,75 Prozent für dieses Jahr, 2,2 Prozent im nächsten, und auf 2,3 Prozent im Jahr 2008. Nach meinen Rechnungen würde sich der sogenannte Output Gap auch bei diesen vergleichsweise hohen Werten kaum weiter schließen, die Arbeitslosigkeit bliebe hoch.
Was sind denn nun die Risiken für die Konjunktur? Die EZB zitiert die üblichen Verdächtigen: wieder anziehende Ölpreise, protektionistische Bestrebungen (wie sie sich im US-Kongress derzeit ankündigen) und eine turbulente Korrektur der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, sprich eine sehr starke Dollarabwertung und damit ein Wegbrechen der außenwirtschaftlichen Konjunkturstütze. Aha, das klingt ja nicht so schlecht. Ich würde gerne folgern, dass die EZB Sorge hat, die Risiken könnten tatsächlich Wirklichkeit werden und es daher ratsam wäre, es bei den Zinsen nicht zu übertreiben. Vermutlich interpretiere ich jedoch zu viel in diese Passage des vorbereiteten Eingangsstatements.
Wenn ich es also richtig sehe, gibt das Kaffeesatzlesen doch mehr her, als ich es anfangs befürchtet hatte. Sicher ist, dass wir uns in der Endphase des Zinserhöhungszyklus befinden. Es sieht zudem danach aus, als ob der Wechselkurs eine zentrale Rolle dabei spielen dürfte, ob es das denn nun war oder ob wir uns auf weitere restriktive Maßnahmen einstellen müssen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die USA, wie es die OECD in ihrem neuesten Outlook vorausgesagt hat, auf Dauer Defizite in der Leistungsbilanz von 800 bis 900 Mrd. Dollar vor sich herschieben können. Das erfordert die Bereitschaft der übrigen Welt, jährlich Dollarforderungen in dieser Größenordnung auflaufen zu lassen. Damit das funktioniert, müssten amerikanische Aktiva deutlich billiger werden. Das sind sie aber nicht. Wenn die Verbilligung nicht durch einen Einbruch der US-Märkte für Aktien, Renten und Immobilien erreicht werden soll, also durch eine ausgewachsenen Rezession, wird es zu einer beträchtlichen weiteren Abwertung des Dollars kommen müssen. Das wird der EZB klar sein. Ich wette daher mal, dass wir heute den letzten Zinsschritt gesehen haben.