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Allein mir fehlt der Glaube

 

Das Wachstum der Weltwirtschaft scheint sich trotz einer leichten Abschwächung im nächsten Jahr weiter prächtig zu entwickeln. So sehen es die Regierungen und internationalen Organisationen. Bei der Nachfrage bestehe immer noch ein gewaltiges Aufholpotenzial und weder beim Angebot an Arbeitskräften noch bei den Produktionskapazitäten seien Engpässe zu erkennen. Die Inflation liegt im Durchschnitt kaum über 3 Prozent, was im historischen Vergleich sehr niedrig ist, und von daher besteht nirgendwo ein Druck die wirtschaftspolitischen Zügel anzuziehen. Es herrscht eine positive Stimmung wie vor dem Aktiencrash von 2000/2001 und die Optimisten schätzen das Umfeld heute stabiler ein als damals. Aber was ist eigentlich aus den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten geworden? Dem Damoklesschwert, das über jeder Einschätzung der zukünftigen Entwicklung hängt. Hier sehen die Optimisten die Marktkräfte am Werk, die die Wirtschaft immer wieder zurück zum Gleichgewicht führen. Allein da fehlt mir der Glaube.

Ich hatte in einem früheren Beitrag eine Einschätzung der Lage der Weltwirtschaft gegeben, und dabei bewusst die Risiken gering gewichtet. Mir fällt dabei Paul Samuelsons Spruch ein, dass die Inversion der Renditekurve acht der letzten fünf Rezessionen in den USA richtig signalisiert hat. Es könnte also weniger Krisen geben, als ich mir das so ausdenke des nachts. Aber meine große Sorge, dass die Auflösung der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte doch mit einer Rezession verbunden sein wird, ist nicht geringer geworden.

Die Optimisten können zur Zeit zwar darauf verweisen, dass die Anpassungen in der Struktur der Weltnachfrage in Gang gekommen sind. Dass dies aber mit einer sanften Landung der amerikanischen Wirtschaft vonstatten geht, da bleibe ich skeptisch. Das US Leistungsbilanzdefizit und die damit verbundenen Gefahren sind nach meiner Meinung noch lange nicht überwunden. Hier aber zunächst die wichtigsten Indizien, die in den Augen der Optimisten auf die sanfte Landung hindeuten:

  • – Der Dollar befindet sich auf Talfahrt, wodurch sich tendenziell die amerikanischen Exporte erhöhen und die Importe vermindern sollten.
  • – Selbst China scheint einzusehen, dass eine Aufwertung des Renminbi gegenüber dem Dollar auch im eigenen Interesse ist – seit Juli 2005, als die feste Bindung an die US Währung aufgegeben wurde, ist der Wert die chinesische Währung gegenüber dem Dollar um 5¾ Prozent gestiegen.
  • – Die Wechselkursentwicklung scheint bereits auf die US Handelsbilanz zu wirken. Das Handelsdefizit ist von 69 Mrd. US$ im August auf 59 Mrd. US$ im Oktober zurückgegangen.
  • – Der Interventionsbedarf zugunsten des Dollars könnte sich vermindern, wodurch der weltweite Liquiditätsüberhang weniger rasch zunimmt als bisher, wodurch wiederum ein wichtiger Treiber der gefährlichen Assetpreis-Inflation abgebremst würde.
  • – Die Zinserhöhungen in den USA haben zu einem scharfen Rückgang des Wohnungsbaus geführt; das war längst überfällig. Auch die Hauspreisinflation ist zum Stillstand gekommen. Die steigenden Preise für Immobilien hatten über verschiedene Kanäle einen positiven Vermögenseffekt auf den Konsum; das kehrt sich nun offenbar um und dämpft so die extreme Ausgabeneigung der Haushalte, die im Kern für die gewaltigen Leistungsbilanzdefizite Amerikas verantwortlich gemacht wird.
  • – In dieselbe Richtung, einer Dämpfung der US Nachfrage, könnte demnächst auch der Rückgang der Terms of Trade im Gefolge eines schwächeren Dollars wirken, also ein stärkerer Anstieg der Einfuhrpreise als der Ausfuhrpreise; dann kann das im Inland verfügbare Einkommen, anders als bisher, nicht mehr rascher steigen als die Produktion – die Verbraucher fühlen sich ärmer.
  • – Die US-Wirtschaft wächst seit zwei Quartalen deutlich langsamer als ihr Potenzial; da sich das fürs erste fortsetzen dürfte, erhöhen sich die freien Kapazitäten, so dass von daher Resourcen für Exporte freigesetzt werden und sich das Defizit in der Handelsbilanz auch von dieser Seite her zumindest tendenziell vermindert.
  • – Gleichzeitig nimmt die kontinentaleuropäische Wirtschaft nach vielen Jahren schwachen Wachstums endlich Fahrt auf, wobei der Inlandsnachfrage eine zusehends wichtigere Rolle zukommt. Auf diese Weise wird ein großer Teil der Nachfragelücke gefüllt, die durch die Abkühlung der amerikanischen Konjunktur gerissen wird.
  • – Erfreulich ist weiterhin, dass wichtige Ölexporteure wie Russland, Venezuela, Nigeria oder die Länder des Nahen Ostens anders als in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit den größten Teil ihrer zusätzlichen Einnahmen für Einfuhren von Maschinen und Konsumgütern ausgeben, das Geld also nicht auf die hohe Kannte legen; die Struktur der weltweiten Nachfrage mag sich zwar ändern, deren Niveau wird aber möglicherweise nicht so stark beeinträchtigt.
  • – Zudem haben die großen Schwellenländer Asiens genügend Dynamik bei Investitionen und Konsum entwickelt, um auch ohne Hilfe der amerikanischen Verbraucher gut über die Runden zu kommen. Der innerasiatische Handel ist inzwischen mindestens so bedeutend wie der zwischen Asien und den USA – und er nimmt viel rascher zu. Da es nicht an Währungsreserven mangelt und die öffentlichen Haushalte einigermaßen gesund sind, fehlt es der Wirtschaftspolitik in dieser Region nicht an Mitteln, mit denen sich bei einer ernsthafteren Nachfrageschwäche gegensteuern lässt.

Insgesamt scheinen die Dinge also in die richtige Richtung zu laufen. Dass es aber noch zu früh für eine Entwarnung ist, haben die jüngsten Einzelhandelszahlen aus den USA gezeigt. Sie stiegen im November gegenüber Oktober saisonbereinigt um nicht weniger als 1,0 Prozent, und um 5,6 Prozent gegenüber dem Wert des Vorjahres, real also um rund 3 ½ Prozent. Man unterschätze niemals die Ausgabenfreude der amerikanischen Verbraucher – so sehr können die Immobilienpreise offenbar gar nicht fallen, als dass sie sich wirklich beeindrucken ließen. Anfang der Woche bekamen wir, als Kontrapunkt sozusagen, die Einzelhandelsumsätze aus dem boomenden Deutschland: Sie waren im Oktober real zum zweiten Mal in Folge gesunken und lagen um 0,7 Prozent niedriger als im Oktober 2005!

Dass die Wende beim US-Defizit unter diesen Umständen tatsächlich schon geschafft ist, muss demnach bezweifelt werden. Gerade haben wir ja auch die Außenhandelszahlen Chinas bekommen: Danach sind die Überschüsse im Oktober und November auf jeweils rund 23½ Mrd US$ gestiegen, auf doppelt so viel wie vor einem Jahr. Sie bewegen sich in Richtung 300 Mrd UD$ jährlich und sind dabei, den bisherigen Rekordüberschuss, gehalten vom kleinen Land D., weit hinter sich zu lassen. Da die Aufwertung des Renminbi nur nominal nach etwas aussieht, nach Abzug der Inflationsdifferenzen zwischen China und Amerika aber eher mickrig ist, hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft jedenfalls gegenüber China nicht nachhaltig verbessert.

Der erneute Anstieg der Ölpreise seit Mitte Okober wird zusammen mit der neuen Stabilisierung des Dollarkurses und der offenbar weiter boomenden Konsumnachfrage Amerikas dafür sorgen, dass sich die Defizite im US-Handel wieder vergrößern werden und das wichtigste Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft fürs Erste bestehen bleibt.

Es ist daher auch nicht ausgemacht, dass sich die Interventionen Chinas, der anderen Schwellenländer Asiens und der ölexportierenden Länder zugunsten des Dollars vermindern werden, obwohl die Währungsreserven längst das ökonomisch sinnvolle Limit überstiegen haben und eigentlich Diversifizierung der Risiken angesagt ist.

Ich gebe also noch nicht auf: Der entscheidende Durchbruch beim Abbau der amerikanischen Ersparnislücke und der Außenhandelsdefizite ist noch nicht geschafft. Die USA werden die Welt noch eine ganze Weile mit Dollars überschwemmen, und die Welt dürfte zunehmend den Appetit darauf verlieren, es sei denn, die Dollaraktiva werden deutlich billiger. Wie soll das gehen? Ein Aktiencrash wäre angesichts der hohen US-KGVs naheliegend, oder ein echter Crash am Immobilienmarkt – am elegantesten, und aus amerikanischer Sicht am schmerzlosesten bleibt aber immer noch eine deutliche Aufwertung des Euro (nur die EZB und die Bank of England werden nicht zugunsten des Dollars intervenieren). Sagen wir mal auf 1,60 US$/Euro. Ob das reichen wird? Immerhin sind die amerikanischen Importe fast doppelt so hoch wie die Exporte – da gibt es eine Menge an preislichem Anpassungsbedarf, wenn eine US-Rezession als Alternative ausscheiden soll.