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Keine Irreführung – der Arbeitsmarkt brummt

 

Joachim Jahnke, den ich sehr schätze, hat auf seiner Home Page einen Kommentar zur Entwicklung der Beschäftigung in Deutschland veröffentlicht, in dem er versucht, die eigentlich sehr erfreulichen Zahlen so zu relativieren, dass nicht mehr viel Gutes übrigbleibt: „1. Quartal 2007: Beschleunigter Anstieg der Erwerbstätigkeit? Nein: Nur eine Irreführung“.

Jahnke irrt: Der Arbeitsmarkt bessert sich nämlich tatsächlich, wie man es auch dreht und wendet. Es überzeugt nicht, wenn man sagt, dass der Anstieg der Beschäftigung von immerhin 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr nur den falschen Leuten zugute kommt und im übrigen großenteils der milden Witterung geschuldet ist.

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland

In der Frühphase des Aufschwungs sind die Kapazitäten definitionsgemäß nicht voll ausgelastet und die Arbeitgeber sitzen am längeren Hebel. Anfangs stellen sie typischerweise niemanden neu ein, weil die Leute, die schon da sind, einfach länger und intensiver arbeiten. Die Produktivität und die Gewinne steigen daher sehr stark. Wenn diese Phase vorbei ist und der Aufschwung immer noch anhalten sollte, halten sie Ausschau nach zusätzlichen Mitarbeitern. Sie haben dann die Auswahl unter einer sehr großen Anzahl von Arbeitswilligen und können daher die Bedingungen diktieren, sowohl was die Arbeitszeit als auch was die Lohnhöhe angeht. Sie brauchen auch nicht unbedingt voll sozialversicherungspflichtige, also von den Nebenkosten her teure Jobs anzubieten. Erst in der nächsten Runde gibt es dann die „richtigen“ Arbeitsplätze, und je länger der Aufschwung anhält, desto mehr verschiebt sich die Verhandlungsposition zugunsten der Arbeiter und Angestellten. dann steigen auch die Löhne wieder rascher.

Ich denke, dass wir immer noch in der Phase 2 sind, uns aber allmählich der Phase 3 annähern. Das Arbeitsangebot ist – jedenfalls in der Durchschnittsbetrachtung – immer noch sehr reichlich, die Nachfrage scheint allerdings inzwischen kräftig anzuziehen. Das sieht man auch an der Entwicklung der offenen Stellen: Es gab im April 21 Prozent mehr davon als vor einem Jahr, obwohl, das muss ich zugeben, immer noch 6,3-mal mehr Arbeitslose als Jobangebote gezählt wurden. Wir sind von Vollbeschäftigung noch meilenweit entfernt.

Trotzdem: Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Wenn man „spitz“, also genau rechnet, zeigt sich, dass die Zahl der Erwerbstätigen im März (neuere Zahlen gibt es erst Ende diesen Monats) saisonbereinigt um 1,58 Prozent über ihrem Vorjahresstand lag. Im März 2006 betrug die entsprechende Zahl nur 0,22 Prozent. Wenn das nicht eine Verbesserung ist!!

Schöner noch: Selbst bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bewegt sich etwas, sogar mehr als ich das bisher gedacht hatte. Im Februar gab es in diesem Bereich 2,5 Prozent mehr Jobs als vor einem Jahr, nämlich 26,8 Millionen. Insgesamt erwerbstätig waren in dem Monat 39,5 Millionen Menschen.

Ich mag mich nicht gerne damit herumschlagen, was denn der Winter, oder der heiße Sommer, oder das späte Osterfest für einen Einfluss auf die Zahlen haben könnten. Deshalb halte ich mich immer – wenn es geht jedenfalls – an saisonbereinigte Zahlen, so wie sie die Bundesbank in großer Ausführlichkeit und vorbildlicher Qualität zeitnah veröffentlicht. „Saisonbereinigt“ heißt, dass der Einfluss der Jahreszeiten eliminiert wird, so dass die Zahlen die zugrundeliegenden Trends genauer wiedergeben als die Originalwerte. Ich empfehle den interessierten Lesern, mal einen Blick auf die Seite 28 – „Beschäftigung und Arbeitsmarkt“ der Reihe „Saisonbereinigte Wirtschaftszahlen“ zu werfen. Da kann man sich vergewissern, dass ich die obigen Zahlen nicht aus dem Hut gezaubert habe.

Indem Jahnke auf die Originalzahlen abstellt, und damit das erste Quartal mit dem vorangegangenen vierten vergleicht, hat er diesen ganzen Ärger mit den Wettereffekten. Wen wundert es, dass in der Landwirtschaft 7,8 Prozent weniger Leute gebraucht wurden, oder am Bau 6,4 Prozent weniger. Daraus eine Story zu machen ist irreführend.

Ich wundere mich auch darüber, dass Jahnke die Tatsache, dass die Erwerbstätigkeit in der Industrie im 1. Quartal „nur um magere“ 0,5 Prozent über der des Vorjahresquartals lag, so hervorhebt. Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass es hier überhaupt wieder einen Anstieg gegeben hat. Außerdem ist es das Normalste von der Welt, dass in der industriellen Produktion relativ immer weniger Menschen gebraucht werden, vor allem weil Maschinen ihnen die Arbeit abnehmen. Das ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Trend und heißt keineswegs, dass Deutschland langsam sein Industrieproduktion einstellt. Das Gegenteil ist der Fall. Im März etwa übertraf der physische Output (also nicht der durch Inflation verzerrte Umsatz) seinen Vorjahreswert um nicht weniger als 8,2 Prozent. Die Industrie boomt, aber mit ihr, und sogar noch stärker, auch die Produktivität – so wie wir alle es uns wünschen. So wird Wohlstand geschaffen.

Bei der Beschäftigung darf man nicht unterscheiden zwischen guten Jobs in der Industrie oder am Bau und schlechten in den Dienstleistungen. Zudem: warum soll nicht die Quote der Teilzeitbeschäftigten ständig steigen? Könnte ja auch was mit steigendem Vermögen und mehr Wahlmöglichkeiten zu tun haben! je reicher ein Land, desto größer ist im Allgemeinen der Anteil der Dienstleister – siehe USA, Schweiz oder Schweden.

Nein, ich sehe angesichts der jüngsten Arbeitsmarktzahlen überhaupt keinen Grund, Trübsal zu blasen. Sie sind toll. Hoffen wir, dass uns die EZB die Konjunktur nicht zu früh abwürgt und sie dadurch noch toller werden dürfen. Noch bin ich in dieser Hinsicht guter Dinge.