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Wohin mit dem Geld?

 

Der Kursrutsch bei den Staatsanleihen in der vergangenen Woche hat für einige Turbulenzen auf den Finanzmärkten gesorgt, aber es besteht kein Grund zur Panik. Gute Konjunkturdaten in den USA haben die Gefahr einer Rezession verringert und die Aussicht auf mögliche Zinssenkungen der Fed weiter schwinden lassen. Gepaart mit Inflationsängsten hatte dies die Renditen der langfristigen Anleihen nach oben getrieben. Bei allen Risiken, die es zur Zeit gibt, ist die Weltwirtschaft immer noch in einer guten Verfassung. Wenn ich also heute mein Geld anlegen müsste, und ich hätte keine Lust oder keinen Grund, Immobilien zu kaufen oder alles aufs Sparkonto zu tun, gäbe es durchaus Möglichkeiten dazu. Diese will ich im folgenden analysieren. Ich verzichte aber darauf, den einzelnen Vorschlägen Gewichte zuzuordnen, weil das von der jeweiligen Risiko- und Zeitpräferenz abhängt.

Erst einmal die Annahmen:

  1. Es sieht noch nicht danach aus, als ob das kräftige Wachstum der Weltwirtschaft demnächst nachlassen würde; sogar die USA scheinen wieder etwas Fahrt aufzunehmen, unterstützt von einem billigen Dollar, niedrigen Lagerbeständen (die wieder aufgefüllt werden müssen), einer robusten Zunahme der Beschäftigung und der Löhne, sowie nach wie vor hohen Gewinnen.
  2. Die Inflation ist im großen Ganzen kein Problem: Sie wird 2007 in den Industrieländern im Schnitt bei 1,8 Prozent liegen, in den Emerging Markets bei 4Prozent – diese relativ hohen 4 Prozent sind allein auf den Balassa-Samuelson-Effekt zurückzuführen, also die höhere Inflation in den Sektoren, die nicht zu den Produktivitätsgewinnern der Globalisierung gehören, ihre Löhne aber so stark anheben müssen wie diese; es gibt keinerlei Anzeichen für eine neue Inflationsmentalität, allerdings jedoch leicht anziehende Inflationserwartungen.
  3. Die Gewinne werden sich angesichts der insgesamt noch moderaten Lohnsteigerungen – Folge des tendenziellen Überangebots an Arbeit – entweder auf ihrem hohen Niveau halten oder sogar steigen.
  4. Die finanzielle Situation der Staaten dürfte sich wegen der guten Konjunktur weiter verbessern.
  5. Im Weltmaßstab fehlt es nicht an Liquidität: Treiber sind die Leistungsbilanzüberschüsse Asiens und der Ölexporteure; eine Menge zusätzliches Geld, etwa 1.000 Mrd Dollar pro Jahr, sucht Anlage; die Geldpolitik ist insgesamt noch akkommodierend, wird aber zunehmend verschärft.
  6. Es kommt weder zu einem Dollarkollaps, noch zu einem Schock der amerikanischen Verbraucher durch einen drastischen Verfall der Immobilienpreise, noch zu nennenswerten Dominoeffekten durch einen Crash am chinesischen Aktienmarkt.

Was mich an den Annahmen beunruhigt, ist, dass sie den Konsens darstellen und dass alles viel zu schön ist um wahr zu sein. Ich brauche daher nicht zu betonen, dass das Ganze einen blauäugigen Touch hat und man auf der Hut sein muss vor bösen Überraschungen, beispielsweise dem Zusammenbruch des Marktes für Credit Default Swaps, verbunden vielleicht mit einer Bankenkrise, oder einer Neubewertung von Risiken und einer Flucht in sichere Anlagen, oder – last but not least – einer zu starken Erhöhung der Notenbankzinsen.

Wenn die Rahmenbedingungen tatsächlich so sind, wie ich sie beschrieben habe, bedeutet das, dass die Kurse festverzinslicher Wertpapiere vermutlich noch etwas fallen werden: die Refinanzierung über den Geldmarkt wird teurer, die Konjunkturzahlen überraschen auf der positiven Seite und die Inflation wird wegen der wieder gestiegenen Ölpreise, etwas höherer Lohnabschlüsse und verbesserter Kapazitätsauslastung in den kommenden Monaten vermutlich etwas enttäuschen.

Bonds sind aus den genannten Gründen zwar zur Zeit keine guten Anlagen, ihr Verlustpotential ist aber nicht mehr sonderlich groß. In den USA etwa liegt die Kerninflationsrate bei 2 Prozent, während sich die 10-jährigen Treasuries mit gut 5,1 Prozent verzinsen. Real ergibt das stattliche 3,1 Prozent, was die in den letzten Jahren auf 2,5 Prozent gefallene mittelfristige Wachstumsrate des realen BIP deutlich übertrifft. Nicht nur das, die Fed zielt offenbar auf eine Kernrate von nur 1,5 Prozent, wenn man die jüngsten Äußerungen der Governors und die Sitzungsprotokolle des FOMC richtig interpretiert. Soweit die angestrebte Kernrate der Mittelwert der künftigen Inflation der Verbraucherpreise ist – was sie definitionsgemäß sein sollte – bedeuten 5,1 Prozent eine reale Rendite von nicht weniger als 3,6 Prozent.

Ähnliches gilt für Bundesanleihen, nur dass ihre nominale Rendite um rund 55 Basispunkte niedriger liegt als die der Treasuries, und dass die EZB ein etwas weniger ehrgeiziges Inflationsziel verfolgt als die Fed. Trotzdem sind auch sie nicht mehr sonderlich teuer: Mit berücksichtigen sollte man nämlich, dass der Euro, anders als der Dollar, wegen der viel günstigeren Leistungsbilanz Eurolands – sie wies in den vergangenen zwölf Monaten ein leichtes Plus auf – und der offenbar weiter steigenden Refinanzierungssätze der EZB noch Aufwertungspotential hat. Das ist eine Kompensation für die niedrigeren Realzinsen.

Was den Renditeanstieg zudem bremsen wird, ist der zunehmende Seltenheitswert von Staatsanleihen, amerikanische eingeschlossen. Die Neuverschuldung der meisten Länder sinkt wegen der guten Konjunktur rascher als erwartet, und mit ihr das Angebot an diesen als „sicher“ geltenden Wertpapieren. Eine Konsequenz daraus ist vermutlich, dass sich der Renditeabstand zu den sogenannten Swapsätzen, oder, in Deutschland, den Pfandbriefen, demnächst verringern wird. Eine Strategie besteht daher darin, Pfandbriefe gegen Bundesanleihen, oder Swaps gegen US Treasuries zu verkaufen.

Für alle, die ihr Geld in Euro halten wollen, sind bis auf weiteres Geldmarktanlagen (oder Termingelder) vermutlich am sinnvollsten. So lange die EZB nicht ein Ende des Zinserhöhungszyklus signalisiert, oder so lange die Arbeitslosigkeit weiter sinkt, sind Bonds die schlechtere Alternative.

Unternehmensanleihen sind in den vergangenen Jahren sehr gut gelaufen, weil die Marktteilnehmer angesichts der meist ausgezeichneten Gewinnsituation immer weniger Zweifel an der Bonität der Emittenten hatten. Die Renditespreads gegenüber Staatsanleihen sind daher inzwischen auf historische Tiefstände gefallen. Vor allem bei amerikanischen „corporate bonds“ müssen nun aber allmählich die Warnlampen angehen, weil die Kombination aus relativ hohen Lohnsteigerungen und schwachem Produktivitätswachstum die Lohnstückkosten stärker steigen lässt als die Verkaufspreise ihrer Produkte. Die Gewinnmargen dürften inzwischen rückläufig sein. Dass sich die Gewinne pro Aktie – die entscheidend sind für die Kurse – immer noch erhöhen, hat allein damit zu tun, dass die Unternehmen massiv Aktien zurückkaufen, also die Anzahl der Aktien verringern. Sie nutzen dazu nicht nur ihre einbehaltenen Gewinne, sondern ebenso die bislang günstige Lage am Anleihemarkt; eine Verschlechterung der Bilanzrelationen wird dabei in Kauf genommen.

Auch in Deutschland, und im Euroland allgemein, ist dies ein Thema. Ich denke aber, dass die Gewinnperspektiven besser sind als in den USA – im Unternehmenssektor sinken die Lohnstückkosten angesichts der robusten Zunahme des Outputs pro Arbeitsstunde und angesichts von Lohnsteigerungen von nur etwas mehr als 2 Prozent. Dazu tragen vor allem die nach wie vor relativ niedrige Kapazitätsauslastung und die hohe Arbeitslosigkeit bei. Trotzdem gehören europäische Unternehmensanleihen für mich nicht zur ersten Wahl.

Mit europäischen und amerikanischen Aktien konnte in diesem Jahr gutes Geld verdient werden. Letztere sind aber nicht mehr billig. Das durchschnittliche Kurs/Gewinnverhältnis des S&P 500 ist bei 18 angekommen, was einer Aktienrendite von 5,55 Prozent entspricht. Im Vergleich zur Realrendite der Treasuries von, wie gesagt, 3,1 Prozent oder mehr, ist das ziemlich bescheiden, vor allem weil es ja bei den Gewinnen nicht mehr so viel Luft nach oben gibt. Historisch gesehen, also ex post, lag die Differenz der beiden Renditen (die Risikoprämie auf US-Aktien) bei rund fünf Punkten

Die Risikoprämie auf Aktien im DJ Euro Stoxx 50 ist dagegen um einiges höher: Dem KGV von 13,6 entspricht eine Aktienrendite von 7,4 Prozent, die reale Rendite der Bundesanleihen beträgt nur 2,7 Prozent, und die Gewinnaussichten sind nach wie vor erfreulich. Europäische Aktien sind für mich ein Kauf, vor allem die von Versorgern, Bauunternehmen (nicht die spanischen! sondern solche, die von Infrastrukturprojekten profitieren – der Staat hat wieder Geld) oder Exporteuren (immer noch!).

Das Bild könnte sich ändern, wenn der Euro stark aufwerten, oder der Dollar stark abwerten würde. Davon gehe ich jedoch nicht aus – siehe die obigen Annahmen

Was die anderen wichtigen Aktienmärkte angeht, profitieren sie von der nach wie vor relativ lockeren Geldpolitik. Die Relation „Zuwachsrate des nominalen BIP zu Notenbankzinsen“, eines der Kriterien, mit denen sich die Ausrichtung der Geldpolitik beurteilen lässt, ist fast überall mehr oder weniger deutlich größer als eins. Nur die USA sind danach bereits im restriktiven Bereich angekommen. Aber in den übrigen Ländern halten sich die Notenbanken ziemlich zurück.

In China hat die Blase beängstigende Ausmaße angenommen und könnte jederzeit platzen – aber die Notenbank will das offenbar verhindern und begnügt sich mit kosmetischen Gegenmaßnahmen. Wenn sie es ernst meinte, würde sie den Renminbi freigeben oder die Zinsen richtig anheben, also auf über 15 Prozent, oder den Markt mit Aktien überschwemmen, indem weitere große Staatsunternehmen privatisiert. Das wird aber offenbar nicht diskutiert. Insgesamt ist die Marktkapitalisierung im Vergleich zum nominalen Sozialprodukt noch gering, und eine Menge Liquidität jagt eine relativ geringe Anzahl von Aktien. Es könnte also weitergehen, ist aber nur was für Anleger mit starken Nerven.

Der japanische Markt gehört bisher zu den Mauerblümchen bei der globalen Aktienparty, trotz schwachem Yen und guter Gewinndynamik. Japan ist eigentlich ein Gewinner der Globalisierung – China liegt schließlich vor der Haustür. Von der Bank von Japan kommen zwar immer wieder drohende Geräusche, dass die Zinsen weiter angehoben werden müssten, ein echtes Risiko für die Gewinne ist das aber nicht. Japan sollte übergewichtet werden.

Eine Enttäuschung ist bisher der russische Markt, weil er trotz des neuen Höhenflugs der Preise für Öl und Metalle auf der Stelle tritt. Mit einem KGV von 11 oder 12 (auf der Basis der Gewinne dieses und des vergangenen Jahres) ist er moderat bewertet. Was ihm zu schaffen macht, sind der nicht abreißende Strom negativer Nachrichten aus der Politik und die Welle von Neuemissionen. Auch Russland ist bis auf weiteres nur etwas für Anleger, die dann zuzuschlagen pflegen, „wenn die Kanonen donnern“ (von wem ist das eigentlich?). Im Dezember stehen die Wahlen zur Duma an, im März wird der neue Präsident gekürt. Es wird daher vermutlich noch eine Weile bei dem Konfrontationskurs und den starken Worten bleiben, die bisher verhindert haben, dass sich die alte Korrelation zwischen Rohstoffpreisen und russischen Aktienkursen wieder durchsetzt. Andererseits sind positive Nachrichten von der politischen Front beim gegenwärtigen Kursniveau stets Kaufsignale.

Rohstoffe sind unter den Annahmen, die ich eingangs gemacht habe, nach wie vor gute Anlagealternativen, auch wenn manche Notierungen inzwischen luftige Höhen erreicht haben. Größere Rückschläge sind daher jederzeit möglich, wie jetzt beim Nickel. Die Nachfrage expandiert immer noch sehr stark und trifft dabei auf ein relativ unelastisches Angebot. Normalerweise müssten die exorbitanten Preise ein größeres Angebot hervorlocken, während die Abnehmer verstärkt auf Alternativen ausweichen und versuchen dürften, den Rohstoffeinsatz zu minimieren. Diese Prozesse laufen. Beim Öl zumindest ist aber zu befürchten, dass sie eine weitere starke Erhöhung der Preise nicht verhindern können. In China, Indien, Brasilien oder Russland dürften Haushalte und Unternehmen schon in nicht allzu ferner Zukunft westeuropäische und amerikanische Motorisierungsraten erreichen. Das ist nicht nur für überzeugte Grüne eine Horrorvorstellung. (Ich wiederhole hier mein cetero censeo – die Abgaben auf den Energieverbrauch müssen drastisch steigen.)

Zu den Währungen lässt sich nicht viel sagen, weil ich ja in den Annahmen eine größere Korrektur ausgeschlossen habe. Der Dollarüberhang wird bleiben, solange die wichtigsten Emerging Markets ihre Währungen gegenüber dem Dollar durch Interventionen unterbewertet halten. Der Renminbi wird weiterhin graduell aufwerten, ohne dass dadurch die Leistungsbilanzüberschüsse Chinas oder die privaten Kapitalzuflüsse nach China vermindert würden. Ähnliches gilt für die anderen Länder mit großen Leistungsbilanzüberschüssen, vor allem auch aus dem OPEC-Bereich. Generell würde ich Dollar short sein und allmählich die Carry Trades in Yen und Schweizer Franken zurückfahren – deren Abwertungen gehen inzwischen weit über das von den Fundamentaldaten Gebotene hinaus.

Der Euro hatte in den letzten Monaten darunter gelitten, dass alle Welt long war, beeindruckt von steigenden Zinsen und vergleichsweise hohen Wachstumsraten. Weil sich an dieser Einschätzung lange nichts Wesentliches änderte, kam es zu Gewinnmitnahmen. Inzwischen hat sich die Situation offenbar normalisiert, so dass der Euro seinen Boden gefunden haben dürfte. Insgesamt ist der Euro eine sehr gesunde Währung und sollte übergewichtet werden.

Zum Schluss muss ich doch noch mal sagen, dass ein solch perfektes Umfeld, wie ich es in den Annahmen beschrieben habe, mit großer Sicherheit zu optimistisch ist. Schocks dürfen nie ausgeschlossen werden, und werden sogar wahrscheinlicher, je länger alles so wunderbar läuft. Wir werden aber nie vorhersagen können, von welcher Seite die Schocks uns eines Tages treffen werden – sonst wären es ja keine.