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Aktien – bisher nur eine Normalisierung

 

Handelt es sich bei dem Rückgang des Dax von 8100 auf zuletzt 7512 um mehr als die übliche Kurskorrektur auf dem Weg nach oben? Das ist die Frage. Von der Größenordnung her sind diese 7,3 Prozent überhaupt nicht außergewöhnlich, wie schon ein flüchtiger Blick auf den Dax der vergangenen Dekade zeigt. Bisher ist eigentlich noch gar nichts passiert im Vergleich zu dem, was es in den letzten Jahren so gegeben hat: Im Sommer 1997 waren es 34 Prozent, von März bis Ende 2000 21 Prozent, im Sommer 2001 38 Prozent, nicht weniger als 53 Prozent in der 12-Monatsperiode ab März 2002, und 12 Prozent im Frühsommer letzten Jahres.

Dax Performance Index

Schließlich hatte der Dax von März 2003, dem letzten zyklischen Tiefstand, bis zur vergangenen Woche um 225 Prozent zugelegt, und der Anstieg, dessen letzte Etappe im vergangenen Sommer begonnen hatte, war bereits auf dem Weg ins Hysterische. Man könnte meinen, dass ein kräftiger Rückschlag genau das ist, was der Markt in einer solchen Situation brauchte. Sagt jemand, der keine deutschen Aktien besitzt! Aber im Ernst, es besteht kein Grund zur Panik. Die Kurse können natürlich noch weiter einbrechen, einfach weil bisher noch nicht viel geschehen ist und die Baisse die Baisse nährt, so wie es umgekehrt auch in der Hausse immer wieder passiert. Wir nähern uns inzwischen ganz sicher wieder Kaufkursen.

Die Fundamentaldaten sehen nach wie vor gesund aus. Am wichtigsten ist die hervorragende Gewinnlage der deutschen Unternehmen. Der Motor der Wirtschaft, der Export, dürfte bis auf Weiteres brummen, nachdem der Internationale Währungsfonds gerade seine Prognose für das diesjährige Wachstum des realen Sozialprodukts der Welt auf 5,2 Prozent angehoben hat. Da die Investitionen überall so gut laufen, sind die deutschen Firmen mit ihrem Kapitalgüterangebot hervorragend positioniert. Bei den Konsumgütern läuft es nicht viel schlechter, weil sich viele einst arme Länder in einem rapiden Aufholprozess befinden und gleichzeitig angesichts hoher Rohstoffpreise und ungewöhnlich großen Überschüsse in ihren Handelsbilanzen über genügend Liquidität verfügen. Es fehlt nicht an Geld. Der starke Euro hat sich bislang kaum negativ bemerkbar gemacht.

Auch sieht es danach aus, dass sich die Einkommensverteilung weiter in Richtung Kapitalvermögen verschiebt. Eben trat bei Bloomberg jemand vom DIW auf, der schätzte, dass die effektiven Stundenlöhne in diesem Jahr um 2 Prozent gegenüber 2006 zulegen würden, im nächsten vermutlich um 3 Prozent. Sollte der Mann recht behalten, könnte erneut mit einer Gewinnexplosion gerechnet werden. Warum? Weil die sogenannten Lohnstückkosten, also die Löhne bereinigt um die Produktivitätseffekte, dann kaum steigen dürften, während die Outputpreise in der Größenordnung von 2 Prozent anziehen könnten. Selbst bei 3 Prozent Lohninflation und gleichzeitig robustem Wirtschaftswachstum könnte der Prozess weitergehen, wenn auch verlangsamt.

Dem Aktienmarkt wird auch helfen, dass die Rendite der längerlaufenden Bundesanleihen in den vergangenen zwei Monaten um 33 Basispunkte auf jetzt 4,34 Prozent gesunken ist. Bonds haben sich also verteuert, während Aktien deutlich billiger geworden sind. Die relativen Preise haben sich zugunsten der Aktien verschoben.

Könnte es sein, dass ich am Thema vorbeiargumentiere? Kommt es augenblicklich nicht vor allem darauf an, wie es in den USA weitergeht? Nach dem Trouble mit den Schrotthypotheken, besser bekannt als „subprime mortgages“, sind nun die gehebelten, also großenteils bankfinanzierten Kredite für Unternehmensübernahmen (leveraged buy-outs) im Fadenkreuz der Baissiers. Es ist sehr schwer geworden, zu günstigen Konditionen Geld aufzunehmen: Die Banken, die vorher den Private Equity und Hedge Funds die Türen eingerannt hatten, halten auf einmal die Taschen zu, weil es angesichts des neuen Risikobewusstseins der Anleger nicht mehr leicht fällt, Kredite zu syndizieren, also das Risiko an andere weiterzureichen. Banken waren ja zuletzt mit Hilfe immer komplizierterer Konstruktionen zu Kreditvermittlern mutiert, hatten ohne großes eigenes Risiko an den Vermittlungsgebühren verdient, und zwar sehr gut. Man sehe sich ihre Erträge im zweiten Quartal an! Aus was bestand eigentlich ihr volkswirtschaftlicher Nutzen, ist man versucht zu fragen? Jedenfalls immer weniger in der Übernahme von Risiken, so wie sie ja auch immer weniger aus kurzfristigen Einlagen langlaufende Kredite gemacht hatten.

Da die Anleger nun nicht mehr so ohne weiteres Ablageplatz spielen wollen, scheint es vor allem in Amerika zu einer Liquiditätsklemme zu kommen. Die wundersame Geldvermehrungsmaschine läuft plötzlich nur noch auf einem Topf. Wie sich herausstellt, sitzen die Banken trotz aller Bemühungen doch wohl auf einem ziemlichen Berg von Aktiva, die sie nicht mehr so richtig loswerden, jedenfalls nicht zu den Preisen, die sie sich vorgestellt hatten. Hier ist das Dilemma: Um ihre Verbindlichkeiten zu bedienen, sind sie gezwungen, Aktien und Immobilien zu verkaufen, was den Ausverkaufsprozess beschleunigen dürfte. Daneben läuft ein weiterer belastender Prozess, nämlich die ständige Umschuldung der Hypothekenkredite zu viel schlechteren Konditionen als den anfänglichen. Die Zinsen sind schließlich seit zwei Jahren gestiegen und den Banken sitzt das Geld nicht mehr so locker – siehe oben.

Dann kommt als Nächstes, es kann nicht anders sein, der sogenannte Vermögenseffekt ins Spiel. Der Wert der Aktien und Immobilien sinkt, die Leute fühlen sich ärmer und werden ängstlicher, kurz, sie geben weniger aus. Es könnte in Richtung Rezession gehen. Die hohen Benzinpreise stellen ja bereits eine ziemliche Einbuße an Kaufkraft dar.

Das ist der aktuelle Grund für die Schwäche am Aktienmarkt der USA. Und bekanntlich bekommt ja der Rest der Welt Lungenentzündung, wenn Amerika hustet. Glaube ich daran? Sicher ist, dass die Wirtschaft der USA die eigentliche Quelle der vielen Ungleichgewichte in der Welt ist, insbesondere durch die geringe Sparquote, die sich in den gewaltigen Defiziten der amerikanischen Leistungsbilanz, der Explosion der Devisenreserven und der Liquidität im Rest der Welt, sowie in den verschiedenen Immobilienblasen und Aktienbooms niedergeschlagen geschlagen hat. All diese Ungleichgewichte haben das Potenzial, gewaltigen Schaden anzurichten.

Ich will mal optimistisch bleiben: Wenn es wirklich ernst werden sollte, wenn es wirklich Anzeichen für eine Rezession in den USA geben sollte, wird die Fed sehr schnell die Zinsen senken und die Wirtschaft mit Geld überschwemmen. Der Dollar würde kräftig abwerten und die US-Exporte würden noch mehr in Schwung kommen. Vermutlich dürfte das reichen. Wenn nicht, könnten auch die anderen Notenbanken aktiv werden. Sie fürchten ja nach den Erfahrungen mit der Depression der dreißiger Jahre und der endlosen Krise in Japan nichts so sehr wie eine Deflation. Sie würde die Wirksamkeit der Zinspolitik zerstören.

Zudem sind die USA kaufkraftmäßig nicht mehr so wichtig, wie sie einst waren. Laut IWF bestreiten die starken und angebotsmäßig soliden „emerging markets“ bereits die Hälfte des Weltsozialprodukts. Auch Europa ist in recht guter Verfassung und operiert keineswegs in der Nähe der Kapazitätsgrenzen, so dass die EZB kein sonderlich schlechtes Gewissen zu haben braucht, wenn sie die Zinsen senkt.

Bottom line: es ist alles sehr unsicher, und es könnte noch weiter abwärts gehen, aber wir sollten uns nicht kirre machen lassen. Die Weltwirtschaft, und mit ihr die deutsche Wirtschaft, ist ziemlich breit aufgestellt und so schnell nicht aus der Bahn zu werfen. Das Kurs-Gewinnverhältnis des DAX liegt auf der Basis der diesjährigen Gewinne bei 13 1/2. Das ist alles andere als ein exaltiertes Niveau.