1,4237 Dollar kostet ein Euro heute Morgen, das sind 1,3738 alte D-Mark pro Dollar, womit wir fast wieder da sind, wo wir vor zwölfeinhalb Jahren schon einmal waren. Der Euro ist fest, wenn auch noch nicht so übertrieben fest, wie es damals die deutsche Währung war. Die reale Abwertung der vergangenen Jahre, die uns den jetzigen rekordhohen Handelsbilanzüberschuss beschert hat, wird zur Zeit ziemlich rasch durch die nominale Aufwertung des Euro wieder rückgängig gemacht. Bisher ist die Wettbewerbsfähigkeit aber nicht ernsthaft in Gefahr: Im Juni und Juli lagen die Auslandsaufträge in der Industrie im Durchschnitt real um 14 Prozent über ihrem Vorjahreswert! Unsere Partnerländer in der Währungsunion, deren reale Wechselkurse vor allem gegenüber Deutschland durch den relativ starken Anstieg ihrer Lohnstückkosten in den letzten Jahren kräftig aufgewertet wurden, kommen jetzt allerdings noch mehr in die Klemme. Die Reaktionen von Monsieur Sarkozy sind absehbar.
Insgesamt ist eine Aufwertung aber eine feine Sache. Sie ist so etwas wie eine Lohnerhöhung ohne Mehrarbeit. Man hat mehr Geld zum Ausgeben. Das Problem ist, dass es so etwas wie Wettbewerb gibt. Wenn meine Löhne stärker steigen als die meiner Konkurrenten, bin ich schnell den Job los. Dagegen gibt es nur zwei Mittel: entweder versuche ich den Wettbewerb auszuschalten (ich mache die Grenzen dicht) oder ich steigere meine Produktivität – das, was ich pro Stunde schaffe – durch mehr Kapitaleinsatz, eine bessere Organisation der Produktionsprozesse und/oder berufliche Qualifikation. Durch eine Aufwertung werden wir reicher, die Gefahren, dass wir Märkte und Arbeitsplätze verlieren, nehmen aber zu. Stillsitzen und sich über das Geschenk freuen geht nicht.
Darf ich mal, etwas verkürzt, die gesamtwirtschaftliche Identitätsgleichung hinschreiben, um zu zeigen, wie eine Aufwertung auf das Sozialprodukt wirkt? Y = C + I + X – M. Definitionsgemäß ist das Bruttoinlandsprodukt Y die Summe aus Konsum C, Investitionen I und Exporten X minus die Importe M. In Milliarden Euro sah das für Deutschland im zweiten Quartal folgendermaßen aus (Quartalswerte auf’s Jahr hochgerechnet): 2.415 = 1.810 + 446 + 1.118 – 959. Kann man auch in prozentualen Anteilen ausdrücken: 100% = 75% + 19% + 46% – 40% (Dass der Konsumanteil hier 75% beträgt, also mehr als vermutet, kommt daher, dass ich den staatlichen Konsum dazugezählt habe).
Wenn jetzt durch eine Aufwertung des Euro von 10% die Einfuhren von Gütern und Dienstleistungen um 10% billiger werden und nur noch €863Mrd kosten, steigt dadurch das nominale BIP um €96Mrd auf €2.511Mrd, oder 4%, da 1.810 + 446 + 1.118 – 863 = 2511. Der Negativposten „Importe“ ist durch die Aufwertung kleiner geworden, es bleibt mehr für uns übrig. Anders gesagt, wir kriegen mehr für unsere Exporte, also für unseren Input an Arbeit und Kapital.
Ob das auch real +4% sind, hängt davon ab, was mit der Inflation passiert. Rein mechanistisch gesehen steigt der sogenannte Deflator des BIP, da zweimal minus gleich plus ist (die Importe sind ein Negativposten, und ihre Inflationsrate ist ebenfalls negativ), in der Praxis aber wirken sinkende Einfuhrpreise allemal tendenziell deflationär. Was gibt es Schöneres? (na ja – manches!)
Eine Aufwertung verstärkt den Zwang, die Produktion umzuschichten in Richtung höhere Wertschöpfung, da die Alternative, die Grenzen zu schließen, keine ist: Das wäre das Ende des Freihandels und ein noch größerer Schock als die Aufwertung. Durch die größeren Anstrengungen rechfertigen wir im Nachhinein die Aufwertung. Wir können die Risiken für den Arbeitsmarkt nur minimieren, wenn wir ernst machen mit der Bildungsoffensive oder, allgemeiner, mit dem Lissabon-Prozess. Dazu gehört auch eine weitere Liberalisierung der Märkte: weg mit den Monopolen (bei den Versorgern, im Verkehr) und den verbleibenden Handelsbeschränkungen, und Schluss mit der Verschwendung in der Agrarpolitik.
Wenn die Aufwertung so weiter geht, wird es eines Tages auch für unsere super-kompetitive Wirtschaft eng. Sollte man vielleicht doch erwägen, bei einen bestimmten Wechselkurs, sagen wir bei 1,50 Dollar pro Euro, eine Grenze einzuziehen? Technisch ist das überhaupt kein Problem, da es ja darum ginge, Dollars mit der eigenen Währung zu kaufen. Die können wir (also die EZB) selber drucken und daher unbegrenzt vermehren. Die Chinesen haben uns das in den letzten Jahren vorgemacht. Euroland müsste sich für die Interventionen ja kein Geld im Ausland leihen, wie das der Fall wäre, wenn es darum ginge, eine Abwertung zu verhindern. Aufwertungen lassen sich viel leichter verhindern als Abwertungen. Kein IWF würde uns Vorschriften machen können.
Interventionen sollten nicht ausgeschlossen werden, sie bedeuten aber, dass wir Abschied nähmen von der Idee, dass der Euro, hinter dem über kurz oder lang ein Wirtschaftraum mit 500 Millionen Einwohnern stehen wird, einmal eine Leitwährung vom Rang des Dollars werden könnte. Es bringt große Vorteile, wenn der Euro im Ausland umläuft, vor allem weil das de facto zinslose Darlehen an die Inländer darstellt. Eine Festschreibung des Eurodollar-Kurses wäre auch das Ende einer souveränen Geldpolitik.
Naheliegend ist dagegen, die restriktiven Effekte der Aufwertung durch Zinssenkungen auszugleichen. Die Märkte erwarten das allerdings noch nicht, und die EZB hat bisher nur signalisiert, dass Aufgeschoben keinesfalls auch Aufgehoben bedeutet, dass also nach wie vor eher eine Zinserhöhung als eine Zinssenkung auf der Agenda steht. Der jüngste Anstieg der Inflationsrate auf etwas über 2 Prozent wird sie in ihrer Entschlossenheit bestärkt haben. Es fehlen ja auch noch die richtig schlechten Konjunkturzahlen.
Die weitere Aufwertung des Euro wird allerdings die Fliehkräfte der Währungsunion verstärken. Nicht alle Mitgliedsländer dürften in der Lage sein, sich erfolgreich gegen den Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit zu wehren. Bisher konnten sie im Notfall immer abwerten, jetzt müssten sie ihre Wirtschaft radikal umstrukturieren, mit der Aussicht, dass es Jahre dauern kann, ehe sich Erfolge einstellen.
Ich denke, dass das die EZB im Grunde auch so sieht und schon aus Selbsterhaltungsgründen nicht jede beliebige Euroaufwertung hinnehmen wird. Klar ist, dass die USA angesichts der Konjunkturrisiken ein Interesse an einem schwachen Dollar haben und keinesfalls ihrerseits die Zinsen erhöhen oder Euro verkaufen werden. Die amerikanische Kerninflation ist zuletzt auf unter 2 Prozent im Vorjahresvergleich gefallen, so dass auch von dieser Seite her kein Anlass für Gegenmaßnahmen besteht.
Die EZB wird unter Zugzwang kommen.