Die Überschrift mag provokant erscheinen und ich vermute, dass sie vielen sauer aufstößt. Dennoch, es gibt in Deutschland kein Inflationsproblem, gestern nicht, heute vielleicht ein bisschen, morgen aber schon wieder nicht. Klar, Milch und Butter und fast alle Nahrungsmittel, dazu Benzin und Heizöl und Strom sind deutlich teurer geworden. Hat alles direkt und indirekt etwas mit den höheren Energiepreisen zu tun, die uns die boomende Weltwirtschaft und der endlose Konflikt im Nahen Osten beschert haben. Im September betrug die Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen 2,4 Prozent im Vorjahresvergleich – vor einem Jahr waren es noch 1,0 Prozent. Sieht nicht schön aus. Im Dezember könnte die Inflationsrate leicht sogar bei 2,7 Prozent liegen. Dann ist aber Schluss und wir könnten schnell wieder bei unter 2 Prozent landen – weil es dann positive Basiseffekte gibt und die Energiepreishausse bis dahin ausgelaufen sein dürfte.
An den Renditen der langlaufenden Bundesanleihen lässt sich ablesen, dass zumindest die Anleger nicht befürchten, dass die Inflationsraten dauerhaft ansteigen werden. Im Zehnjahresbereich liegen die Zinsen bei 4,17 Prozent, was, wenn man das mittelfristige Wachstum des realen BIP und die Prämie für die lange Laufzeit berücksichtigt, eine Inflationserwartung von deutlich unter 2 Prozent ergibt.
Der wichtigste Treiber der Inflation sind die Löhne, genauer: die Löhne bereinigt um die Effekte des Produktivitätsfortschritts, also die sogenannten Lohnstückkosten. In der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion machen die Arbeitskosten mehr als die Hälfte der Gesamtkosten aus und sind damit die bei weitem wichtigste Komponente auf der Kostenseite. Laut Bundesbank übertrafen die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten im zweiten Quartal ihren Vorjahresstand um 0,1 Prozent – und ihren Wert vom Frühjahr 1997 im Übrigen gerade einmal um 2,9 Prozent. Die Lohnkosten haben die Inflation im letzten Jahrzehnt massiv vermindert.
Wie wird es hier weitergehen? Die jüngsten Zahlen zu den Stundenlöhnen könnten aus Sicht der „Inflation Fighter“ nicht besser sein: Im zweiten Quartal lagen sie um 0,8 Prozent über dem Vorjahresstand, und im Juli waren es bei den Tariflöhnen 1,3 Prozent. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 3,7 Millionen ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer nach wie vor schlecht, auch wenn einzelnen Gruppen, wie jetzt vermutlich den Lokführern, schon mal ein größerer Schluck aus der berühmten Pulle gelingt. Die schlauen Leute vom Bau haben das übrigens, gänzlich unbemerkt, schon geschafft: Im Bauhauptgewerbe übertrafen die Löhne und Gehälter je geleisteter Arbeitsstunde im August ihren Vorjahresstand um stolze 7,5 Prozent. Die Gründe: Der Bau ist zum Einen dem internationalen Wettbewerb nur wenig ausgesetzt, zum Anderen sind die Kapazitäten in den vergangenen Jahren stark heruntergefahren worden. Die anziehende Nachfrage war schnell an die Kapazitätsgrenzen gestoßen.
Selbst wenn die Löhne von nun an rascher steigen sollten, wäre das kein Weltuntergang, da es bei der Produktivität noch unausgeschöpfte Reserven gibt. Das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde hat im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre um 1,4 Prozent zugenommen, im letzten Jahr dagegen nur um 0,7 Prozent. Der kräftige Anstieg der Investitionen in jüngster Zeit spricht dafür, dass sich das leicht steigern lässt. Nur ist es offenbar so, dass der Anreiz, mehr pro Stunde zu produzieren, nicht so stark ist, wenn die Löhne nur langsam steigen – arbeitsintensive Produktionen lohnen sich relativ zu kapitalintensiven. Das kann sich jederzeit ändern, und wird sich auch ändern, da die Unternehmen normalerweise Gewinnmaximierung betreiben. Insgesamt werden die Arbeitskosten die bei weitem wichtigste Kostenbremse bleiben.
Für ein Land, das einen so großen Außensektor hat – die Summe aus nominalen Exporten und Importen liegt bei 86 Prozent des BIP ! -, sind die Import- und Exportpreise von zentraler Bedeutung. Nehmen beispielsweise die Einfuhrpreise nur sehr langsam zu, fällt es allen inländischen Unternehmen, die mit ausländischen konkurrieren, sehr schwer, ihre Preise zu erhöhen, auch wenn sie es gerne wollten. Genauso bei den Exportpreisen: Wenn es wegen des sehr festen Wechselkurses Probleme auf dem Weltmarkt gibt, werden die Unternehmen tendenziell weniger ausführen und ihr Angebot im Inland erhöhen – was die Preise senkt.
Nichts als sehr gute Nachrichten auch von dieser Seite! Trotz der Ölpreisexplosion lagen die Importpreise im August um 0,6 Prozent unter ihrem Stand vom August 2006 während die Exportpreise ihn um 1,6 Prozent übertrafen. Insgesamt ergibt sich daraus ein Bild absoluter Preisstabilität. Da der Wechselkurs des Euro in der Zwischenzeit weiter deutlich zugelegt hat, wird sich die Preissituation eher noch verbessern als verschlechtern.
Was wir im Augenblick erleben, ist eine starke Verschiebung der sogenannten relativen Preise. Der starre Warenkorb tendiert in einer solchen Situation dazu, die Inflation bei den Verbraucherpreisen zu überzeichnen, es wird nicht berücksichtigt, dass die Leute weniger von dem kaufen, was sich stark verteuert hat, und mehr von dem was billiger geworden ist.
Das Unerfreuliche ist, dass zur Zeit vor allem die Dinge stark im Preis steigen, die zu den Grundbedürfnissen gehören. Vor allem die ärmeren Teile der Bevölkerung leiden daher. Wie gesagt, das wird sich aber schon bald ändern. Energie und Nahrungsmittel gehören zu den Komponenten im Warenkorb, deren Preise oft besonders große Schwankungen aufweisen, weswegen sie auch bei der Berechnung der sogenannten Kerninflationsrate außen vor gelassen werden.
Ansonsten gilt aber, dass es weder auf der Nachfrageseite noch auf der Kostenseite Grund zu der Annahme gibt, dass wir gerade den Beginn einer neuen Inflationsspirale erleben. Die EZB kann gelassen bleiben.