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Wo bleibt die EZB?

 

Ich habe noch nie einen solchen Stress im Finanzsystem erlebt. Es ist grauselig. Noch grauseliger ist nur die unverantwortliche Position der Europäischen Zentralbank. Sie tut gerade so, als ginge sie die Finanzkrise nichts an. War sie im August vergangenen Jahres auf der Höhe der Zeit, vielleicht sogar ein bisschen ahead the curve, so ist sie inzwischen richtig fett behind the curve. Sie sorgt sich um Inflation, treibt die Zinssenkungserwartungen immer weiter ins Jahr hinein. Schlimmer geht’s nimmer. Immerhin versucht sie seit vergangener Woche verbal gegen den horrend festen Euro zu intervenieren. Aber am Markt lachen sie sich kaputt. Die Wirkung der warnenden Worte von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sind gleich null.

Schon in der vergangenen Woche hatte ich das Gefühl, dass die EZB jetzt mit einem Coup die Märkte überrascht, gegen den Euro interveniert, sprich Euro verkauft, um einen weiteren Anstieg gegenüber dem Dollar zu verhindern, vielleicht sogar garniert mit einer Zinssenkung. Meine Woche endete am Donnerstag, danach war ich drei Tage in den Alpen. Das heißt, die Krise bei Bear Stearns kannte ich noch nicht.

Doch jetzt muss ich mal wieder wetten: Bis zum Abend des 10. April, dem Tag an dem sich der ECB Rat zum nächsten regulären Zinsentscheid trifft, werden wir eine Zinssenkung und/oder Interventionen gegen den festen Euro erleben. Mein Gefühl sagt mir, das alles passiert in den nächsten 20 Stunden. Aber die EZB ist behäbig.

Doch die aktuelle Zuspitzung der Krise gibt der EZB die einmalige Chance halbwegs erhobenen Hauptes die brutale Kehrtwendung verkünden zu können. Sie käme eh und zwar rascher als es sich die Herren EZB-Räte heute noch vorstellen können.

Wenn die Fed am Dienstag um 75 oder 100 Basispunkte den Leitzins auf dann 2,25 oder zwei Prozent senkt, ist der Euro nicht mehr zu halten. Außerdem brauchen auch europäische Banken eine steilere Zinsstrukturkurve, sprich niedrigere kurze Zinsen, damit sie wenigstens etwas Spanne zu den langen haben. Auch einige europäische Banken sollen in ähnlichen Schwierigkeiten wie Bear Stearns sein, heißt es in der Gerüchteküche. Und dass die Kreditkrise nicht auf die Realwirtschaft übergreift, ist Wunschdenken der EZB-Oberen. Sie schauen auf ihre Kreditdaten und wähnen sich argumentativ in Sicherheit. Sie sollten mal lieber die Banken fragen. Allein am Donnerstag habe ich von Vertrauten in drei Banken ziemlich direkt erzählt bekommen, dass die Kreditvergabe so gut wie eingestellt ist!

Es brennt lichterloh. Bear Stearns ist Prime Broker Nummer drei weltweit. Prime Broker sind die Banken, die die Hedgefonds versorgen, mit Kredit, Infos, Handel und Abwicklung. Hurra. Wenn Bear Stearns jetzt anfangen muss all die Linien höher besichern zu lassen, wird’s noch ungemütlicher. Geht’s überhaupt noch ungemütlicher?

Sicher. Erinnern Sie sich an die Botschaft von Standard & Poor’s, der blaublütigen Ratingagentur von Mittwoch? Das Schlimmste an Abschreibungen im Bankensektor sei jetzt vorüber. Pfeifen im Wald. Jetzt geht’s erst richtig los. Nie wieder werden wir den Kapitalismus und seine Funktionsweise so wunderbar beobachten können – wie im Reagenzglas.

Auf eine weitere aufregende Woche!