Auch nach den neuesten Zahlen gibt es immer noch keine Indizien, dass die deutsche Konjunktur zu lahmen beginnt. Gerade ist durchgesickert, dass der Internationale Währungsfonds, der Mitte des Monats seinen neuen World Economic Outlook veröffentlicht, die diesjährige Wachstumsrate für unser Land von bisher 1,5 Prozent auf 1,2 Prozent zurücknehmen wird. Das passt weder zu den Auftragseingängen in der Industrie (real zuletzt 9,6 Prozent gg Vj) oder in der Bauwirtschaft (10,1 Prozent), noch zur Industrieproduktion (7,5 Prozent), vor allem aber nicht zu den Arbeitsmarktdaten vom Dienstag.
Im März ist die Arbeitslosigkeit noch einmal saisonbereinigt kräftig zurückgegangen, auf 7,8 Prozent nach 8,0 Prozent im Februar, und nach rund 12 Prozent vor drei Jahren. Auch die Beschäftigung boomt. Wenn Minister Glos recht hat, hat er recht: Wenn es so weitergeht, haben wir in Kürze Vollbeschäftigung. Ich weiß, extrapolieren ist das Gegenteil von denken, trotzdem kann ich es nicht lassen, es mal zu machen. Zur Zeit vermindert sich die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um rund 600.000. Da wir gerade bei 3,285 Millionen angelangt sind, wären wir, wenn es so weiterginge, in drei Jahren bei 1,5 Millionen oder einer Quote von 3,3 Prozent. Na ja.
Wir haben es mit einem Beschäftigungswunder zu tun, nicht mehr und nicht weniger. Es ist schon fast ein bisschen unheimlich und passt nicht zu recht zu unserem Grundgefühl, dass niemand außer ein paar Privilegierten Geld hat. Die Renten sollen im Sommer um sagenhafte 1,1 Prozent steigen, und wenn ich mir im Monatsbericht der Bundesbank die gesamtwirtschaftlichen Tariflöhne ansehe (1,4 Prozent gg Vj im Januar, Seite 67*), kommen mir die Tränen. Kein Wunder, dass die Einzelhandelsumsätze im Februar erneut eingebrochen sind – real um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert und um 1,6 Prozent gegenüber Januar. Andreas Rees von UniCredit nennt das bereits eine Verbraucherrezession. Wir erleben seit einiger Zeit einen sogenannten Terms-of-Trade-Schock, also einen gewaltigen Verlust an Kaufkraft durch den steilen Anstieg der Einfuhrpreise bei moderater Zunahme der Exportpreise. So geht das in einer Ölkrise. Sollten nicht die steigenden Ausgaben der Haushalte der Konjunkturmotor des Jahres sein?
Vielleicht bessert sich die finanzielle Lage der Verbraucher durch die etwas höheren neuen Lohnabschlüsse nun doch etwas. Im öffentlichen Dienst komme ich nach meiner Rechnung auf einen Anstieg der Monatseinkommen per letzten Januar um etwa 5 Prozent. Das ist nach vielen Jahren fallender Realeinkommen endlich mal wieder etwas „to write home about“, wie die Engländer sagen. So furchtbar viel ist es aber auch nicht, wenn man bedenkt, dass die Inflation über drei Prozentpunkte davon auffrisst.
Wir haben es mit einem Beschäftigungswunder zu tun, aber bisher noch nicht mit einem Einkommenswunder. Es fällt immer leichter, einen Job zu finden, aber immer noch nicht leicht, dabei anständiges Geld zu verdienen.
Dabei wird es von Seiten der EZB bis auf Weiteres keine Schützenhilfe geben. Am Montag meldete Eurostat, dass die Inflation im Euroraum im März 3,5 Prozent (gg Vj) erreicht hat – „knapp unter 2 Prozent“ ist immer noch das Ziel. Hinzu kommen die immer noch ganz guten Nachrichten aus der Realwirtschaft. Die Zentralbank wird daher einen Teufel tun und die Zinsen senken, auch wenn die Marktteilnehmer ganz fest damit rechnen. Der starke Euro hat bisher kaum Bremsspuren hinterlassen. Das ist eigentlich ein weiteres Wunder. Soll der Euro noch auf zwei Dollar steigen? Immerhin würde das amerikanische Leistungsbilanzdefizit dadurch schneller verschwinden, als wir uns das heute vorstellen könnten. Der Preis wäre allerdings dann doch die Rezession, um die wir bisher herumzukommen scheinen.
Eine letzte Anmerkung: Das DIW hat Mitte März geschätzt, dass das reale BIP im ersten Quartal um 0,5 Prozent über dem Wert des vierten liegen würde. Nach den heutigen Arbeitsmarktzahlen wird bei der nächsten Schätzung vermutlich 0,6 Prozent herauskommen. Unterstellt, es gäbe in den folgenden drei Quartalen jeweils Zuwachsraten von 0,3 Prozent, ergäbe sich für 2008 insgesamt eine Zuwachsrate von 1,6 Prozent – nicht 1,2 Prozent. Wie ich letztes mal schon gefragt hatte – wo bleibt eigentlich die Finanzkrise?