Die monatliche Pressekonferenz, die der Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet im Anschluss an die Sitzung des EZB Rats am Donnerstag hielt, ließ nichts besonderes erwarten. So wurde der Leitzins dann auch bei 4 Prozent belassen. Und in seinem Statement wies Trichet wie üblich auf die Inflationsrisiken hin, erklärte, dass das Wachstum in Euroland zwar nachlässt, aber die Fundamentaldaten „sound“ also gesund sind und es nicht zu Zweitrundeneffekten kommen darf. Die Überraschung brachte das anschließende Frage und Antwort Spiel mit den Journalisten. Auf die Frage, was er mit dem Ausdruck „heightened alertness“ signalisieren wolle, den er mehrfach gebraucht hatte, ließ Trichet die Katze aus dem Sack. Es habe ein Diskussion im Rat gegeben mit unterschiedlichen Einschätzungen und eine Anzahl der Mitglieder habe für eine Zinserhöhung argumentiert. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass man sich demnächst für eine kleine Anhebung entscheiden wird. Ob dies schon im Juli der Fall sei, dem widersprach Trichet nicht ausdrücklich und deutete ein Anhebung um 25 Basispunkte an. Die Sensation war perfekt. Auch wenn er mehrfach wiederholte: „It is not certain, it is possible“, scheint der nächste Zinsschritt der EZB so gut wie sicher und er wird nach oben gehen. Es bleibt allein die Frage, was treibt die Damen und Herren im EZB Rat?
Es ist die Inflation im Euroraum, die im Mai nach der ersten Schätzung von Eurostat wie schon im März wieder bei 3,6 Prozent lag, und es sind die Falken, die nun doch die Oberhand gewinnen. Seit letzten Herbst trommeln sie mit dem Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber an der Spitze. Nur weshalb können sie sich jetzt durchsetzen? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten.
Die EZB hat nur eine Nadel in ihrem Kompass und die ist auf das Inflationsziel von knapp unter 2 Prozent gerichtet. Das ist ihr Auftrag – und Trichet wurde in den vergangenen Monaten nicht müde dies gebetsmühlenhaft zu wiederholen. Er hatte damit jene Größe beschworen, die für den Erfolg jeder Geldpolitik am wichtigsten ist, die Inflationserwartungen. Wenn die tatsächliche Inflationsrate, wie in den vergangenen Monaten, über das Ziel hinausschießt, darf kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zentralbank entstehen, unabdingbar daran festzuhalten und es mittelfristig wieder zu erreichen. Diese mittlere Frist schiebt die EZB seit letzten Herbst ständig vor sich her. Im November sprach Trichet von einem „hump“, einem Buckel, den die Inflationsentwicklung in den nächsten Monaten beschreiben werde. Es bestehe also trotz aller Risiken eigentlich keine Gefahr, so konnte man ihn damals verstehen. Und die Inflationserwartungen seien fest verankert, stellte er fest. Letzteres hat sich bis heute nicht geändert, einzig der Buckel wurde immer langgezogener. Aber noch im April war Trichet überzeugt, dass binnen 18 Monate die Zielmarke von knapp unter 2 Prozent wieder erreicht ist. Im Mai hatte er das Wort „hump“ nicht mehr in den Mund genommen und sprach unbestimmt von einer längeren Periode erhöhter Inflationsraten bevor diese wieder abnehmen würden. Am Donnerstag sprach er von einer noch längeren Periode als vorher angenommen. Der EZB Stab, der im März für 2009 noch eine Inflationsrate von 2,1 Prozent prognostiziert hat, geht jetzt von 2,4 Prozent aus. Das liegt deutlich über der Zielmarke und es scheint, dass die Tauben im EZB Rat jetzt den Glauben und den Mut verlieren, dass man die Inflationserwartungen noch mit reiner Rhetorik in Schach halten kann. Tatsächlich sind nach dem Survey of Professional Forcasters die Inflationserwartungen für das laufende Jahr auf 3 Prozent und für 2009 auf 2,2 Prozent gestiegen. Aber ist das ein Grund, die Diplomatie jetzt auf zu geben und zur Axt zu greifen? Ich denke nicht.
Dass die Inflationserwartungen für das laufende und kommende Jahr jetzt ansteigen, ist kaum verwunderlich. Der Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise ist stärker ausgefallen als ursprünglich erwartet wurde. Wie lange dieses Hoch noch anhält ist schwer zusagen, aber diese Preise werden nicht in den Himmel wachsen. Spätestens wenn der Wachstumsschwung im Laufe des Jahres nachlässt, wird die Hausse ein Ende haben. Der Ölpreis ist von seinem Hoch vor zweieinhalb Wochen von 135 Dollar auf 122 Dollar zurückgegangen und bei einigen Nahrungsmittelrohstoffen beginnen die Preise auch zu sinken. Was sollte da eine straffere Geldpolitik in Euroland bewirken? Preistreiber sind aber die Energie- und Nahrungsmittelpreise. Das sagt die EZB selbst. Zweitrundeneffekte hat sie dagegen noch nicht ausgemacht und die Kerninflationsrate hat die 2 Prozentmarke nicht überschritten. Sie lag im April bei 1,6 Prozent.
Wenn die EZB jetzt voreilig Härte zeigt und die Zinsen erhöht, um die Inflationserwartungen zu zähmen, dann schießt sie über das Ziel hinaus, denn die längerfristigen Erwartungen (über zwei und fünf Jahre) liegen genau auf ihrer Zielmarke. Ein Glaubwürdigkeitsproblem hat die EZB also nicht. Und sie hat es in den 10 Jahren ihres Bestehens nie gehabt. Hier scheint es einigen Herren in Frankfurt an Selbstvertrauen zu mangeln. Das Mittel mit dem die moderne Geldpolitik die Inflation zu steuern versucht, nämlich über höhere Zinsen die Nachfrage zu dämpfe, wird die Glaubwürdigkeit der EZB in der jetzigen Lage nicht erhöhen. Es ist viel eher geeignet ihrer Reputation zu schaden. Die Konjunktursignale in Euroland zeigen nach unten, und die beiden mit Abstand größten Handelspartner der Währungsunion, die USA und das Vereinigte Königreich, leiden unter sinkenden Immobilienpreisen und schwachem Wachstum. In dieses restriktive Umfeld noch zusätzlich ein negatives Signal zu senden, ist bestens geeignet die Diskussion über die Unabhängigkeit der EZB neu zu beleben, wodurch sie in ihrer Handlungsfreiheit, neben dem engen Inflationsziel, noch zusätzlich eingeschränkt wird. Da sie ihre Unabhängigkeit dann um so härter demonstrieren muss.
Die Zinserhöhung im Juli ist also nicht nur schädlich, sie ist auch überflüssig und kaum zu begründen. Die monetäre Entwicklung, die die europäischen Zentralbanker als Argument der letzten Zuflucht immer mit sich herumtragen, hat sich in den letzten Monaten verbessert. Die Zuwachsrate von M1 lag im April bei nur noch 2,5 Prozent (gg. Vj.). Der Anstieg von M3 war mit 10,6 Prozent (gg. Vj.) immer noch sehr hoch, ist aber auch rückläufig. Die Geldmengenentwicklung wird zwar regelmäßig als Inflationsrisiko erwähnt, ein akuter Handlungsbedarf wurde und wird daraus bisher aber nicht abgeleitet.
Wie der letzte Bank Lending Survey der EZB zeigt, haben sich die Bedingungen für die Kreditfinanzierung der Unternehmen in Euroland in den letzten drei Quartalen stark verschlechtert. Im ersten Quartal gab es erstmals seit 2005 wieder mehr Banken, die einen Rückgang der Nachfrage nach Unternehmenskrediten berichteten, als Banken, die eine Zunahme berichteten. Das deutet auf eine sich abschwächende Geschäfts- und Investitionstätigkeit im Euroraum hin.
In Richtung schwächeres Wachstum zeigen auch die Zahlen zum Auftragseingang bei der deutschen Industrie, die das Wirtschaftsministerium am Donnerstag veröffentlicht hat. Gegenüber dem Vorjahr stieg der Auftragseingang im April saisonbereinigt nur noch um 4 Prozent nach zweistelligen Zuwachsraten im letzten Quartal 2007. Die Aufträge aus dem Ausland gingen im Monatsvergleich zum fünften Mal hintereinander zurück, zuletzt um minus 3,8 Prozent. Dabei war der Rückgang aus dem Euroraum stärker als aus Nicht-EWU-Ländern.
Dass die Wirtschaft der Währungsunion keinen zusätzlichen Dämpfer braucht, zeigt auch der Indikator für das Wirtschaftsklima, den die Europäische Kommission veröffentlicht. Seit Mitte 2007 wird die Stimmung schlechter. Erstaunlich ist der Vorlauf von 6 bis 9 Monaten, den dieser Stimmungsindikator vor der Entwicklung der Notenbankzinsen hat, wie die folgende Grafik zeigt.
Es ist allerdings zu fürchten, dass er seine „Prognoseeigenschaft“ verloren hat, denn der EZB Rat scheint entschlossen zu sein, im Juli den Hauptrefinanzierungsatz um 25 Basispunkt an zu heben, weil … die Inflationserwartungen fest verankert sind? … die Inflation von Weltmarktpreisen getrieben wird, die mit höheren Zinsen in Euroland nicht verhindert werden können? … das globale Wachstum sich schon von selbst abschwächt, und die Verlangsamung in Euroland durch höhere Zinsen beschleunigt werden muss? … die Fundamentaldaten noch zu „sound“, also zu gesund sind? … bei schlechteren Fundamentaldaten, die Gefahr von Zweitrundeneffekten sinkt? … die Geldmenge zu schnell expandiert?
Wir werden es im Juli erfahren.