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Trotz schlechter Konjunkturaussichten will der Euro nicht abwerten

 

Normalerweise hätten die Zahlen für die französische und italienische Industrieproduktion, die gestern für den Monat Mai veröffentlicht wurden, den Euro deutlich schwächen müssen, so schlecht waren sie. Die Meldungen wurden aber von den Märkten völlig ignoriert – es gab ein kleines Auf und Ab, dann aber beruhigte sich die Lage bei $1,57, etwa da wo sich der Wechselkurs seit Mitte März, also seit vier Monaten bereits befindet. Das war auch der Fall, als vor wenigen Tagen die deutschen Statistiken zum Auftragseingang und zur Industrieproduktion herauskamen. Sie befinden sich de facto im freien Fall. Es sieht nach diesen Zahlen so aus, als ob das deutsche BIP real und saisonbereinigt im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal gesunken ist, und für Euroland insgesamt dürfte eine Stagnation herauskommen.

Wenn sich die europäische Konjunktur so dramatisch abschwächt, wie das in den vergangenen Monaten geschehen ist, müsste das aus mindestens zwei Gründen zu einer Euro-Abwertung führen:

1. Die Aussichten für die Gewinne verschlechtern sich. Nicht nur das, wenn es tatsächlich zu einer Rezession kommen sollte, werden sie fallen – so wie das immer ist. Von daher werden die Aktienkurse voraussichtlich eher zurückgehen als steigen. Auch Direktinvestitionen im Euroland sind wenig attraktiv, wenn eine Rezession vor der Tür steht. Die Kapitalzuflüsse in den europäischen Aktienmarkt vermindern sich daher, Kapitalabflüsse werden wahrscheinlicher, am Devisenmarkt sinkt die Nachfrage nach Euro.

2. Der Spielraum der EZB, die Zinsen weiter zu erhöhen, schrumpft, weil der Widerstand in der Öffentlichkeit angesichts der Konjunkturrisiken und wieder steigender Arbeitslosigkeit zunimmt. Zudem verringern sich die mittelfristigen Inflationserwartungen, und über kurz oder lang auch die tatsächlichen Inflationsraten. Gegen Ende einer Phase schwachen Wachstums gehen die Inflationsraten stets zurück. Die Notenbanksätze dürften daher entweder stabil bleiben oder demnächst zurückgehen. Anlagen am Geldmarkt werden voraussichtlich weniger attraktiv sein, was die Nachfrage nach Euro vermindert und zu seiner Abwertung beiträgt.

Mit anderen Worten, wenn sich die Konjunkturaussichten eintrüben, kommt die Währung unter Druck. Es gibt natürlich auch einen gegenläufigen Effekt: Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schwächelt, geht zum einen die Importneigung zurück, andererseits sinkt die Auslastung der Kapazitäten, was wiederum die Exporte stimuliert, alles immer ceteris paribus argumentiert. Der Leistungsbilanzüberschuss wird daher zunehmen und mit ihm die Nachfrage nach Euros.

Ob der Wechselkurs mehr von den Kapitalströmen oder der Leistungsbilanz getrieben wird, ist eine ungelöste empirische Frage. In der kurzen Frist dürften Veränderungen im Kapitalverkehr dominieren. Der Euro hätte also nach den jüngsten Zahlen abwerten müssen.

Da ein Wechselkurs die relativen Preise von zwei Währungsräumen widerspiegelt, reicht es natürlich nicht, nur auf das zu schauen, was sich bei uns (zum Schlechteren) verändert hat. Der Euro hält sich offenbar deswegen so gut, weil er gewissermaßen der Einäugige unter Blinden ist – den anderen geht es noch schlechter.

Die USA schlagen sich gerade mit einer Immobilienkrise und einer Finanzkrise herum. Zusammengenommen sind sie gefährlicher als alles, was das Land in den letzten siebzig Jahren erlebt hat. Die Beschäftigung sinkt seit Monaten, die Arbeitslosigkeit steigt. Obwohl die Fed angekündigt hat, dass sie gegen die Inflation vorgehen will, hat sie in Wahrheit keine Wahl – eine Zinserhöhung, die die Nachfrage so stark dämpfen würde, dass die Inflation auch tatsächlich zurückgeht, wird es nicht geben. Am Terminmarkt für Zinsen lässt sich das ablesen: Nachdem vor ein, zwei Monaten noch damit gerechnet wurde, dass die Fed ihre Zielmarke für die Fed Funds Rate bis zum Jahresende von jetzt 2 Prozent auf 2,75 Prozent anheben würde, wird jetzt nur noch eine Erhöhung um einen Viertelpunkt erwartet. Das wären zwei volle Prozentpunkte weniger als der Zins der EZB. Die amerikanische Geldpolitik bleibt äußerst expansiv – eine Entwertung der Währung wird in Kauf genommen.

Insgesamt sind die Konjunkturaussichten der USA wegen des Credit Crunchs und des Einbruchs der Immobilienpreise, und trotz des schwachen Dollars, eher schlechter als in Kontinentaleuropa. Die Verbraucher, die sonst eigentlich nicht unterzukriegen waren, sind zunehmend geschockt, wovon nicht weniger als 70 Prozent der Gesamtnachfrage betroffen ist. Die Unternehmensgewinne gehen seit vier Quartalen zurück und werden, wenn man realistisch ist, noch einmal um mindestens 10 Prozent sinken. Der Verfall der Aktienkurse wird also genauso weitergehen wie der Rückgang der Hauspreise. Wie soll es da zu den Kapitalzuflüssen kommen, die die Abwertung beenden könnten?

Was den Dollar außerdem schwach hält, ist der geringe Fortschritt beim Abbau des Leistungsbilanzdefizits. Es liegt immer noch bei 5 Prozent des nominalen BIP. Nicht nur das, die Explosion der Einfuhrpreise (im Juni 20,5 Prozent ggVj) geht weiter und wird zunächst einmal wieder größere Defizite mit sich bringen. Die Welt versinkt in einer Dollarflut. Etwas wird billig, wenn es zuviel davon gibt.

Nun muss ich zugeben, dass der Euro trotz dieser ziemlich zwingenden Argumente nicht unbedingt tatsächlich weiter gegenüber dem Dollar – und gegenüber anderen Währungen insgesamt – aufwerten wird. Was dagegen spricht, ist die gewaltige Aufwertung, die wir bereits erlebt haben. Ein paar Zahlen dazu:

  • – handelsgewogen (d.h. effektiv) hat der Euro seit seinem Tiefpunkt am 26. Oktober 2000 nominal um 42,6 Prozent aufgewertet, um 8 Prozent seit dem 10. August 2007, dem Beginn der Finanzkrise, und um 3,1 Prozent im Verlauf dieses Jahres (dabei sind die einzelnen Währungen von 22 Ländern gewichtet mit ihren Anteilen am Export und Import Eurolands berücksichtigt);
  • – handelsgewogen und bereinigt um Differenzen in den Inflationsraten bei den Verbraucherpreisen (das nennt man „real effektiv“) gab es bis Juni eine Aufwertung von +40 Prozent gegenüber Oktober 2000, von +7,4 Prozent seit August 2007, und von +3,4 Prozent gegenüber Dezember 2007. (Beim realen effektive Wechselkurs gibt es wegen der Inflationsraten nur Monatswerte);
  • – nach den Kaufkraftparitäten der OECD müsste der Euro heute 1,16 Dollar kosten.

Wie man es auch dreht, der Euro hat eine gewaltige Aufwertung hinter sich und ist kaufkraftmäßig völlig überbewertet. Amerika ist nicht mehr teuer und wird eine Invasion europäischer Käufer erleben. Haben Sie schon Ihr Haus in Florida oder Aspen? Trotzdem heißt das nicht, dass der Euro dadurch schon in naher Zukunft gegenüber dem Dollar an Wert verlieren wird. Die Verhältnisse können auf lange Sicht auch dadurch wieder ins Lot kommen, dass die amerikanische Inflation die europäische übertrifft. Danach sieht es zur Zeit aus. Es ist auch nicht unbedingt ausgemacht, dass die tatsächlichen Wechselkurse die Tendenz haben, um die Kaufkraftparitäten zu fluktuieren. Der Schweizer Franken beispielsweise ist gewissermaßen strukturell immer überbewertet. Ich wette also, dass die Aufwertung des Euro noch nicht zu Ende ist.