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Vermögenspreise sinken, Verbraucherpreise steigen – so kann es nicht weitergehen

 

Was ist denn nun wahrscheinlicher, dass sich die Inflation beschleunigt oder dass sie zurückgeht? Bis vor wenigen Wochen hatten praktisch alle wichtigen Notenbanken der Welt noch vor, die Zinsen zu erhöhen, mit der Ausnahme der neuseeländischen. Bei den aktuellen Inflationsraten kam es zu einer bösen Überraschung nach der anderen. Vor allem auf den vorgelagerten Stufen, den Einfuhrpreisen und den Erzeugerpreisen, gab es selbst in Ländern wie den USA und Großbritannien Zuwachsraten von bis zu 30 Prozent. Eine restriktivere Politik war daher angesagt. Aber: What a difference a month makes!

Im Augenblick gehen zumindest die Marktteilnehmer davon aus, dass wir es im OECD-Raum in den kommenden Jahren mit einer Kombination von sehr niedrigem Wirtschaftswachstum und sehr niedriger Inflation zu tun haben werden. Wie sonst lässt sich erklären, dass zehnjährige Staatsanleihen in Deutschland 4,16 Prozent, in den USA 3,85 Prozent und in Japan nur 1,45 Prozent rentieren? Wenn wir mal vorsichtig annehmen, dass die Prämie für die höhere Volatilität am langen Ende der Renditekurve hierzulande und in Amerika 30 Basispunkte, in Japan vielleicht 15 Basispunkte beträgt, bleiben für das Produkt aus mittelfristigen Wirtschaftswachstum und erwarteter Inflation, den beiden anderen Komponenten der Rendite von Anleihen bester Bonität, bei uns 3,86 Prozent, in den USA 3,55 Prozent und in Japan sogar nur 1,3 Prozent übrig. Nach einem sieht das ganz sicher nicht aus: nämlich, dass die Anleger Angst vor Inflation hätten. In den letzten Wochen sind die Inflationserwartungen für die nächsten zehn Jahre wieder auf etwas über 2 Prozent gesunken. Damit bleibt für die jährliche Wachstumsrate nur etwa 1 1/2 Prozent übrig, was vor allem für die USA einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit bedeutet, wenn man unterstellt, dass die Wachstumsrate des Produktionspotentials weiterhin bei 3 Prozent liegen wird. Aber auch hierzulande gäbe es wieder Probleme mit der Beschäftigung.

Die Anleger lassen sich nicht davon beeindrucken, dass die amerikanische Inflationsrate zur Zeit bei 5,6 Prozent liegt, die europäische bei 4,0 Prozent und die japanische bei 1,9 Prozent. Ich vermute, dass auch die Notenbanken eigentlich nur vorgeben, dass sie sich Sorgen um die Inflation machen. Es ist ja nicht so, dass sie die besseren Prognostiker wären und etwas wissen, was der Markt nicht weiß. Wenn man sich die Historie ihrer Vorhersagen ansieht, kommt man eher zu dem Schluss, dass sie besonders unfähig sind. Vor allem die Bank of England tut sich mit Fehlprognosen hervor. Rezessionen werden de facto von Notenbanken erst erkannt, wenn sie schon fast vorbei sind. Das hat natürlich auch etwas mit einer déformation professionelle zu tun, mit der Angst, dass sie sich zu früh zu Zinssenkungen verleiten lassen könnten.

Nicht, dass die Märkte immer recht hätten. Zurzeit erwarten sie aber, dass der Einbruch der Aktienkurse, der Rohstoffpreise und zunehmend auch der Immobilienpreise nicht ohne Folgen für Konjunktur und Inflation bleiben wird. Seit Ende vergangenen Jahres sind die wichtigsten Aktienindices zwischen 11,6 Prozent (S&P500) und 53,4 Prozent (Schanghai) gesunken. Beim Erdöl begann der scharfe Rückgang dagegen erst Anfang Juli (-24,0 Prozent, in Dollar), ebenso bei den meisten anderen Rohstoffen. Nickel kostet inzwischen 63,8 Prozent weniger als im Mai 2007. Bei den Hauspreisen ist die Entwicklung noch etwas differenzierter. Der Rückgang ist bislang in Spanien und den USA besonders prononciert, aber Großbritannien, Frankreich und Italien sind dichtauf. Die nächsten Kandidaten sind die Immobilienmärkte in Schwellenländern wie China und Russland, wo die Preisblasen bislang durch überreichliche Liquidität getrieben wurden, wo sich aber inzwischen ein Überangebot entwickelt hat, das jetzt zu rückläufigen Renditeerwartungen führt. Ein weiteres Omen für das Ende der globalen Hochkonjunktur ist der Verfall der Frachtraten im Seeverkehr – der Baltic Dry Index ist innerhalb weniger Monate um rund 30 Prozent gesunken.

Es spricht augenblicklich alles dafür, dass der Rückgang der Vermögenspreise die Rezessionsrisiken verschärft. Unternehmen müssen deutlich mehr für Eigenkapital bezahlen und die Haushalte fühlen sich ärmer und verlieren an Kreditwürdigkeit. Der vorangegangene Anstieg der Rohstoffpreise war wesentlich mitverantwortlich für das schwächere Wachstum des globalen BIP und ihr Rückgang könnte den Abschwung jetzt verlangsamen. Noch ist es jedoch nicht so weit. Sinkende Vermögens- und Rohstoffpreise sowie ein Wachstum der Weltwirtschaft von augenblicklich nur 2 1/2 Prozent – und nur einem halben Prozent im OECD-Bereich – werden dafür sorgen, dass die Inflationsraten bei den Verbraucherpreisen schon bald zurückgehen werden. Es hat in der Vergangenheit selten Konstellationen gegeben, die einen so eindeutigen Schluss erlaubten.

Dann ist die Welt auch wieder in Ordnung – so wie die Rohstoffpreise in einem Umfeld immer schwächeren globalen Wachstums nicht ständig steigen konnten, so kann auch die Inflation der Konsumentenpreise nicht auf Dauer zunehmen, wenn die Vermögenspreise so stark verfallen, wie das zuletzt der Fall war. Das Beispiel Japans zeigt, auf welch ein niedriges Niveau die Inflationsraten sinken können, wenn Asset Bubbles erst einmal geplatzt sind. Diesmal geht es nicht um ein einzelnes Land, sondern mehr oder weniger um die Weltwirtschaft insgesamt.