Am heutigen Dienstag gab es die erste offizielle Schätzung für die harmonisierte Verbraucherpreisinflation in Euroland im Dezember: im Vorjahresvergleich sind wir jetzt bei +1,6 Prozent angekommen. Ich habe mal vorsichtshalber ein Pluszeichen vor die Zahl gesetzt, weil es möglicherweise nicht mehr lange dauert, bis aus dem Plus ein Minus wird. Saisonbereinigt lag der Preisindex im Dezember um 0,7 Prozent unter dem Wert vom letzten Juni, woraus sich eine Verlaufsrate von –1,4 Prozent berechnet. Da ist das Minuszeichen bereits! Man kann es auch so sagen: Wenn der Trend der letzten sechs Monate anhält, werden wir im nächsten Juni im Vorjahresvergleich –1,4 Prozent erreichen. Das ist bisher aber noch keineswegs Konsens.
Dieser Rückgang des Preisniveaus ist natürlich zu einem großen Teil dem Einbruch der Rohstoffpreise und der Stärke des Euro seit letztem Sommer geschuldet. Da sich der Ölpreis in den letzten Wochen wieder von seinem Tief von fast 30 Dollar auf 50 Dollar erholt hat und der Euro erneut schwächelt, wirken die externen Effekte jetzt in die Gegenrichtung, so dass es mit dem Preisverfall jetzt erst mal ein Ende haben dürfte, man also die Deflation der vergangenen Monate nicht extrapolieren sollte. Der jüngste Anstieg der Bondrenditen zeigt, dass die Anleger die Deflationsstory fürs erste für weniger überzeugend halten.
Allerdings ist nicht zu erkennen, wo angesichts der Nachfrageschwäche echte inflationäre Impulse herkommen sollten. Die Auftragseingänge beim Verarbeitenden Gewerbe des Euroraums sind beispielsweise in den sechs Monaten bis Oktober mit einer Jahresrate von -26,1 Prozent geradezu eingebrochen, während die Neuzulassungen von PKWs im November um etwa ein Viertel unter ihren Vorjahreswerten lagen. Die Bauwirtschaft befindet sich ebenfalls im freien Fall – es gibt erfahrungsgemäß keine Inflation ohne einen boomenden oder zumindest kräftig expandierenden Immobilienmarkt.
Von nun an wird auch die Arbeitslosigkeit sehr stark ansteigen: Bislang haben die Unternehmen noch an ihren Arbeitskräften festgehalten, was sich in einem ungewöhnlich starken Rückgang der Produktivität gezeigt hat. Die immer dünneren Orderbücher erzwingen nunmehr drastische Maßnahmen, also Entlassungen im großen Stil. Deutschland war verglichen mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien fast eine Insel der Seligen, aber das ändert sich gerade dramatisch. Was das für die Löhne heißt, ist klar: Die Zeit rascher steigender Nominallöhne ist damit schon wieder beendet.
Im Rest der Welt sieht es eher noch trüber aus als im Euroland, vor allem weil das „Deleveraging“, also der forcierte Abbau von Schulden, eine viel größere Rolle spielt. Sieht man einmal von Spanien und Irland ab, hat es bei uns keine gefährlichen Immobilienblasen gegeben, durch deren Platzen große Teile der Bevölkerung jetzt finanziell unter Wasser sein könnten. Die Sparquote der Haushalte liegt in der Währungsunion immer noch bei respektablen 10 Prozent. Die Marktteilnehmer setzen augenblicklich darauf, dass die USA wegen der gewaltigen Konjunkturprogramme und der Rettungsaktionen für den Finanzsektor schon früher als das Euroland die konjunkturelle Wende schaffen werden. Das anvisierte Volumen des finanzpolitischen Maßnahmebündels ist, relativ zum BIP, etwa dreimal so groß wie das deutsche und das der übrigen europäischen Länder.
Hinzu kommt eine viel expansivere Geldpolitik. Nicht nur ist die Fed Funds-Rate, der Leitzins der US Notenbank, de facto bereits bei Null, auch das Volumen an Basisgeld, ablesbar an der Bilanzsumme des Federal Reserve Systems, vervielfacht sich gerade. Es gibt kein Halten was die Versorgung der amerikanischen Wirtschaft mit Liquidität angeht. Dagegen nehmen sich die 58 Prozent, um die sich die Verbindlichkeiten des Eurosystems seit November 2007 erhöht haben, fast bescheiden aus.
Ohne ausreichend Liquidität kann die Krise nicht überwunden werden, ob das aber was an den Problemen der Überschuldung und der Risikoscheu der Banken ändert, ist nicht ausgemacht. Noch gibt es keine Anzeichen, dass Unternehmen und Haushalte in Kürze wieder munter Geld ausgeben und neue Schulden machen könnten. Allein der Staat ist dazu in der Lage, und bis das zu wirken beginnt und in alle Bereiche der Wirtschaft ausstrahlt, wird noch einige Zeit ins Land gehen.
Ich muss immer wieder auf Japan verweisen: Da gab und gibt es auch Nullzinsen und gewaltige staatliche Budgetdefizite – in den neun Jahren 1997 bis 2005 im Durchschnitt von 7,2 Prozent des BIP! -, und dennoch hat das nichts daran geändert, dass der Deflator des japanischen BIP seit 1994 rückläufig war, dass also Deflation herrschte (vgl. den Economic Forecast der EU-Kommission vom Herbst 2008, S. 148 und 160). Dabei hatte Japan, als die Krise ausbrach, eine nationale Sparquote von fast 30 Prozent und einen beträchtlichen Überschuss in der Leistungsbilanz. Die Fundamentaldaten waren äußerst gesund.
Insgesamt ist das, was die Notenbanken und Finanzminister heutzutage zur Ankurbelung der Konjunktur tun wollen, gemessen an dem, was wir in Japan gesehen haben, nicht sonderlich expansiv. Ich vermute, dass wir auf beiden Seiten des Atlantik mit steigender Wahrscheinlichkeit auf eine Deflation zusteuern. Nichts spricht für mich gegen Anlagen in lang laufenden Bundesanleihen – es ist schon etwas wert, wenn man weiß, dass man auch in zwanzig Jahren noch mit einem festen Einkommen von knapp 4 Prozent auf das eingesetzte Kapital rechnen kann.