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EZB will notfalls weiter senken

 

Die Europäische Zentralbank hat ihren Leitzins, den Hauptrefinanzierungssatz, wie erwartet bei 1% belassen. Aber wer hätte das gedacht: auf der Pressekonferenz der EZB am Donnerstag hat Jean-Claude Trichet von sich aus, ohne dass ihn ein Journalist dazu gedrängt hätte, noch einmal ausdrücklich erklärt, dass es im EZB Rat keine Entscheidung gegeben hätte, dass das Zinsniveau seinen tiefsten Punkt erreicht habe. Es klang ein bisschen wie: Die Lage ist ernst, die Inflation liegt deutlich unter unserer Zielmarke von knapp unter 2%, und wir werden alles tun, damit wir da wieder hin kommen.

Die schwedische Notenbank ist am Donnerstag schon mal vorangegangen und hat ihren Zins von 0,5% auf 0,25% gesenkt und ist damit de facto bei Null angekommen. Ich vermute, dass auch die EZB lieber an der Zinsschraube dreht als sich auf das vollkommen unbekannte Territorium der mengenmäßigen Lockerung, des „quantitative easing“ zu begeben. Da drohen nämlich Verluste im Falle, dass die angekauften Rentenpapiere nicht-staatlicher Emittenten deutlich an Wert verlieren. Das kann bei diesen „covered bonds“, also Pfandbriefen angesichts der katastrophalen Lage etwa des spanischen Immobilienmarkts, demnächst vielleicht auch des französischen, durchaus geschehen. Wer übernimmt dann diese Verluste? Steht der deutsche Steuerzahler indirekt für die Folgeschäden der spanischen Immobilienblase ein? Reichen die Rettungsaktionen für Opel, Quelle und die diversen Banken nicht schon? Die EZB könnte sich unbeliebt machen.

Insofern ist eine weitere Zinssenkung, oder vielleicht auch mehrere, aus politischer Sicht plausibler als ein baldige Aufstockung der Volumina bei den „unkonventionellen Maßnahmen“.

Was würde dann übrigens mit der Einlagenfazilität geschehen, die es den Banken erlaubt Überschussreserven verzinst bei der EZB zu parken, wenn der Hauptrefinanzierungssatz demnächst 0,25% erreichen sollte? Die Differenz zwischen dem Satz der Einlagenfazilität von 0,25% und der Spitzenrefinanzierungsfazilität von 1,75% beträgt zur Zeit 150 Basispunkte oder 1,5 Prozentpunkte. In der Vergangenheit waren es auch schon mal 200 Basispunkte.

Da die Kreditvergabe der Banken an Nicht-finanzielle Unternehmen und Haushalte im Euroraum etwa seit dem dritten Quartal saisonbereinigt stockt, wird die EZB allmählich nervös. Die Banken haben Geld in Hülle und Fülle, aber sie bleiben darauf sitzen, weil ihnen das Verleihen in dieser tiefen Rezession zu riskant erscheint oder weil sie wegen ihrer Abschreibungen auf die Schrottpapiere, auch „toxic waste“ genannt, ihre Bilanz verkürzen möchten: Durch die Verluste aus den Abschreibungen vermindert sich ihr Eigenkapital, um die gewünschten oder geforderten Relationen zwischen (risikogewogenen) Aktiva und Eigenkapital wieder herzustellen, müssen sie die Aktivseite der Bilanz eindampfen. Da hilft auch noch so viel billige Liquidität von der EZB wenig. Irgendwann wird Axel Weber seine Drohung wahrmachen müssen und unter Umgehung des Bankensektors Kredite direkt an die Privatwirtschaft vergeben. Das ist allerdings so lange noch nicht relevant, wie es noch Spielraum bei den Zinsen gibt.

Eine Option für die EZB besteht sicher darin, den Einlagensatz in den negativen Bereich zu drücken. Das wäre dann der Einstieg in eine Welt negativer Notenbankzinsen, über die ich mich vor kurzem hier im Herdentrieb schon mal ausgelassen hatte.

Dass die Inflationsrate im Juni im Euroland „nur“ -0,1% (ggVj) betrug, ist eigentlich erstaunlich. Wäre der Ölpreis auf dem Niveau von Dezember geblieben und hätte sich nicht seitdem mehr als verdoppelt, läge die Inflationsrate schon längst bei -0,5%. Dahin gehen wir aber. Die Öltanks quellen über, überall steigt die Arbeitslosigkeit steil an, die Löhne kommen zunehmend unter Druck, und die ungenutzten Kapazitäten sind so groß wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Der Auslastungsgrad ist die wichtigste Variable zur Erklärung der Preisentwicklung.

Wenn jetzt noch hinzukommt, dass der Euro gegenüber dem Dollar deutlich aufwerten sollte, könnten wir bald japanische Verhältnisse haben. Die USA könnten angesichts der nach wie vor stark steigenden Arbeitslosigkeit ein Interesse an einem schwachen Dollar haben. Auch nach der angeblichen Besserung der Lage am Arbeitsmarkt ging auch im Juni die Anzahl der abhängig Beschäftigten (die „payrolls“) kräftig zurück. Um Vollbeschäftigung zu halten, brauchen die USA jeden Monat etwa 150.000 neue Jobs – es gingen aber stattdessen erneut 467.000 verloren, eine Differenz von 617.000 – in einem Monat. Von Juni 2008 bis Juni 2009 betrug der Rückgang 5,66 Mio, oder 4,1%. Wenn man weiß, wie wichtig Vollbeschäftigung für die Amerikaner ist, einschließlich der Notenbank, kann man sich vorstellen, welche wirtschaftspolitischen Szenarien durchgespielt werden dürften. Die Briten haben es bereits vorgemacht, wie die Schornsteine durch eine starke Abwertung am Rauchen gehalten werden können. Wenn es zu einer kompetitiven Abwertung des Dollar kommen sollte, einem Abwertungswettlauf oder beggar-thy-neighbor-Politik, kann die Inflationsrate in Nullkommanichts bei -1% landen.

Ich vermute, dass die Rentenmärkte angesichts dieser Entwicklungen freundlich bleiben werden. Die Renditen sind im Zehnjahresbereich seit Anfang Juni bereits um etwa 40 Basispunkte auf jetzt 3,32% gesunken. Da die Refinanzierungskosten für die Banken so niedrig sind und weiter sinken werden, ergibt sich eine starke Nachfrage nach attraktiven und auf Jahre hinaus festen Renditen. Wenn die EZB dann doch noch mal ihre Covered Bond-Fazilität aufstocken sollte, weil nichts so richtig Schwung in die Bude der Kreditvergabe bringen will, gäbe es von daher ein zusätzliches Motiv, Festverzinsliche zu kaufen.