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A Tribute to Das Kapital

 

Meistens sind mir meine früheren Kollegen Jörg Berens und Matthias Pindter von der FTD viel zu österreichisch, aber in jedem Fall ist ihre Kolumne „Das Kapital“ eine der klügsten in der deutschen Presse. Und neulich haben sie den Nagel so etwas von auf den Kopf getroffen. Ich zitiere und genieße:

„Im Leben kommt es bekanntlich auf die richtige Balance an. Das betrifft die Ernährung ebenso wie die Arbeitsbelastung, die Kindererziehung oder die Finanzplanung. Doch ähnlich wie im privaten kommt es natürlich auch im öffentlichen Leben auf das richtige Gleichgewicht an. Idealerweise sollte die Politik ein Programm verfolgen, das die Interessen aller gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt. Bloß kann von Ausgewogenheit inzwischen eben fast keine Rede mehr sein.

Im Gegenteil scheinen die politischen Lager immer radikaler. Auf der einen Seite des Spektrums stehen jene, die doch glatt eine neosozialistische Konterrevolution wähnen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: In Deutschland war der Lohnanteil am Volkseinkommen im vierten Quartal 2009 um 5,6 Prozentpunkte niedriger als Ende 1999. Die Unternehmensteuersätze haben sich seit den 90ern fast halbiert. Die Medien sind voll von Berichten über Hartz IV, Mini- oder Ein-Euro-Jobs. Und von Firmenvorständen, die Millionen verdienen. Auf den Straßen sieht man alte Frauen, die in Mülltonnen wühlen, um ein paar Pfandflaschen zu ergattern.

Dennoch wollen die Marktradikalen eine Fortsetzung der Entwicklungen der vergangenen Jahre: Unternehmen sollen nicht ihre Kapitalkosten verdienen, sondern das Doppelte davon. Und wie gehabt sollen sie ihre Überrenditen nicht für Investitionen verwenden, sondern für Ausschüttungen oder Übernahmen. Schon gar nicht sollen die Firmen oder die Spitzenverdiener für dringend benötigte Staatsausgaben in Bereichen wie Bildung oder Kultur herangezogen werden. Lieber nimmt man eine Spaltung der Gesellschaft in Kauf – und gräbt sich nebenbei selbst das Wasser ab. Denn nicht nur soll die Zahl der 16- bis 25-Jährigen bis 2020 um rund 15 Prozent sinken, nein, der Nachwuchs wird vermutlich auch ziemlich dürftig ausgebildet sein.“