Als ich hier vor einiger Zeit kurz auf Hans-Werner Sinns meines Erachtens nach unsinniger These herumritt, Konsum sei schädlich für das Wachstum, weil es in Wahrheit in Deutschland an Investitionen mangele, wurde mir eine unzulässige Vereinfachung der Sinnschen Gedanken vorgeworfen. Der meine es doch nicht so, das sei doch völlig klar.
Philip Plickerts Leitartikel heute in der FAZ zeigt dagegen, dass wir hier an einem ganz zentralen Punkt angelangt sind. Plickert schreibt über den Exportboom und kommt nach einiger Zeit zu folgender Überlegung
Deutschland hat seit einigen Jahren hohen Außenhandelsüberschüsse. Das heißt, es exportiert weit mehr Waren als es importiert. Oberflächlich betrachtet erscheinen die hohen Leistungsbilanzsaldi als Zeichen von Stärke. Tatsächlich können sie aber auch anders interpretiert werden, als Warnsignal.
Bis hierhin sind wir uns noch alle einig: Dauerhafte und exzessive Exportüberschüsse sind ein Problem. Aber wie lösen wir dieses Problem? Durch mehr Massenkaufkraft, zum Beispiel durch höhere Löhne, sagen bekanntlich die Keynesianer.
Aber darauf will Plickert natürlich nicht hinaus.
Was dringend fehlt, ist eine Entfesselung des Dienstleistungssektors. (…) Um die Binnenwirtschaft zu beleben, taugen die alten keynesianischen Rezepte nicht. Es kommt darauf an, durch mehr Wettbewerb die ungenutzten Potenziale der Volkswirtschaft zu mobilisieren.
Genau so argumentiert Sinn. Und das ist zunächst auch nachvollziehbar. Die Investitionen sind Teil der Binnennachfrage, denn selbstverständlich gilt Y = C+I+G + (X-M) und wenn wir den Staat und den Rest der Welt weglassen, Y = C + I.
Daraus folgt: Wenn I groß genug ist, brauchen wir nicht mehr C. Und die Sinns dieser Welt glauben, dass sich I autonom durch strukturelle Reformen erhöhen lässt. Das bedeutet: Den Markt liberalisieren und im Zweifel runter mit den Löhnen und Steuern um die Investitionsbedingungen zu verbessern.
Die Frage ist nur: Was treibt die Investitionen an, wenn nicht die Aussicht auf Umsatz, also die Nachfrage? Und der Umsatz nicht aus dem Ausland kommen soll (denn wir wollen ja weg von den Überschüssen) und auch nicht vom heimischen Konsum – woher dann? Was konsumiert wird, muss erst erwirtschaftet werden, wird an dieser Stelle eingewendet – aber nur wenn konsumiert wird, wird überhaupt erwirtschaftet.
Letztlich argumentieren Sinn & Co. mit dem Sayschen Theorem, das sich bekanntermaßen als nicht ganz unproblematisch erwiesen hat. Man muss es vor dem Hintergrund seiner historischen Entstehungsbedingungen begreifen. Als Jean-Baptiste Say die These aufstellte, das Angebot schaffe sich seine Nachfrage schon selbst, spielte der Massenkonsum keine Rolle. Die Arbeiter waren arm und die Kapitalisten gaben das Geld aus, dass sie durch ihre Aktivitäten verdienten. Wenn sie also das Angebot erhöhten (und damit viel verdienten) gaben sie auch viel aus.
Die heutigen Produktionskapazitäten können durch den Konsum der Kapitaleigentümer nicht mehr ausgelastet werden, ohne die Masse läuft nichts. Und deren Nachfrage steigt nur, wenn mehr Lohn gezahlt wird. Es gibt keinen Automatismus mehr – aber dafür eine ganz reale Unterkonsumptionsgefahr.
Wir sehen: Die Frage, ob Konsum oder Investitionen die Schlüsselrolle spielen sollen, ist keineswegs nebensächlich sondern einer der wichtigsten überhaupt. Um es zuzuspitzen: Wer an I glaubt, will den Reichen mehr Geld geben, wer an C glaubt, den Armen.