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Hat Merkel nun gewonnen oder nicht?

 

Wer heute die Berichterstattung der großen Zeitungen zum EU-Gipfel liest, der muss den Eindruck gewinnen, da gehe es um unterschiedliche Veranstaltungen. Die FAZ interpretiert den Kompromiss von Brüssel als weiteren Schritt in Richtung Transferunion, weil durch die Einführung eines Krisenmechanismus der bailout institutionalisiert werde. Die entscheidende Passage bei Holger Steltzner:

„Mit einem rechtlichen Kniff, durch den eine aufwendige Änderung der EU-Verträge nicht mehr nötig sein soll, stimmte Frau Merkel die EU-Partner gnädig. Der eindeutig formulierte Artikel 125 der EU-Verträge, der die Haftung eines Landes für die Schulden eines anderen („Bailout“) verbietet, wird nicht angetastet. Dafür soll der Artikel 122 überdehnt werden.“

Dagegen feiert Martin Winter in der SZ einen Sieg deutscher Prinzipien über europäischen Schlendrian:

„Europa beugt sich der Kanzlerin – und das ist gut so. Denn die Methoden, mit denen Angela Merkel die anderen EU-Länder auf ihre Linie zwang, mögen fragwürdig gewesen sein – rechtlich wie politisch aber wählte sie den einzig richtigen Weg.“

Ich war selbst vor Ort und glaube, dass die FAZ klarer herausgearbeitet hat, was eigentlich in Brüssel geschehen ist, obwohl ich die Bewertung nicht teile.

Nur zur Erinnerung. Die Bundesregierung wollte ursprünglich Sünderstaaten aus der EU werfen, ihnen das Stimmrecht entziehen und den Rettungsschirm nach drei Jahren auslaufen lassen. Es wird jetzt weder einen Zwangsausschluss noch einen Stimmrechtsentzug geben und der Rettungsschirm wird – angereichert durch eine Haircut-Komponente – fortbestehen.

Um das in der Heimat verkaufen zu können, hat Merkel die Sache mit der Vertragsänderung so aufgeblasen, dass die nun als Erfolg verbucht werden konnte. Deutschland hat auf der formalen Ebene gewonnen (der Vertrag wird geändert), während inhaltlich betrachtet Konzessionen gemacht wurden (der Krisenmechanismus bleibt bestehen). Die Details müssen ausgearbeitet werden, doch ich gehe davon aus, dass es ohne eine zumindest temporäre staatliche Zwischenfinanzierung durch die anderen EU-Mitglieder im Pleitefall nicht gehen wird. Und bailout ist bailout, ob er nun im Vertrag steht oder nicht.

Aus meiner Sicht hat die Kanzlerin inhaltlich genau richtig gehandelt – die Währungsunion braucht einen Mechanismus zum Umgang mit überschuldeten Staaten, auch wenn das zumindest de facto gegen die Verträge verstößt (ob auch de jure, das wird Karlsruhe entscheiden). Merkel denkt aber, sie müsse für das heimische Publikum diese Vertrags-Show und die Nummer mit der Eisernen Lady abziehen, weil die Deutschen keine Lust auf Europa haben und das konservative Publikum nicht hören will, dass einer ihrer europapolitischen Grundsätze – das unbedingte Verbot gegenseitiger Hilfe – überholt ist.

Kurz: Angela Merkel handelt progressiv, singt dabei aber weiter die alten ordnungspolitischen Lieder – ein Muster, das auch in der Debatte um die Konjunkturprogramme zu beobachten war, als Deutschland eines der größten Ausgabenpakete der Welt auflegte und zugleich Sparsamkeit predigte.

Das mag ein legitimes Mittel sein, um in einem ideologisch so verbohrten Land wie dem hiesigen ein Ziel zu erreichen, das nicht schon bei Ludwig Erhard steht. Dumm allerdings, wenn der Trick durchschaut wird – und dann auch noch von den gewitzten Kollegen der FAZ, die ohnehin am allerliebsten die Mark zurück hätten. Vielleicht ist es besser, mit offenem Visier kämpfen.