Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Mit Schwung ins neue Jahr

 

Am Montag gab es eine gute und eine schlechte Nachricht für die Konjunkturgurus: Der Außenhandelsüberschuss war im September wieder sehr stark gestiegen (nicht alle dürften das allerdings für toll halten), aber gleichzeitig kam es zu einem deutlichen Rückgang der Industrieproduktion. Jedenfalls liegen jetzt die wichtigsten Zahlen vor, mit denen sich die Zuwachsrate des BIP im dritten Quartal schätzen lässt. Am kommenden Freitag gibt es die offiziellen Ergebnisse aus Wiesbaden. Zusammen mit Uwe Richter habe ich mal nachgerechnet, was denn herauskommen könnte. Es sieht auf der Basis saisonbereinigter Zahlen im Vorquartalsvergleich real nach einem Plus zwischen 0,8 und 1,4 Prozent aus. Das ist zwar deutlich weniger als die 2,2 Prozent vom zweiten Quartal, aber insgesamt doch sehr gut.

Im Vergleich zum dritten Quartal des Vorjahres wäre das BIP demnach irgendwo zwischen 3,8 und 4,4 Prozent höher gewesen. Wenn dann eintritt, was das Berliner DIW für das vierte Quartal erwartet, nämlich im Vorquartalsvergleich eine Zuwachsrate von 0,7 Prozent, ergibt sich für das Gesamtjahr 2010 eine Zuwachsrate von 3,4 bis 3,7 Prozent, und der sogenannte Überhang betrüge mindestens 1,5 Prozent, will sagen: auch wenn das BIP 2011 gar nicht mehr weiter steigt, wäre es im Jahresdurchschnitt trotzdem um mindestens 1,5 Prozent höher als in diesem Jahr. Der Internationale Währungsfonds hat gerade eine Zuwachsrate von 2,0 Prozent prognostiziert. Diese Vorgabe müsste zu schlagen sein.

Was auch immer für das dritte Quartal herauskommen mag, die sogenannte Outputlücke schrumpft auf jeden Fall – bleibt allerdings noch groß. Unter der Annahme, dass das deutsche Produktionspotential weiterhin mit einer Rate von nur 0,8 Prozent pro Jahr wächst, läge die Differenz zwischen aktuellem und möglichem (inflationsfreiem) Output im letzten Quartal des Jahres bei 3,4 Prozent, wenn die BIP-Zuwachsrate im vergangenen Quartal „nur“ 0,8 Prozent betrug – und 2,8 Prozent, wenn es 1,4 Prozent waren. Noch so ein Jahr wie dieses und der Auslastungsgrad wäre so hoch wie Anfang 2008, dem zyklischen Höhepunkt.

Dabei ist zu vermuten, dass sich das Potentialwachstum, auf das es letztlich für unseren Wohlstand ankommt, doch endlich wieder mal beschleunigen wird, dass also eine Wachstumsrate von mickrigen 0,8 Prozent p.a. bald der Vergangenheit angehören könnte. Wir schätzen, dass die Ausrüstungsinvestitionen im dritten Quartal in Folge zügig gestiegen sind – vorsichtig gerechnet um 3 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal und damit im Vorjahresvergleich um 10,6 Prozent. Die Produktion im Maschinenbau, die dafür einen guten Anhaltspunkt liefert, hat sogar um 4,9 und 14,5 Prozent zugelegt.

Grafik: Ausrüstungsinvestitionen im Zyklus

Ich gehe auch davon aus, dass der private Verbrauch ähnlich wie im zweiten Quartal um etwa 0,6 Prozent zugenommen hat: Die Beschäftigung steigt seit einigen Quartalen mit einer annualisierten Rate von nicht weniger als 1,2 Prozent und hat den Stand von vor der Krise bereits wieder erreicht, und ich sehe auch, dass die realen Einzelhandelsumsätze im Juli und August um ein Prozent über dem Durchschnitt vom zweiten Quartal lagen. Das lässt einen Wachstumsbeitrag von 0,3 Prozentpunkten erwarten. Es könnte auch ein bisschen mehr herauskommen.

Der größte Wachstumsbeitrag kam im vergangenen Quartal vermutlich wieder einmal vom Außenbeitrag – er betrug schätzungsweise, wie schon im Quartal zuvor, 0,8 Prozentpunkte. Der Dank geht an die dynamischen asiatischen Schwellenländer, die die USA als Exportmarkt inzwischen weit hinter sich gelassen haben (die Warenausfuhren nach Asien übertrafen die nach Amerika zuletzt um 120 Prozent). Trotz des scharfen Anstiegs des Handelsüberschusses ist Deutschland für die europäischen Nachbarländer inzwischen eine richtige Konjunkturlokomotive: Die Wareneinfuhren aus der Währungsunion dürften im dritten Quartal nominal um 15 Prozent über ihrem Vorjahreswert gelegen haben.

Grafik: Industrieproduktion und BIP

Auf der sogenannten Entstehungsseite des Sozialprodukts (dem Spiegelbild der Verwendungsseite) kam der stärkste Schub von der Industrieproduktion, die noch einmal um 1,7 Prozent expandierte, was einem Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozentpunkten entspricht. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Dienstleistungsbereiche der Wirtschaft zuletzt an Dynamik verloren haben, so dass auch aus diesem Blickwinkel unsere geschätzte BIP-Zuwachsrate von mindestens 0,8 Prozent gut abgesichert ist.

Grafik: Auftragseingang und Industrieproduktion - Sept. 2010

Zum Schluss noch ein Wort zu der schlechten Nachricht des Tages: Die Industrieproduktion ist von August auf September um 0,9 Prozent gesunken (daher ist sie im dritten Quartal „nur“ um 1,7 Prozent höher gewesen als im zweiten). Überrascht hat mich das nicht sonderlich, denn die Auftragseingänge, die es bereits am Freitag gab, waren gegenüber August real sogar um 4,0 Prozent rückläufig (die beiden Zeitreihen sind lose korreliert). Ich vermute auch, dass die Oktoberzahlen ebenfalls nicht so stark sein werden: Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitlosen war nämlich im letzten Monat nur noch um 3.000 gesunken, nach minus 22.000 im Durchschnitt der vorangegangenen 15 Monate. Sehe ich mir an, wie optimistisch die Unternehmen sind, kann ich noch nicht an eine Trendwende zum Schlechteren glauben. Der Euro ist noch unterhalb der Marke, an der es aus Wettbewerbsgründen kritisch wird, und das globale BIP nimmt zur Zeit real mit einer Verlaufsrate von 2,6 Prozent (mit aktuellen Wechselkursen gerechnet) bis 3,6 Prozent (in Kaufkraftparitäten) zu. Das ist zwar etwas langsamer als in der ersten Jahreshälfte, aus der Sicht deutscher Exporteure aber immer noch mehr als ausreichend. Der Schwerpunkt des Wachstums liegt ja auf Industrieproduktion und Investitionen, also den Bereichen, in denen deutsche Exportgüter besonders gefragt sind.