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Anlagestrategie in Zeiten extrem niedriger Bondrenditen

 

Am vergangenen Freitag war die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe auf unter drei Prozent gefallen und liegt jetzt bei 3,03 Prozent, nachdem sie von ihrem historischen Tiefststand Ende August 2010 von 2,12 Prozent bis zum 11. April dieses Jahres zügig auf 3,49 Prozent gestiegen war. Für viele sah dieser Anstieg wie die längst überfällige Korrektur der Renditen aus: Schließlich hatten die Notenbanken, einschließlich der EZB, so viel Geld in die Wirtschaft gepumpt wie seit Menschengedenken nicht mehr, die Weltkonjunktur befand sich offenbar auf dem Weg in Richtung eines sich selbst tragenden Aufschwungs, die Rohstoffpreise und in ihrem Fahrwasser auch die Inflationsraten der Verbraucherpreise stiegen sehr stark, von Deflation war keine Rede mehr, alle Frühindikatoren zeigten nach oben und die meisten Zentralbanken waren dabei, die Zinsen zu erhöhen. Nur die amerikanische und die japanische Notenbank waren sich ihrer Sache noch nicht sicher und signalisierten, dass sie sich vorläufig nicht bewegen wollten.

Aber sonst sprach eigentlich alles gegen den Kauf von Renten, sie waren daher die Verlierer der Stunde. Die 2,12 Prozent vom Spätsommer waren aus Sicht der Anleger geradezu lächerlich niedrig. Das sah ja schon nach japanischen Verhältnissen aus, obwohl die Lage hierzulande vollkommen anders war.

Nun, seit dem besagten 11. April befinden sich die Renditen wieder im Sinkflug. Alle, die auf weiter steigende langfristige Zinsen gesetzt und Renten leerverkauft hatten, mussten herbe Verluste hinnehmen. Der prominenteste Verlierer war Bill Gross, der Chef von PIMCO, der amerikanischen Allianztochter, die Hunderte von Milliarden Euros an Bonds verwaltet. Um die Verluste ins rechte Licht zu rücken: Auch ein relativ heftiger Renditenrückgang von rund 50 Basispunkten, also einem halben Prozentpunkt, erhöht den Marktwert eines Portefeuilles an Zehnjährigen um etwa 4 Prozent. Wer leerverkauft hat, verliert so viel. Die Anleger sind vom Aktienmarkt natürlich ganz andere Bewegungen gewohnt. Trotzdem, wer an Renten „short“ war, hat innerhalb dieser Zeit mehr an Geld verloren, als er in einem ganzen Jahr durch die laufende Verzinsung verdienen kann. Heikel und teuer war es vor allem für diejenigen, die mit Hebeln, in der Regel dem Verkauf von Bond-Futures, gearbeitet hatten.

Die Frage ist jetzt, ob die Renditen noch einmal ihr altes Tief von etwas über zwei Prozent erreichen werden, oder ob wir es lediglich mit einer normalen Korrektur um einen nach wie vor ansteigenden Trend zu tun haben. Ist es in den letzten Wochen weniger wahrscheinlich geworden, dass wir uns in einem klassischen Aufschwung befinden, in dessen Verlauf die Kapazitätsauslastung zunimmt, die Arbeitslosigkeit zurückgeht, die Löhne kräftig steigen und es den Unternehmen leicht fällt, die Preise zu erhöhen? Kann sich das Bild von der Konjunktur in Deutschland und der Welt in kaum zwei Monaten so geändert haben, dass Inflation auf einmal kein Thema mehr ist?

Ich glaube, dass Inflation tatsächlich keine Sorgen bereiten wird. Ich hatte ohnehin meine Zweifel, dass der globale Wirtschaftsaufschwung seinem üblichen Muster folgen würde. Vor allem ist mir schleierhaft, wo denn die Inflation herkommen sollte.

Zentralbankgekdmenge - EZB und Fed

Der Verweis auf die Explosion der Zentralbankgeldmenge (siehe Schaubild) verfängt nicht, weil der mechanische Zusammenhang zwischen ihr, den Geldmengenaggregaten M1 bis M3, der Kreditvergabe an den privaten Sektor und der Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts alles andere als stabil ist. Im Durchschnitt der Monate Februar bis April 2011 übertraf die Kreditvergabe im Euroraum ihren Vorjahresstand um 2,5 Prozent, was inflationsbereinigt einer Stagnation gleichkam. Die EZB druckt Geld, aber keiner will es haben.

Um noch einmal auf Japan zurückzukommen, ein gewaltiges Angebot an Geld seitens der Zentralbank kann durchaus einhergehen mit sinkenden Preisen, also Deflation. Das hat es dort jahrelang gegeben. Wenn es nämlich das vorrangige Bestreben von Haushalten und Unternehmen ist, ihre Schulden abzubauen, helfen auch keine noch so günstigen Kreditangebote. Während des Booms in den achtziger Jahren wurden mit Schulden Vermögenswerte, sprich Aktien, Rohstoffe oder Immobilien gekauft; als deren Kurse und Preise dann einbrachen, waren die Schuldner auf einmal finanziell in größter Not und gezwungen, so wenig Geld wie nur möglich auszugeben. Nur so konnten sie ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen.

Mit so etwas haben wir es heute in weiten Teilen der Welt zu tun. In den USA beispielsweise sinken die Immobilienpreise, inzwischen seit Mitte 2006 (um 33 Prozent), zuletzt sogar beschleunigt, weil ein Überangebot an Objekten auf die Preise drückt, vor allem wegen einer Welle von Zwangsversteigerungen. Ähnliches ist in Spanien im Gange, Großbritannien ist ein anderer Kandidat, ebenso China, Hongkong oder Australien; und Japan hat in dieser Hinsicht noch immer nicht die Kurve bekommen. Ich rede hier über eine Gruppe von Ländern, auf die fast die Hälfte des globalen Sozialprodukts entfällt. Die Konsumnachfrage, die vor allem in den angelsächsischen Ländern traditionell der Motor der Gesamtnachfrage ist, dürfte daher lahmer ausfallen als gewohnt.

Ein weiterer restriktiver Effekt rührt daher, dass die Arbeitslosigkeit global weiterhin sehr hoch ist. Es gibt in den sich rasch industrialisierenden Schwellenländern immer noch eine Reservearmee von unterbeschäftigten Arbeitern, vielfach vom Lande, die dort die Lohninflation, genauer: den Anstieg der Lohnstückkosten, trotz Hochkonjunktur, niedrig hält. Da der Welthandel seit Jahrzehnten etwa 1,8 Mal rascher zunimmt als das globale Sozialprodukt, intensiviert sich die internationale Arbeitsteilung weiterhin mit großen Schritten, mit der Folge, dass die jungen Bauernsöhne aus Sechuan oder Vietnam inzwischen die deutschen und amerikanischen Löhne mitbestimmen. Steigen die deutschen Löhne aus Unternehmersicht zu rasch, droht eine Produktionsverlagerung. Das ist meiner Ansicht nach der überzeugendste Grund für die schwache Verhandlungsposition und die niedrigen Lohnsteigerungen in den reichen Industrieländern. Alle Arbeiter und Angestellten, die direkt oder indirekt dem ausländischen Wettbewerb ausgesetzt und nicht ungewöhnlich gut qualifiziert sind, befinden sich in dieser Lage. Ohne Lohninflation wird sich aber kaum eine neue Inflationsspirale nach dem Muster der siebziger Jahre entwickeln.

Der Rohstoffboom hat natürlich, wie erwähnt, die Inflation für die Verbraucher kräftig in die Höhe getrieben. Wenn die Preise für Öl, Metalle und Nahrungsmittel plötzlich im Durchschnitt um 40 Prozent steigen, bleibt das nicht ohne Folgen. So schnell lassen sich die Verbrauchsgewohnheiten gar nicht anpassen, abgesehen davon, dass es vielfach überhaupt nicht möglich ist. In den reichen Ländern ist daher die „headline“-Inflation zwischen 2009 und 2011 nach den Berechnungen des Internationalen Währungsfonds von 0,1 Prozent auf 2,2 Prozent gestiegen.

Auslöser für die Hausse der Rohstoffpreise war der nahezu ungebrochene Wirtschaftsboom in den Schwellenländern, wo es selbst im „Rezessionsjahr“ 2009 zu einem Anstieg des realen Sozialprodukts (von 2,7 Prozent) gekommen war, gefolgt von einer Zuwachsrate von 7,3 Prozent im Jahr 2010.

Im Grunde war es fast sensationell, wie schwach die Preisexplosion auf den vorgelagerten Stufen bisher auf die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate in den Industrieländern durchschlug: In Deutschland lag der Preisindex des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal lediglich um 0,4 Prozent über seinem Vorjahreswert, und um 1,3 Prozent über dem Stand vom ersten Quartal 2009. Es fällt offenbar sehr schwer, Kosten zu überwälzen! Der Verbraucherpreisindex ohne Energie war in den zwölf Monaten bis April auch nur um 1,2 Prozent gestiegen. Da die Preisindices für Rohstoffe inzwischen sinken, ist nun wieder mit rückläufigen Inflationsraten auf der Haushaltsebene zu rechnen.

Verbraucherpreisinflation in Deutschland

Das wird auch die Inflationserwartungen reduzieren, vermutlich die wichtigste Determinante der Anleiherenditen. Sie waren dem Anstieg der Verbraucherpreisinflation bis vor einigen Monaten gefolgt, befinden sich aber jetzt wieder auf dem Rückzug. Wenn ich den inflationsgeschützten Bundesanleihen glauben darf, erwarten die Marktteilnehmer heute für die nächsten zehn Jahre im Durchschnitt eine Inflationsrate von 2,1 Prozent; die analoge Zahl für die USA lautet 2,3 Prozent; in Japan rechnen die Anleger nach wie vor mit Deflation (-0,3 Prozent).

Nominale und reale Renditen 10-jähriger Bundesanleihen

Wohin also mit dem Geld, wenn ich recht habe mit meiner Behauptung, dass die Inflation eher sinken wird als steigen? Was ist wirklich noch billig?

Auf den ersten Blick sehen Aktien attraktiv aus, vor allem auch deutsche. Die Einkommensverteilung verschiebt sich für’s Erste weiter in Richtung Gewinne, da das Produkt aus Produktivität und Outputpreisen zur Zeit stärker steigt als die wichtigste Kostenkomponente: die Löhne. Das ist typisch für die Frühphase eines Aufschwungs. Der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am Volkseinkommen nähert sich mit großen Schritten den Rekordwerten von 2007 (rund 36 Prozent). Da der Aufschwung auf recht soliden Beinen steht und nicht mehr nur vom Außenhandel abhängt, sind die Risiken überschaubar. Erfreulich ist, dass die realen Ausrüstungsinvestitionen im ersten Quartal um 17,5 Prozent über ihrem Vorjahreswert lagen – das Produktionspotential, also die Angebotsseite der Wirtschaft, nimmt endlich wieder kräftiger zu. Allerdings sind die Investitionen immer noch etwa sieben Prozent niedriger als im Konjunkturhoch von 2007/08. Auch die privaten Konsumausgaben sind endlich angesprungen, vor allem wohl, weil sich die Lage am Arbeitsmarkt zügig verbessert: Die Löhne steigen zwar nur moderat, die Beschäftigung aber nimmt so kräftig zu wie seit Jahrzehnten nicht mehr (im März +1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Deutschland ist einer der Hauptnutznießer des Wirtschaftsbooms in den Schwellenländern.

Dax und Industrieproduktion

Vielleicht bin ich zu optimistisch, was die Risiken angeht. Wenn es demnächst zu einem Schuldenschnitt in Griechenland kommt, wonach es angesichts der kaum erfüllbaren Auflagen der potenziellen Kreditgeber immer mehr aussieht, sind ein Flächenbrand und eine neue globale Rezession nicht ausgeschlossen. Ich kann nur hoffen, dass es gelingt, den Schaden einzugrenzen. Wer daran nicht glaubt, sollte mit dem Kauf von Aktien noch warten und eher verkaufen als kaufen. Das gilt auch für Rohstoffe.

Ein anderer Gesichtspunkt, der gegen Aktien spricht, ist ihr zu hohes Kurs-Gewinnverhältnis, jedenfalls wenn man das Verfahren anwendet, das Robert Shiller in seinem im Jahr 2000 erschienen Buch von der „Irrational Exuberance“ popularisiert hatte. Er hält es nicht für sinnvoll, das Kurs-Gewinnverhältnis von Aktien auf der Basis der Gewinne des laufenden, und erst recht nicht des nächsten Jahres zu berechnen. Vielmehr sollten die zyklischen Effekte ausgeschaltet werden, was konkret bedeutet, dass der Aktienkurs durch die durchschnittlichen Gewinne der vergangenen zehn Jahre geteilt werden sollte (oder wie lang ein voller Konjunkturzyklus eben dauert). Das führt in einer dynamischen Aufschwungphase wie der jetzigen dazu, dass der so berechnete Nenner geringer ausfällt – und das KGV entsprechend höher. Danach sind Aktien ziemlich teuer.

Die Frage ist auch, wie viel Kraft der Wirtschaftsaufschwung in den westlichen Ländern hat und wie lange er noch dauern kann. Vom Tiefpunkt im ersten Quartal 2009 aus gerechnet ist er jetzt zweieinviertel Jahre alt und dürfte seine beste Zeit hinter sich haben. Die Wirtschaftspolitiker haben jedenfalls ihre Munition weitgehend verschossen – wo sollen die Zinsen noch hingehen, wenn sie schon bei Null liegen? In den negativen Bereich? Das ist vorstellbar, aber nicht wahrscheinlich. Was die Finanzpolitik angeht, heißt das Thema in den USA, in Großbritannien, nach wie vor in Japan und nicht zuletzt in der Peripherie Eurolands „Defizitabbau“. Ein neuer schuldengetriebener Superzyklus ist einfach nicht mehr vorstellbar. Und nicht zu vergessen: Der Lageraufbau, der anfangs eine wichtige Rolle im Aufschwung gespielt hatte, ist inzwischen abgeschlossen. Hinzu kommt die weit verbreitete Konsumschwäche, auf deren Gründe ich weiter oben eingegangen war – viele Haushalte sind überschuldet und müssen sparen.

Eine sichere Bank sind für mich allerdings die Schwellenländer, vor allem in Asien. Sie sind finanziell gesund und können daher auf Stimuli der Politik lehrbuchgerecht reagieren. Es gibt keine Anzeichen, dass sich ihr Aufholprozess, der sich vor allem in hohen Investitionsquoten niederschlägt, schon an sein Ende gekommen sein könnte. Dafür ist ihr Lebensstandard einfach noch zu niedrig. Von der globalen Zusatznachfrage entfällt auf sie zur Zeit – und auch auf absehbare Zeit – mindestens ein Anteil von 75 Prozent. Im ersten Quartal dürfte das reale Sozialprodukt der Schwellenländer mit einer Verlaufsrate von etwas mehr als sieben Prozent zugenommen haben, das der OECD-Länder (trotz der tollen deutschen Zahlen) nur um 1 1/2 Prozent. An dieser Diskrepanz wird sich so schnell nichts ändern. Insgesamt wächst die Weltwirtschaft langsamer als vor der Krise, und die Output-Lücken bleiben groß.

Was also tun? Ich würde auf drei Megatrends setzen:

1. Das Produktivitäts- und Gewinnwachstum wird in den Schwellenländern mit ansehnlichen Raten weitergehen.

2. Unternehmen, die direkt in diesen Teil der Welt exportieren, oder auch von dort importieren, dürften sich besser behaupten als solche, die sich auf die reichen Länder konzentrieren. In diese Gruppe fallen auch die bekannten Multinationals, aber nicht notwendigerweise nur große Firmen. Viele deutsche Aktien sind de facto eine Option auf das Wachstum in China.

3. Da Inflation im OECD-Bereich angesichts der niedrigen Kapazitätsauslastung und des relativ schwachen Wachstums kein Risiko darstellt, sind lang laufende Anleihen guter Schuldner trotz ihrer niedrigen nominalen Renditen immer noch eine gute Anlage, zumindest aus Gründen der Risikostreuung. Aktien von Monopolisten mit sicherem Cashflow und hohen Dividendenrenditen sind vielfach ebenfalls attraktiv.