Die Weltkonjunktur hat sich zuletzt etwas abgekühlt. Getrieben von den Aufholprozessen in den Schwellenländern Asiens, setzt sich der Aufschwung aber fort. Es gibt nach wie vor beträchtliche Kapazitätsreserven und eine hohe Arbeitslosigkeit in wichtigen Industrieländern, wie den USA, Japan, Großbritannien und weiten Teilen des Euroraums. Die Löhne steigen im Vergleich zur Produktivität überall nur moderat, so dass es von der Kostenseite her keinen Inflationsdruck gibt. Die Rohstoffpreise sind seit einigen Monaten auf dem Rückzug; dadurch verbessern sich im OECD-Bereich die Kaufkraft und damit die Wachstumsaussichten.
Die Wirtschaftspolitik ist in den Industrieländern inzwischen an ihre Grenzen gestoßen: Hohe Haushaltsdefizite erzwingen restriktive Maßnahmen, und zwar auch dort, wo aus konjunkturellen Gründen eigentlich eine expansive Politik angebracht wäre. Die Notenbanken wiederum haben ihr Pulver weitgehend verschossen: Unter null Prozent lassen sich die Zinsen nicht senken und es mangelt nicht an Liquidität. In den Ländern, in denen schuldenfinanzierte Immobilienblasen geplatzt sind, können auch noch so günstige Konditionen die Menschen nicht dazu bringen, neue Kredite aufzunehmen. Ich schätze, dass, gemessen am nominalen BIP, rund ein Drittel der Weltwirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt.
Die Schwellenländer bleiben die treibenden Kräfte. Sie haben noch viel aufzuholen und fast alle sind finanziell sehr gesund. Obwohl sie zurzeit mit Raten von 5 ½ Prozent expandieren, entwickelt sich kein Inflationsdruck: Durch die Einführung moderner Technik und moderner Produktions- und Verteilungsprozesse nimmt ihre Produktivität weiterhin rapide zu und dämpft so die Lohnstückkosten. Indirekt limitiert das auch die Lohnspielräume in Ländern wie Deutschland, jedenfalls solange die internationale Arbeitsteilung weiter vorangetrieben wird.
Weltweit sinken die Inflationsraten inzwischen wieder. Trotz der niedrigen nominalen Renditen bleiben die Rentenmärkte der Länder mit guter Bonität daher bis auf Weiteres ein Kauf. Dazu gehören nicht nur Bundesanleihen, sondern auch US Treasuries und britische Gilts. Die Krise Eurolands dürfte so schnell nicht gelöst werden, so dass nach wie vor Mittel von der Peripherie ins Zentrum umgeschichtet werden.
Die Aktienmärkte befinden sich in einer Konsolidierungsphase. Auf der Kostenseite geht es den Unternehmen wegen der moderaten Lohnentwicklung, der Produktivitätsreserven und der leicht sinkenden Rohstoffpreise gut, andererseits aber ist der Wettbewerb eben wegen der unterausgelasteten Kapazitäten außerordentlich hart, so dass sich die Preise nur schwer erhöhen lassen. Auch das Volumenwachstum hat sich abgeschwächt. Gemessen an Risikoprämien und Dividendenrenditen sind Aktien aber billig.
Insgesamt also ein positives Umfeld für Anleger. Ich sehe vier Hauptrisiken, die jede für sich das Potential für eine neue Weltwirtschaftskrise haben: eine Ölpreishausse im Gefolge von Bürgerkriegen im Nahen Osten; Überinvestitionen und platzende Blasen in den Schwellenländern; eine Eskalation der Eurokrise und eine Stagnation oder Rezession in den USA. Die Eintrittswahrscheinlichkeiten sind deutlich von Null verschieden, aber noch nicht gefährlich hoch. Jede der Krisen würde deflationäre Entwicklungen auslösen.
Ausführliches zur wirtschaftlichen Lage in den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern und den Risiken und Aussichten für Aktien, Bonds, Rohstoffe und Wechselkurse in meinem neusten Investment Outlook:
Wermuth’s Investment Outlook – July 2011*) (pdf, 263 KB)
*) Den Investment Outlook von Dieter Wermuth in englischer Sprache gibt es einmal im Monat und er wird zunächst kostenlos auf Herdentrieb zum Herunterladen bereitgestellt. (ur)