Was ist nur mit den Banken los? Sie trauen sich gegenseitig nicht mehr über den Weg, so dass die EZB immer mehr zum Ersatz-Interbankenmarkt mutiert. Anleger kaufen Bankaktien nur, wenn die zu Ausverkaufspreisen zu haben sind. Vor allem die Banken in den südlichen Problemländern erleben eine Kapitalflucht in den angeblich sicheren Norden und zwingt sie, um Ersatz für die schwindenden Einlagen zu betteln. Da aber auch nördlich der Alpen von gesunden Banken keine Rede sein kann, geben sich diese zugeknöpft, mit der Folge, dass die EZB in die Bresche springen muss. Sie stellt notgedrungen immer größere Beträge zu immer kulanteren Konditionen im Hinblick auf Zinsen, Sicherheiten und Laufzeiten zur Verfügung und nimmt dabei hin, dass sich die Qualität ihrer Bilanz ständig verschlechtert.
Dennoch nützt das alles bisher so gut wie nichts, außer dass durch diese Politik vermutlich Bankenzusammenbrüche und eine Eskalation der Krise verhindert werden. Die Geldbasis, also de facto die Bilanzsumme des Eurosystems, explodiert geradezu, dennoch ist die Kreditvergabe an den privaten Sektor, also Haushalte und Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, fast zum Stillstand gekommen. Nach Abzug der Inflationsrate, die zuletzt im Vorjahresvergleich bei 3,0 Prozent lag, schrumpft das Kreditvolumen seit einiger Zeit. Wie kann da die Konjunktur wieder in Schwung kommen? Kann sie nicht. Im dritten Quartal kam es beim realen BIP der Währungsunion gegenüber dem Vorquartal nur noch zu einer Zuwachsrate von 0,1 Prozent, und im vierten Quartal gab es mit Sicherheit einen Rückgang. Der Transmissionsriemen zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft ist gerissen.
Es liegt nicht zuletzt an den schwachen Banken und ihren Aufsehern, dass das Kreditgeschäft stockt, weniger an der schwachen Kreditnachfrage. Bis zum Sommer sind die Institute nämlich gehalten, ihre Eigenkapitalquoten kräftig zu steigern: Da ihnen aber angesichts der katastrophalen Kursentwicklung der Zugang zum Aktienmarkt versperrt ist, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Bestand riskanter Aktiva so rasch es geht zu vermindern und möglichst keine neuen Risiken einzugehen, also auch bei der Kreditvergabe auf die Bremse zu treten. So wichtig es ist, dass die Banken ihre Kapitalpolster verstärken, so pro-zyklisch sind die kurzfristigen Effekte einer solchen Strategie.
Vermuteter Abschreibungsbedarf großer Banken | |||
Bankengruppe | Kurs zu Buchwert je Aktie |
Buchwert, Mrd. Euro |
Marktkapitalisierung, Mrd. Euro |
Unicredit | 0,13 | 130,0 | 16,9 |
Intesa | 0,33 | 60,9 | 20,1 |
Commerzbank | 0,33 | 21,8 | 7,2 |
Deutsche Bank | 0,50 | 53,4 | 26,7 |
Société Gén. | 0,29 | 43,8 | 12,7 |
BNP Paribas | 0,57 | 67,4 | 38,4 |
Crédit Agr. | 0,24 | 43,8 | 10,5 |
ING | 0,48 | 48,3 | 23,2 |
Santander | 0,67 | 76,4 | 51,2 |
BBVA | 0,81 | 38,8 | 31,4 |
insgesamt | 0,41 | 584,6 | 238,3 |
Quelle: Bloomberg |
Die Differenz zwischen Buchwert und Marktkapitalisierung der Banken ist ein Indikator dafür, wie es um die Banken bestellt ist – nämlich mindestens so schlecht wie zuletzt 2008. Die zehn Großbanken in meiner kleinen Tabelle werden heute am Markt mit nur 41 Prozent ihres Buchwertes gehandelt. Üblich sind Werte zwischen 100 und 200 Prozent, im Verlauf von Übernahmeschlachten kann es manchmal auch mehr sein. Das bedeutet, dass die Anleger allein für diese Banken einen „Abschreibungsbedarf“ von 346,3 Mrd. Euro befürchten, oder von 3,7 Prozent des Sozialprodukts. Diese Zahlen lassen sich überschlägig hochrechnen für den gesamten Bankensektor des Euroraums: Dem „Abschreibungsbedarf“ von 346,3 Mrd. Euro standen Ende 2010 (Zahlen für 2011 sind noch nicht verfügbar) bei den zehn Großbanken Aktiva von 12,0 Billionen Euro gegenüber. Die EZB zeigt in ihrem Monatsbericht vom Dezember (Seite S10), dass die aggregierten Aktiva des gesamten Bankensektors Ende 2010 bei 32,2 Bill. Euro lagen, also um den Faktor 2,7 höher. Multipliziert man den obigen „Abschreibungsbedarf“ mit dieser Zahl, unterstellt also, dass es bei den kleineren Instituten dieselben Probleme gibt wie bei den großen, errechnet sich eine Eigenkapitallücke von 935 Mrd. Euro, was genau 10 Prozent des BIP der Währungsunion entspricht.
Dies ist zugegebenermaßen eine heroisch vereinfachende Rechnung, sie gibt aber eine Vorstellung von der Größenordnung, um die es geht. Manche Länder wie Deutschland, Holland, Finnland, aber selbst nach ihrer Abstufung auch Frankreich und Österreich wären wohl in der Lage, mit Hilfe von zusätzlichen Staatsschulden ihre Bankensysteme zu rekapitalisieren. In den Problemländern Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Irland sind die staatlichen Defizite und Schulden (nicht zuletzt wegen früherer Bankenrettungen) aber so hoch, dass ein weiterer Anstieg der Schulden und damit der Zinsen und des Schuldendienstes wirtschaftlich und vielfach auch politisch nur schwer zu verkraften ist. Der Bund zahlt für 5-jährige Anleihen 0,75 Prozent, Italien dagegen bereits jetzt 5,73 Prozent, Spanien 4,15 Prozent, Griechenland 54,0 Prozent (!), Portugal 15,37 Prozent und Irland 6,65 Prozent. Da überall eine mehr oder minder tiefe Rezession begonnen hat, würden die zusätzlichen Lasten einige dieser Länder in den Ruin – und aus der Währungsunion treiben.
Eine umfassende Lösung muss her. Es kann nicht mehr nur darum gehen, die staatlichen Defizite auf Teufel komm raus zu vermindern und zu hoffen, dass dann alles gut würde. Wie naiv können denn unsere Politiker in Berlin und bei der Bundesbank noch sein? Die Nachspielzeit für den Euro hat begonnen.
Am Ende wird es darauf hinauslaufen müssen, dass die EZB den gesamten Finanzsektor rekapitalisieren muss, und dadurch direkt oder indirekt Beteiligungen erwirbt, die es ihr erlauben, ihn nachhaltig zu sanieren. Nach einiger Zeit könnten die geschrumpften, dafür aber gesunden Institute wieder in die Privatwirtschaft entlassen werden. Da die EZB über unbegrenzte Mittel verfügt, ist das technisch kein Problem.
Gleichzeitig muss auch etwas für das Wachstum im Euroland getan werden. Wenn der Euro irgendwann nur als die Währung einer Rezessionsgemeinschaft angesehen werden sollte, ist es um seine Akzeptanz geschehen und er landet auf dem Müllhaufen der Geschichte. Die Lösung kann nur darin bestehen, dass sich alle Euroländer möglichst bald zu Zinsen verschulden können, die nicht zu sehr über den deutschen liegen. Mit anderen Worten, der Europäische Stabilitätsmechanismus wandelt sich zum alleinigen Emittenten staatlicher Schulden, einschließlich der deutschen Bundesschulden, bekommt aber im Gegenzug so etwas wie einen European Monetary Fund an die Seite gestellt, der die einzelnen Länder zwingen kann, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, jedenfalls mittelfristig. Details wären noch auszuhandeln. Durch die niedrigen Zinsen gäbe es jedenfalls die Wachstumsperspektive, ohne die sich eine fiskalische Reform- und Sparpolitik nicht durchsetzen lässt. Und Deutschland, dass inzwischen bei drei- und sechsmonatigen BuBills negative Zinsen „zahlt“, also von den Anlegern Geld geschenkt bekommt und damit (noch) der Krisengewinner ist, könnte sich, ja muss sich unbedingt großzügig und flexibel zeigen und die gewaltigen Anstrengungen, die die neuen Regierungen in den Krisenländern unternommen haben, positiv begleiten. Noch ist kein deutscher Steuereuro verloren gegangen.