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Sparer kriegen nichts mehr

 

Auf den ersten Blick ist die Lage für Sparer, die treu ihr Geld zur Bank tragen oder in Bundeswertpapieren investieren, ziemlich trist. Bei Zinssätzen zwischen null und zwei Prozent, mit einem Mittelwert eher unter als über ein Prozent, sind sie real auf alle Fälle in den Miesen, und nominal bleibt auch kaum etwas übrig. Wenn sie darauf gesetzt haben, im Alter eine bestimmte monatliche Summe an Zinserträgen zusätzlich zu ihrer Rente zu beziehen, müssen sie deutlich mehr sparen, als sie sich das bis vor kurzem vorgestellt haben, oder sie müssen länger arbeiten. Auch die Kapitallebensversicherungen, die nur einen geringen Teil ihrer Mittel in Aktien anlegen dürfen, werden ihre Garantiezinsen in den kommenden Jahren drastisch senken müssen – da der weitaus größte Teil ihrer Mittel in festverzinslichen Papieren steckt.

Natürlich brauchen die Haushalte immer weniger für ihren Schuldendienst aufzubringen, also vor allem für Schuldzinsen. Wer jetzt eine Hypothek aufnimmt, traut oft seinen Augen nicht, so niedrig ist die monatliche Belastung. Nun sind die Zinseinkünfte der Haushalte insgesamt aber viel größer als die Zinsausgaben – die Haushalte sind die bei Weitem wichtigsten Nettosparer -, so dass per Saldo der Einkommensverlust durch den Zinsrückgang schwerer wiegt als der Rückgang der Zinsbelastung. Dadurch ergibt sich für die Konsumnachfrage und damit für die Konjunktur ein negativer Effekt.

Man kann argumentieren, dass die Nettosparer meist ältere und relativ wohlhabende Leute sind, mit einer vermutlich niedrigen Konsumquote, während die Häuslebauer meist jung und konsumfreudig sind. Anders ausgedrückt: Die Alten könnten ihre Verbrauchsausgaben als Reaktion auf die niedrigen Zinseinkünfte weniger einschränken als die Jungen sie – wegen des unerwartet geringen monatlichen Schuldendienstes – erhöhen. Wenn es diesen Effekt tatsächlich gibt, dann mildert er zwar den Schock, unter dem Strich bleibt es aber dabei, dass die rekordniedrigen Zinsen eine wichtige Bremse für den privaten Verbrauch darstellen, zumal es danach aussieht, dass die Zinsen mindestens noch zwei oder drei Jahre so niedrig bleiben werden wie heute. Es könnte aber auch viel länger dauern. In Japan sind die Zinsen schon fast zwei Jahrzehnte lang in der Nähe von Null, seit dem Beginn der nicht enden wollenden Finanzkrise.

Das ist noch nicht das Ende der Geschichte! Des einen Zinseinnahmen sind gesamtwirtschaftlich die Zinsausgaben des anderen. Die finanziellen Forderungen entsprechen definitionsgemäß den finanziellen Verbindlichkeiten. Wenn also der Haushaltssektor per Saldo unter den rekordniedrigen Zinsen leidet, muss es einen anderen Sektor geben, der profitiert. Das ist zum Einen der Staat, der auf einem gewaltigen Berg von Schulden sitzt, die jetzt zunehmend leichter zu bedienen sind, zum Anderen der Unternehmenssektor. Die Firmen finanzieren ihre Sachinvestitionen in der Regel durch Fremdmittel, sei es bei Banken oder am Kapitalmarkt (Aktien, Unternehmensanleihen). Sie sind Nettoschuldner.

Für Anleger ergibt sich daraus zwingend, dass sie einen größeren und steigenden Anteil ihrer Ersparnisse in Aktien anlegen müssen. Die große Diskrepanz, die zurzeit vor allem am deutschen Markt zwischen der durchschnittlichen Dividendenrendite und der Rendite von Staatsanleihen besteht, kann so genutzt werden. Man beteiligt sich an den Vorteilen, die diese wichtige Gruppe von Schuldnern durch die niedrigen Zinsen hat.

Die Unternehmen, deren Aktien als Witwen- und Waisenpapiere gelten, sind auf absehbare Zeit erste Wahl bei der Strukturierung der persönlichen Portefeuilles. Versicherungen, die in dieser Beziehung Anlagebeschränkungen unterliegen, sind dagegen weniger attraktiv. Das alles gilt, wohlgemerkt, nur unter der Annahme, dass noch keine Zinswende in Sicht ist. Ich gehe davon aus.