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Hohe staatliche Haushaltsdefizite, niedrige Inflation

 

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung setzt sich Christian Siedenbiedel mit der Angst der deutschen Sparer auseinander, dass hohe Haushaltsdefizite und forciertes Gelddrucken durch die Notenbank unweigerlich zu einem Kaufkraftverlust des Geldes führen. Vor allem Jens Weidmann und dessen Doktorvater Manfred Neumann werden als wichtige Warner zitiert, aber im Grunde glauben auch die meisten deutschen Ökonomen und die von ihnen dominierten Medien an diesen Zusammenhang.

Ich meine hingegen: Es kann so kommen, es muss aber nicht. Augenblicklich spricht wenig für eine beschleunigte Geldentwertung, und zwar nicht nur in der nahen Zukunft, sondern auf Jahre hinaus.

Zunächst einmal ein Faktencheck: Im August waren die Verbraucherpreise hierzulande um zwei Prozent höher als vor einem Jahr. Aktuell gibt es daher keinen Anlass zur Sorge. Ohne den volatilen Faktor „Energie“ betrug die Inflationsrate sogar nur 1,4 Prozent. Die „Erzeugerpreise gewerblicher Produkte“ sind in den vergangenen sechs Monaten mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 0,3 Prozent gestiegen. Ohne die Ausgaben für Energie waren es ebenfalls 0,3 Prozent. In der Pipeline staut sich bisher kein Inflationsdruck auf.

Grafik: Deutschland - Verbraucherpreisinflation
Deutschland - Verbraucherpreisinflation

Ich weise zudem darauf hin, dass es in diesem Jahr trotz des sehr schwachen Wirtschaftswachstums vermutlich einen kleinen Überschuss im gesamtstaatlichen Haushalt geben wird. Die Schulden werden also um diesen Betrag sinken. Nach Abzug der Geldentwertung, also real, werden sie sogar um etwa 2 Prozent schrumpfen.

Das bedeutet zwar nicht, dass es so weitergehen wird. Es spricht aber Einiges dafür. Erstens wird die deutsche Wirtschaft in den kommenden Quartalen langsamer expandieren als ihr sogenanntes Produktionspotenzial, so dass die Outputlücke größer wird. Die Arbeitslosigkeit zieht bereits seit einigen Monaten leicht an. Wenn die Kapazitätsauslastung sinkt, fällt es den Unternehmen schwer, ihre Preise anzuheben. Auch Lohnerhöhungen lassen sich nicht so leicht durchsetzen. Zudem vergrößert sich die Outputlücke nicht nur, sie ist auch absolut gesehen seit der Rezession 2008/2009 nach wie vor sehr groß. Das ist der Grund, warum es auch vor der jüngsten Konjunkturschwäche keine wirklichen Inflationssorgen gab, nicht zuletzt ablesbar an dem stetigen Rückgang der Bondrenditen. Diese bewegen sich mehr oder weniger im Gleichschritt mit den Inflationserwartungen. Es handelt sich dabei übrigens um ein globales Phänomen.

Zweitens ist damit zu rechnen, dass der Euro aufwerten wird. Ich nehme an, dass es im Verlauf des Winters gelingen wird, die Gemeinschaftswährung auf ein solides institutionelles Fundament zu stellen, mit zentraler Bankenaufsicht und Einlagensicherung. Dann wird nicht mehr die Unsicherheit über die Zukunft der Währungsunion den Wechselkurs des Euro bestimmen, sondern deren (kleiner) Überschuss in der Leistungsbilanz sowie das relativ geringe aggregierte Budgetdefizit. Ein aufwertender Euro dämpft die Inflation zusätzlich.

Drittens gehe ich davon aus, dass die Verbindung zwischen Zentralbankbilanz und Kreditvergabe an Haushalte, Nicht-Banken und Staat gestört bleiben wird. Das Gelddrucken der EZB wird also nicht zu steigenden Inflationsraten führen. Wenn die potenziellen Kreditnehmer im Gefolge geplatzter Immobilienblasen überschuldet sind, können sie weder mit einem großzügigen Geldangebot noch mit rekordniedrigen Zinsen zum Schuldenmachen und Geldausgeben bewegt werden. Auch viele staatliche Schuldner in der Peripherie der Euro-Zone sehen sich gezwungen, erst einmal ihre Haushalte durch Sparmaßnahmen (und höhere Steuern) in Ordnung zu bringen. All das wirkt pro-zyklisch, schwächt also die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, und vermindert damit die Inflationsrisiken.

Grafik: Zentralbankgeldmenge, M3 und Kredite im Euroraum
Zentralbankgeldmenge, M3 und Kredite im Euroraum

Viertens sind in den entwickelten Ländern hohe staatliche Haushaltsdefizite und Schulden in Friedenszeiten oft lediglich ein Zeichen dafür, dass die Nachfrage des privaten Sektors so schwach ist, dass der Staat einspringen muss, wenn er einen scharfen Anstieg er Arbeitslosigkeit verhindern will. Am Beispiel Japans lässt sich das sehr eindrucksvoll zeigen. Weil die Konsumenten nach dem Platzen der Immobilien- und Aktienblasen der achtziger Jahre total überschuldet waren, kannten sie spätestens seit 1993 nur Eins: ihre Schulden zu verringern. Die Unternehmen wiederum waren in den neunziger Jahren mit einer gewaltigen Aufwertung des Yen konfrontiert (teilweise Folge der inländischen Sparexzesse und des daraus resultierenden Überschusses im Außenhandel). Dadurch waren sie gezwungen, zunehmend im immer billigeren Ausland zu investieren, zulasten der inländischen Ausgaben. Die Outputlücke, die dadurch nach den goldenen achtziger Jahren entstanden war, ist bis heute noch nicht geschlossen.

Inzwischen hat der japanische Staat durch sein ständiges Lückenfüllen seinen Schuldenstand auf rund 250 Prozent des Sozialprodukts erhöht. Dennoch ist es bislang noch nicht zu einem Anziehen der Inflation gekommen. In diesem Jahr dürften die Verbraucherpreise im Durchschnitt um 0,1 Prozent höher sein als 2011, während das gesamtstaatliche Defizit erneut knapp 10 Prozent des Sozialprodukts erreichen wird. Mit anderen Worten: Hohe Budgetdefizite sind keineswegs gleichzusetzen mit einer leichtfertigen oder unverantwortlichen Finanzpolitik. Vor allem sind sie weder ein Frühindikator dafür, dass Inflation über kurz oder lang aus dem Ruder laufen, noch dafür, dass der Wert der Ersparnisse sinken muss. Schließlich herrschen solche Verhältnisse in Japan schon seit bald 20 Jahren. Das folgende Schaubild belegt, dass der Zusammenhang zwischen steigenden Staatsschulden (sprich negativen Finanzierungssalden des Staates) und Inflation nicht existiert. Eher ist das Gegenteil der Fall. Ich wäre nicht überrascht, wenn es in den USA, in Großbritannien und in den Staaten in der Peripherie Eurolands ähnlich ablaufen wird. Der befürchtete Zusammenhang mag in Nachkriegszeiten existieren, nicht aber in Zeiten struktureller Nachfrageschwäche.

Grafik: Japan - Budgetdefizite und Inflation
Japan - Budgetdefizite und Inflation