In einigen Wochen muss ich in Singapur einen Vortrag über die Tendenzen in der Umweltbelastung halten. Die Schaubilder und Tabellen, die ich bisher vorbereitet habe, lassen nur den Schluss zu, dass sich die Situation weiter verschlechtern wird. Ein Wendepunkt wird irgendwann wohl kommen, er ist aber noch nicht in Sicht. Das reale Sozialprodukt der Welt nimmt im Trend mit einer jährlichen Rate von 3,8 Prozent zu (in Kaufkraftparitäten gerechnet). Energieverbrauch und CO2-Emissionen steigen zwar nicht ganz so rasch (um durchschnittlich 2,6 und 2,8 Prozent p.a. zwischen 1998 und 2008), aber selbst solche Zuwachsraten bedeuten, dass sich der Ausstoß des wichtigsten Schadstoffs in den nächsten 25 Jahren verdoppeln wird – wenn die jetzigen Trends nicht gestoppt werden können. Schon das heutige Niveau ist gefährlich hoch.
Leider ist es immer noch so, dass das Einkommen eines Landes erst einmal ein hohes Niveau erreicht haben muss, bevor die Qualität der Umwelt zu einem politisch relevanten Thema wird. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (die Umwelt). Wann wird Peking dem Vorbild Stuttgarts folgen und einen grünen Bürgermeister wählen? Man kann in der chinesischen Millionenmetropole an normalen windstillen Sommertagen kaum weiter als 500 Meter sehen.
Meine Hauptthese ist, dass sich die Umwelt mit steigendem Einkommen verschlechtert und sich erst dann verbessern wird, wenn der allgemeine Wohlstand das amerikanische oder westeuropäische Niveau von vor etwa zwanzig Jahren erreicht hat. Noch liegt das durchschnittliche BIP pro Kopf in den Entwicklungs- und Schwellenländern bei gerade einmal 20 Prozent des OECD-Niveaus. Der rapide wirtschaftliche Aufholprozess dieser Länder wird vermutlich nicht aufzuhalten sein, da sie im Allgemeinen finanziell gesund sind und die produktivitätsfördernde Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung immer intensiver wird. Damit ist vorprogrammiert, dass die Menschheit ihr natürliches Habitat auf absehbare Zeit nicht nur weiter, sondern in zunehmendem Maße zerstören wird.
Tabelle 1: Kennzahlen zum Energieverbrauch und zur CO2-Emission in ausgewählten Ländern | ||||||||
Energieverbrauch | CO2-Emission | Einwoh.7) | BIP8) | |||||
Total1) | pro Kopf2) | pro BIP3) | Total4) | pro Kopf5) | pro BIP6) | |||
(1) | (2) = (1)/(7)x1000 |
(3) = (1)/(8) |
(4) | (5) = (4)/(7) |
(6) = (4)/(8) |
(7) | (8) | |
Russland | 26,82 | 187,66 | 14,49 | 1.634 | 11,43 | 0,88 | 143 | 1.850 |
Indien | 21,69 | 18,22 | 11,87 | 1.696 | 1,42 | 0,93 | 1.191 | 1.827 |
China | 90,26 | 67,31 | 12,37 | 8.321 | 6,21 | 1,14 | 1.341 | 7.298 |
USA | 94,55 | 305,25 | 6,27 | 5.610 | 18,11 | 0,37 | 310 | 15.076 |
Kanada | 13,04 | 382,77 | 7,50 | 549 | 16,10 | 0,32 | 34 | 1.739 |
Japan | 20,60 | 160,86 | 3,51 | 1.164 | 9,09 | 0,20 | 128 | 5.867 |
Deutschland | 13,46 | 164,64 | 3,73 | 794 | 9,71 | 0,22 | 82 | 3.607 |
1) 2009; in Billiarden BTUs (British Thermal Units); 2) in Millionen BTU pro Kopf; 3) in Tsd. BTU pro US Dollar; 4) 2010; vom Energieverbrauch; in Millionen Tonnen; 5) in Tonnen pro Person; 6) in Tonnen pro Tsd. US Dollar; 7) 2010; Millionen Personen; 8) 2011; nominal in Mrd. US Dollar Quellen: US Energy Information Administration, IWF; eigene Berechnungen |
Die erste Tabelle zeigt, wie groß die internationalen Unterschiede im Energieverbrauch und bei der Emission von Kohlendioxid noch sind. Sollte China eines Tages pro Kopf genauso viel CO2 emittieren wie die USA heute, würde sich sein Gesamtausstoß von zuletzt 8.321 Millionen auf 24.250 Millionen Tonnen erhöhen (unter der Annahme einer unveränderter Bevölkerungszahl). Das käme dem Ende der Welt ziemlich nahe. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 belief sich der globale CO2-Ausstoß auf 31.780 Millionen Tonnen (siehe EIA). Die Tabelle zeigt aber auch, dass in den reichen Ländern sowohl der Energieverbrauch als auch die CO2-Emissionen bezogen auf das Sozialprodukt deutlich niedriger sind als in den relativ armen Ländern. Vor allem Deutschland ist in dieser Hinsicht weit voraus – auch wenn die Emissionen auf pro-Kopf-Basis nach wie vor höher sind als in China (das wird sich allerdings angesichts der chinesischen Wachstumsraten in wenigen Jahren ändern).
Bisher gibt es übrigens keine Anzeichen, dass sich die Produktion der Primärenergieträger Öl, Gas und Kohle verlangsamt. Sie steigt wie eh und je. Beim Erdöl haben die durch das OPEC-Kartell de facto festgesetzten hohen Preise zusammen mit der tiefen Rezession in den OECD-Ländern die durchschnittliche Zuwachsrate im vergangenen Jahrzehnt zwar auf nur ein Prozent gedrückt, aber das Vorzeichen ist immer noch falsch, nämlich positiv.
Die Prognose, dass uns das Öl ausgeht, hat sich bisher als falsch erwiesen. Niemand bestreitet, dass die Vorräte an Erdöl endlich sind – weil die Erde endlich ist -, aber die jetzige Generation der Autofahrer braucht sich keine großen Sorgen zu machen. Sie muss noch nicht aufs Fahrrad umsteigen. Sorgen müssen sich die Autofahrer und alle anderen allerdings über die zunehmende Zerstörung der Umwelt machen. Wie die folgende Tabelle zeigt, haben sich die Zuwachsraten bei der Produktion von Gas und Kohle seit einiger Zeit wieder erhöht, sodass die Emission von Schadstoffen, die mit dem Verbrennen der Kohlenwasserstoffe einhergeht, ungebrochen zunimmt. Auch wenn der Anteil von Solarenergie und Windstrom am gesamten Energieverbrauch allmählich steigt, kann global erst von einer Wende in der Umweltbelastung gesprochen werden, wenn die Produktion von fossilen Brennstoffen absolut zurückgeht. Solange das nicht geschafft ist, gibt es keine wirklich guten Nachrichten für die Umwelt.
Tabelle 2: Produktion von Öl, Gas und Kohle global; durchschnittliche jährliche Veränderungsraten in Prozent |
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Öl | Gas1) | Kohle1) | BIP2) | |
1971-81 | 1,6 | 3,1 | — | 4,0 |
1981-91 | 0,8 | 3,2 | 1,8 | 3,3 |
1991-01 | 1,3 | 2,1 | 1,1 | 3,2 |
2001-11 | 1,0 | 2,8 | 4,9 | 3,8 |
1) gemessen in Öläquivalenten; 2) in konstanten Preisen und Kaufkraftparitäten Quellen: BP – Statistical Review of World Energy 2012, IWF; eigene Berechnungen |
Das folgende Schaubild zeigt den engen Zusammenhang zwischen dem realen BIP der Welt, dem Energieverbrauch und der Emission von CO2 seit 1980 (längere Zeitreihen habe ich nicht). Etwa seit dem Jahr 2001 sind sowohl der Energieverbrauch als auch die Emission von Kohlenwasserstoffen beschleunigt gestiegen. Aus der Grafik lässt sich eine Faustregel ableiten: wenn das globale BIP um ein Prozent zunimmt, steigt der Energieverbrauch um 0,78 Prozent, und der Ausstoß von CO2 um 0,76 Prozent. Die geringe Differenz zwischen den beiden letzten Zahlen ist ein Beleg dafür, dass die staatliche Förderung der erneuerbaren Energien bislang nur einen marginal positiven Einfluss auf die Umwelt hat. Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen (zudem ist in den letzten zehn Jahren die Emission von CO2 stärker gestiegen als der Energieverbrauch, vor allem weil China den Einsatz von Kohle massiv gesteigert hat). Das Ziel muss sein, dass sich die Emission von Kohlenwasserstoffen auch dann verringert, wenn das reale BIP der Welt zunimmt, die Faustformel also beispielsweise lautet: „Expandiert die Weltwirtschaft um ein Prozent, sinkt die Belastung der Umwelt mit CO2 um 0,25 Prozent“, oder etwas in dieser Richtung.
Beim nächsten Schaubild handelt es sich lediglich um eine andere Art, das gerade Gesagte darzustellen: Die Indices der Energieproduktion und der CO2-Emissionen wurden jeweils durch den Index des globalen realen BIP geteilt (und das Ergebnis mit 100 multipliziert). Das wird als Energie- beziehungsweise CO2-Intensität des Sozialprodukts der Welt bezeichnet. Hier kommt Eines klar zum Ausdruck: Seit zehn Jahren ist es mit dem stetigen Rückgang der CO2-Intensität des globalen BIP vorbei. Im Wesentlichen schlägt sich darin der wirtschaftliche Aufholprozess der Entwicklungs- und Schwellenländer nieder: Sie wachsen nicht nur sehr rasch, ihre Nachfrage richtet sich darüber hinaus vor allem auf energieintensive Güter und Dienstleistungen wie Autos, Infrastruktur, Häuser, Zentralheizungen und Klimaanlagen, Flugreisen, oder transportintensive Nahrungsmittel („Erdbeeren im Winter“). Es lässt sich wenig dagegen sagen, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung so leben will wie die Menschen in den reichen Ländern – dieser Wunsch führt uns lediglich drastisch vor Augen, wie dramatisch sich die Qualität der Umwelt weiterhin verschlechtern wird.
In Deutschland sieht es inzwischen bei den CO2-Emissionen ganz erfreulich aus: Sie sinken seit der Wiedervereinigung im Trend um etwa 0,7 Prozent jährlich, in Rezessionen stärker, in normalen Zeiten langsamer. Die Entkoppelung vom realen BIP, das in diesem Zeitraum (bis 2010) um jährlich durchschnittlich 1,3 Prozent zugenommen hat, ist im Gange. Auch der enge Zusammenhang mit dem Energieverbrauch scheint aufzuweichen. Dass dieser Fortschritt Arbeitsplätze oder Einkommen gekostet hätte, ist nicht zu erkennen. Ausgaben für den Umweltschutz nützen damit nicht nur dieser guten Sache, sondern dienen tendenziell auch der Modernisierung der Produktionsstruktur. Zu Recht wird Deutschland im Ausland als Modell für eine bessere Zukunft angesehen. Insgesamt stützt die Entwicklung meine These, widerlegt sie jedenfalls nicht, dass die Beschäftigung mit Umweltfragen mit steigendem Wohlstand auf der politischen Prioritätenliste nach oben rückt. Nicht ganz zufällig sind die Grünen ursprünglich ein deutsches, ich bin versucht zu sagen: ein schwäbisches und badisches Phänomen.
Auf die Vereinigten Staaten entfällt immer noch ein Fünftel des globalen Energieverbrauchs, und ebenfalls etwa ein Fünftel der gesamten CO2-Emissionen. Der Wohlstand und die zentrale politische Rolle des Landes sind nicht zuletzt einem äußerst großzügigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen geschuldet. Dazu gehören übrigens seit jeher die Rohölvorkommen im Nahen Osten. Der Einsatz von Energie wird im Vergleich zu europäischen Ländern gering besteuert, sodass der Anreiz, sparsam mit ihr umzugehen, relativ schwach ist.
Wegen der geringen Bevölkerungsdichte macht sich die Belastung der Umwelt nicht so stark bemerkbar und ist daher politisch kein Thema, das die Wähler sonderlich interessiert. Aber das ändert sich bereits. Im texanischen Houston, der Ölhauptstadt Amerikas, stellt die Qualität der Luft an vielen Tagen des Jahres de facto einen Angriff auf die Atemwege und die Gesundheit dar. Man kann dort eigentlich nicht mehr leben. Auch in Los Angeles, New York oder Washington ist es im Freien oft nicht auszuhalten. Da ein immer größerer Teil der Bevölkerung in solchen Städten lebt, dürfte das immer weniger hingenommen werden. Eine gute Umwelt ist vermutlich ein „Produkt“, für das die Nachfrage mit steigendem Einkommen überproportional zunimmt. So stagniert, wer hätte es gedacht, seit der Jahrtausendwende der Energieverbrauch der USA, und die Emission von CO2 sinkt sogar leicht. Das ist zwar erfreulich, aber viel zu wenig angesichts der starken Zunahme des Energiekonsums in den armen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Nirgendwo sonst sind die Einsparpotentiale so groß wie in Nordamerika (Kanada ist ebenfalls ein großer Umweltsünder).
Im Grunde wäre es ein Leichtes, die globale Emission von Treibhausgas und die übrige Verschmutzung der Umwelt nachhaltig zu reduzieren. Wofür gibt es auch in einer Marktwirtschaft administrierte Preise? Westeuropa zeigt, was sich durch Steuern auf Energieeinsatz und Emissionen sowie durch die Subventionierung von Umwelttechnologie bewirken lässt. Ganz nebenbei entwickelt sich durch diese Steuerung des Marktes eine moderne Umweltindustrie. Es ist schon lange klar, dass das Thema Umwelt keine Modeerscheinung ist.