Drei Tage vor Silvester war es wieder so weit: Die Wahrsager-Hirten Zeise, Wermuth und Heusinger trafen sich, die Glaskugel auf dem Tisch. Lucas brachte uns als Gastgeschenk sein neuestes Werk mit: „Euroland wird abgebrannt – Profiteure, Opfer, Alternativen“ und schien noch immer komplett desillusioniert, gab dem Euro als Idee, als Konzept für Frieden und Wohlstand in Europa keine Chance mehr. Ich dagegen, immer noch voller Hoffnung, dass aus der Krise etwas Besseres hervorgeht, übte mich in Konjunkturpessimismus, hatte gerade das Interview mit einem der klügsten deutschen Ökonomen fertig gestellt. Hans-Helmut Kotz warnt vor japanischen Verhältnissen in Euroland. Und Dieter war vielleicht noch der lustigste Geselle des Abends, pragmatisch und optimistisch. Er bastelte in Gedanken an einer Hymne auf die Bankenunion.
So dauerte es ein bisschen, bis wir uns soweit in gemeinsame Schwingungen geredet hatten, dass es mit der Wahrsagerei losgehen konnte. Und erst als wir unsere Schulterklopferei wegen der Wetten für das abgelaufene Jahr hinter uns gebracht hatten, brach sich der notwendige Übermut Bahn. Vielleicht lag’s auch am inzwischen dritten Bier? Auf jeden Fall redeten wir uns zunächst nicht die Köpfe über den Euro heiß! Erst ging es mal um die globale Nachfragedynamik. Die USA und die Fiskalische Klippe wurden rasch abgehakt. Kein Megapunkt für dieses Jahr, vielleicht drücken die höheren Steuern vorübergehend das Wachstum für ein Quartal oder so, aber mit einer Rezession wäre wohl nicht zu rechnen. Auf jeden Fall sind die Amis nicht dafür bekannt, wegen prinzipieller Bedenken Selbstmord zu begehen – anders als die Europäer.
Von der Wirtschaftsmacht Nummer eins ging’s zur Nummer zwei, China (das könnte auch Euroland sein, wenn sie sich nicht so deppert anstellen würden, aber dies nur am Rande). Wann kommt der Wachstumsknick?, fragte Lucas. In Deutschland passierte das mit der Aufwertung der D-Mark in der Endphase des Fest-Wechselkurssystems Bretton Woods. Die Japaner, die wie einst Deutschland und nun China erfolgreich eine exportgetriebene Wachstumsstrategie versuchten, kamen ebenfalls wachstumstechnisch in ruhiges Gefilde, als der Yen in den achtziger und den ersten neunziger Jahren aufwertete – was die Wettbewerbsfähigkeit stark verschlechterte.
Noch sieht es nicht danach aus, als wolle China den gleichen Weg gehen – seit einem Jahr verhindert die People’s Bank einmal mehr, dass der Renminbi weiter gegenüber dem Dollar aufwertet. Sie hat die Power, wenn es sein muss und auch gegen den Druck seitens der USA, unbegrenzt Dollars aufzukaufen. Die Chinesen werden die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie nicht so leicht preisgeben. Dabei tun sie gleichzeitig viel, um die inländische Nachfrage zu stimulieren, mit klassisch keynesianischen Investitionsprogrammen. Was China kann, können die drei anderen BRIC’s (Brasilien, Russland und Indien) nicht, weshalb sich dort der Wachstumsboom abschwächen sollte, nicht dramatisch, aber immerhin.
Trotzdem bleiben auch im neuen Jahr die Schwellenländer unsere Lieblinge. Doch ihr kräftiges Wachstum bringt die Weltwirtschaft nicht wieder zurück zum Potenzialwachstum, was bei 3,5 Prozent liegt (gegenwärtig wächst die Welt mit einer Rate von nur zwei Prozent). Das heißt, es wird ein weiteres schwaches Jahr. Besonders für Euroland. Und spätestens hier hatte sich der Pessimismus von Lucas und mir auf Dieter übertragen. Dieter schimpfte auf die verblendeten deutschen Ökonomen, die die Krise völlig falsch behandelten, schimpfte auf den strukturellen Überschuss Deutschlands im Jahr 2012 (Staat und Sozialkassen). Der deutsche Staatssektor spart, obwohl er es sich leisten könnte, dem Rest Eurolands, der sparen muss, etwas entgegenzukommen. Wir schimpften zusammen auf die deutschen Ökonomen, die von Vollbeschäftigung schwafeln, von einer „höheren Auslastung als normal“. Das ist angesichts von Millionen Arbeitslosen natürlich vollkommener Quatsch, genau wie die zu strikten Sparprogramme für Südeuropa.
Warum war das Wachstum 2012 in Deutschland trotz „Vollbeschäftigung“, Beschäftigungsrekorden, Nullzinsen, Fluchtgeld, das ins Land strömte und sich um Immobilien kloppte, nur so mickrig? Warum waren die Investitionen so niedrig? Woher soll das Wachstum 2013 kommen, wenn die Euro-Krise etwas nachlässt, weniger Fluchtgeld kommt? Woher, wenn jetzt schon wieder die Arbeitslosigkeit steigt und die Spirale ins Negative dreht?
Deshalb lautet unsere erste, mutige Wette: Deutschland wächst 2013 nicht. 0,0 Prozent! Euroland geht es noch dreckiger! Minus 1,25 Prozent.
Und nun zur Eurokrise, sie ebbt ab im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als der Zusammenbruch des Euro nah war, als nur noch der Besuch von US-Finanzminister Geithner bei Wolfgang Schäuble auf Sylt Deutschland davon abhalten konnte, Griechenland aus dem Euro zu werfen und damit das Ende des Euro einzuleiten. Die Entscheidung, Griechenland im Euro zu behalten und vor der Pleite zu bewahren, dürfte das Jahr 2013 überdauern. Selbst die FDP würde nun wohl alles tun, um Griechenland in der Währungsunion zu halten. Aber natürlich gibt es andere Euro-Klippen, von denen hier noch die Rede sein soll.
Zunächst unsere Wette Nummer zwei: Auch 2014 wird der Euro noch offizielles Zahlungsmittel sein, wird es die Währung weiterhin geben.
Euro-Klippe Nummer eins und Wette Nummer drei: 2013 klappt eine große systemrelevante Bank in Euroland zusammen, die zu groß für ein einzelnes Mitgliedsland ist. Warum? Na weil die Löcher in den Bankbilanzen groß sind und ein zweites Jahr Rezession in Euroland die Löcher nur vergrößert – das ist ja der Denkfehler im deutschen Spardiktat. Wird Euroland bereit sein, die Bank aufzufangen? In Dieters Glaskugel zeigte sich ein einigermaßen wasserdichtes europäisches Bankenrettungssystem, das mit einer solchen Herausforderung halbwegs fertig werden würde. Lucas dagegen sah ein heftiges Wackeln des ganzen Europrojekts, weil die Summen, die die Staaten für die faillierende Bank aufbringen müssten, einfach zu groß seien, als dass Merkel und Schäuble sie im Wahlkampf rechtfertigen könnten. Dieter argumentierte, dass wenn es hart auf hart käme, die Europäische Zentralbank das Geld indirekt zur Verfügung stellen würde. Deshalb keine Mega-Krise. Und ich gab mich relaxed: Wenn die ganze Welt der Regierung Merkel erklärt, dass Griechenland nicht pleitegehen darf, dann geht Griechenland nicht pleite, und wenn die ganze Welt erklärt, die Euro-Bank müsse gerettet werden, dann werden Merkel und Co die Bank schon retten.
Euro-Klippe Nummer zwei und Wette Nummer vier: Griechenland bekommt einen weiteren Schuldenschnitt. Und diesmal einen, der das Geld der Steuerzahler direkt tangiert, weil fast nur noch öffentliche Stellen Griechenlands Schulden halten. Aber, so unsere Wette: Erst nach der Bundestagswahl!
Euro-Klippe Nummer drei, aber keine Wette: Berlusconi ergattert erneut die Macht in Italien und Euroland hat keinen Bock mehr auf Solidarität.
Euro-Klippe Nummer vier und auch keine Wette: Die bürgerliche Mitte, die Unternehmer, begehren gegen den Sparkurs auf, der nur Unheil bringt und zwingen die EU und Deutschland zu einer neuen Wachstumsstrategie (Roberts Wunschdenken).
Und aus diesem Szenario nun unsere Wetten für die Märkte:
Wette Nummer fünf: Die EZB senkt noch einmal symbolisch den Leitzins und zwar auf 0,5 Prozent (von derzeit 0,75).
Wette Nummer sechs: Der Euro gewinnt gegenüber dem Dollar. Er klettert auf 1,40 Dollar je Euro! Warum, weil die Zinsen in Euroland höher sind als in den USA (nota bene: nicht in Deutschland, in Euroland!). Und weil die Risikoaverison am gesamten Finanzmarkt 2013 geringer sein dürfte als 2012. (Bei dieser Wette gibt’s Einspruch von mir, weil ich das Argument, die USA wachsen viel rascher als Euroland, weshalb der Dollar tendenziell nach oben driften sollte, höher gewichte als Lucas und Dieter. Ich tippe auf einen stärkeren Dollar zum Jahresende.)
Wette Nummer sieben: Die Rohstoffpreise fallen weiter gemessen am GSCI. Das ist der Evergreen von Dieter, aber nie war er berechtigter. Ohne die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran, wäre der Ölpreis schon 2012 deutlicher abgeschmiert, da waren wir uns sicher. Und die neuen, realistischen Töne aus Washington mit Blick auf Israels Siedlungspolitik und die abnehmenden Drohungen vis à vis Iran sollten die geopolitischen Spannungen aus dem Ölpreis entweichen lassen, womit die schwache Weltkonjunktur das Sagen über die Kurse bekommen sollte.
Wette Nummer acht: Die Inflation geht weiter zurück. Für Euroland sagen wir 1,8 Prozent voraus, für Deutschland 1,5 Prozent.
Wette Nummer neun: Die Zehnjahreszinsen fallen weiter. Für die Deflation ist es zwar noch zu früh, aber Rezession in Euroland sowie Reflationierung in den USA fordern ihr Tribut: Deshalb, Achtung: 0,95 Prozent für zehnjährige Bunds Ende 2013 und 1,3 Prozent für Treasuries! (Hier wollte Dieter nicht mitgehen, die Zinsen in der Euro-Peripherie sieht er zwar auch fallen, die Renditen deutscher und amerikanischer 10-jähriger Staatsanleihen werden aber wenn überhaupt leicht steigen: 1,5 Prozent für zehnjährige Bunds und 2,0 Prozent für Treasuries Ende 2013.)
Wette Nummer zehn: 2013 wird kein Aktienjahr! Die niedrigen Renditen der Staatsanleihen verhindern zwar einen Crash, aber die schwache Konjunktur drückt auf die Gewinnmargen; der Dax fällt auf 6500 Punkte! (Bei dieser Wette gibt’s Einspruch von Lucas, der deutlich pessimistischer ist.)
Tut uns leid, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Kommentatorinnen und Kommentatoren des Blogs HERDENTRIEB so die Stimmung vermiesen zu müssen. Wir haben – zugegeben – immer einen etwas pessimistischen Bias. Aber wir haben – das werden Sie zugeben – auch einen ziemlich guten Trackrekord.
Ein glückliches 2013 wünschen Ihre Hirten des Herdentrieb!