Das musste ja so kommen. In ihrem Global Wealth Report rechnet die Allianz aus, dass die deutschen Haushalte durch die Niedrigzinspolitik 5,8 Milliarden Euro im Jahr verlieren. Die FAZ nahm das erwartungsgemäß zum Anlass, sich über das Los der Sparer in Zeiten niedriger Zinsen zu beklagen.
Was Leben ohne Zins auf lange Sicht heißt, werden künftige Rentner im Alter spüren, weil dann jedes verlorene Jahr voll auf die Alterseinkünfte durchschlägt.
Und wie auch zu erwarten, kann ich das nicht stehen lassen. Die Analyse basiert auf einem unvollständigen Verständnis der Rolle des Zinses in einer Volkswirtschaft. Das Sparverhalten der Verbraucher wird in den meisten Lehrbüchern zunächst einmal als abhängig vom Einkommen und der Sparneigung begriffen. Hier liegt der erste Denkfehler derjenigen, die gegen Niedrigzinsen wettern. Denn wenn die Zentralbank – was ihr gesetzlicher Auftrag ist – den Zins so setzt, dass sie ein hohes Wirtschaftswachstum und stabile Preise erreicht, dann steigen die Einkommen und damit auch die Ersparnis.
Wer also vorschlägt, die Notenbanken sollten mehr Rücksicht auf die Sparer nehmen, der muss auch dazu stehen, dass das mit Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten einhergeht, weil die Notenbank nicht mehr das Zinsniveau wählen kann, das für Vollauslastung der Kapazitäten sorgt. Das Perfide an der Debatte über die vermeintliche finanzielle Repression ist, dass nie das Alternativszenario erwähnt wird.
Doch was ist mit den Sparerträgen? Tatsächlich bedeutet ein niedrigeres Zinsniveau zunächst, dass sich die Ersparnis weniger schnell vermehrt. Aber auch Zinsen wollen verdient sein. Entscheidend für den Wohlstand ist der reale Gegenwert, der hinter ihnen steht. Damit sind wir beim Thema Rente. Ob sich niedrige Zinsen auf das Rentenniveau auswirken, hängt zunächst einmal vom Rentensystem ab. Unmittelbar einsichtig sollte sein, dass in einem Umlagesystem das Zinsniveau keine Rolle spielt, weil die Jungen direkt für die Alten zahlen. Aber auch in einem kapitalgedeckten System ist die Sache etwas komplizierter, weil der Wohlstand im Alter von den zukünftigen Produktionsmöglichkeiten abhängt.
Wenn die Notenbank also im vermeintlichen Interesse der Sparer ein Zinsniveau wählt, das so hoch ist, dass es den Aufbau des Kapitalstocks behindert oder die Schuldner in die Pleite treibt – denn jedem Euro Sparvermögen steht ja ein Euro an Schulden gegenüber –, dann sieht es ebenfalls schlecht aus für die Rente. Konkret: Dann werden die schönen Anleihen mit den satten Zinscoupons einfach nicht mehr bedient.
Mit gutem Grund also hat man den Zentralbanken nicht die Maximierung der Sparerträge, sondern die Maximierung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt ins Stammbuch geschrieben. Und in einer Währungsunion, in der einer Reihe von Ländern die Deflation droht, während die Teuerungsrate insgesamt deutlich unter dem Zielwert bleibt, sind Zinserhöhungen vielleicht doch keine so gute Idee. Alles andere ist eine Frage der Verteilung, die nicht Sache der Notenbank ist. Wenn also die Niedrigzinspolitik vorübergehend zu Schieflagen führt, dann muss der Staat intervenieren, zum Beispiel durch Transfers an Kleinsparer.
Dazu kommt: Die Geldpolitik der Notenbank ist nur eine Determinante des Zinses. Vor allem am langen Ende hat er etwas mit Angebot und Nachfrage nach Kapital zu tun. Und wie sieht es damit in einer Krise aus? Richtig, das Überangebot an Sparkapital und der Mangel an profitablen Investitionen drückt auf den Preis des Geldes. Deshalb wird am Ende nur eine Überwindung der Krise zu steigenden Zinsen führen. Im derzeitigen Umfeld kämen Zinserhöhungen jener politischen Manipulation gleich, die die Ordoliberalen immer beklagen, nicht Zinssenkungen.
Und noch ein Wort zu den Sparkassen, den selbst ernannten Lobbyisten der Sparer: Statt die Notenbank anzugreifen, sollten sie ihren Job erledigen und den Sparern ordentliche Produkte für den Vermögensaufbau anbieten. Denn wie die Allianz richtig schreibt:
In Zeiten von Niedrigzinsen wäre es rationaler, auf der Risikoleiter einige Stufen nach oben zu klettern, um so den Verfall der Renditen auszugleichen. Dies würde beispielsweise auch die Bevorzugung langfristiger Investments implizieren.
Deshalb haben wir es auch nicht mit finanzieller Repression zu tun, denn niemand wird ja gezwungen, deutsche Anleihen zu halten.
Es gibt viele Argumente gegen langfristig niedrige Zinsen: Sie können Inflation verursachen oder zu Verzerrungen bei der Kapitalallokation führen – die Debatte über die Sparer ist nichts anderes als Wirtschaftspopulismus.